In Kürze wollen Union und SPD die Zwischenbilanz ihrer Regierungsarbeit ziehen. Ob es danach mit der großen Koalition noch weitergeht, hängt vor allem von der Zufriedenheit der SPD ab.

Berlin - Beinahe auf den Tag zwei Jahre nach Beginn der Legislaturperiode zieht die Bundesregierung voraussichtlich die im Koalitionsvertrag vereinbarte Halbzeitbilanz. Nach der letzten Bundestagswahl war am 24. Oktober 2017 um 11.00 Uhr der Bundestag zur konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Am kommenden 23. Oktober um 9.30 Uhr findet die wöchentliche Kabinettssitzung statt. Dann soll nach Angaben aus Koalitionskreisen die Zwischenbewertung vorliegen, die das Ende des Regierungsbündnisses von Union und SPD bedeuten kann.

 

Die Regierungsmitglieder sollen eine unter Federführung des Bundeskanzleramts erstellte Bestandsaufnahme erhalten, aus der sich ablesen lässt, welche Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag erledigt, welche angefangen oder noch gar nicht angepackt wurden. Dabei werde es sich zunächst einmal um eine rein „buchhalterische Bilanz“ handeln, heißt es. Die politische Bewertung des Erreichten nehmen CDU, CSU und SPD dann jeweils für sich vor – und ziehen im Fall der Sozialdemokraten möglicherweise Konsequenzen daraus.

Streit um Grundrente seit Monaten ungelöst

Während die Union an dem Bündnis festhält, gibt es in der SPD Forderungen, lieber heute als morgen die ungeliebte Koalition zu verlassen. Die endgültige Entscheidung soll auf dem Parteitag Anfang Dezember fallen, auf dem auch der SPD-Vorsitz gewählt wird. Als entscheidend für eine weitere Regierungsbeteiligung nannten führende Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten mehrere Kernanliegen, darunter das Klimaschutzgesetz, das jedoch am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Der große Stolperstein auf dem Weg in die zweite Hälfte dieser Legislaturperiode ist damit der seit Monaten ungelöste Streit um die Grundrente. Zum Ärger der Union ging Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) mit seinem Vorschlag über die Festlegungen im Koalitionsvertrag hinaus, da er den Empfängerkreis nicht durch eine Bedürftigkeitsprüfung begrenzen wollte. Im August bekamen Heil und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) den Auftrag, einen Kompromiss zu finden.

Wie weit beide Seiten aber noch immer auseinanderliegen, zeigt ein 59-seitiges Dokument, das Heil an die CDU/CSU-Fraktion geschickt hat. Darin beantwortet der Sozialminister 180 Fragen, die die Sozialexperten der Union geklärt haben wollen. So zweifelt die Union, ob Heils Modell für eine Grundrente den „Umbrüchen Anfang der 1990er Jahre in den neuen Ländern“ Rechnung trägt. Der Grund: Nach dem Mauerfall waren viele Menschen in Ostdeutschland arbeitslos. Zeiten der Arbeitslosigkeit zählen aber nicht bei den 35 Jahren mit, die jemand in der Rentenkasse versichert gewesen sein, um überhaupt Anspruch auf Grundrente zu haben. Heil betont, dass eine Erwerbsbiografie bis zu 50 Jahre dauern könne - es also auch bei Arbeitslosigkeit möglich sei, auf die 35 Jahre für die Grundrente zu kommen. Nähere Angaben zur Lage in Ostdeutschland macht das Ministerium aber nicht: „Wie viele Personen in den neuen Ländern mit unterbrochenen Erwerbsbiografien infolge längerer Arbeitslosigkeit keine 35 Beitragsjahre erreichen und nicht von der Grundrente profitieren, ist nicht bekannt.“

Neues Treffen am Freitag

Heil bestätigt in dem Schreiben einen Kompromiss, den er mit Kanzleramtschef Braun vereinbart hat. Auf Druck der Union soll Grundrente nur bekommen, wer mit seinen Bezügen aus der Rente oder anderen Quellen wie einer Betriebsrente oder einer Lebensversicherung weniger als 1200 Euro (Ledige) oder 2400 Euro (Verheiratete) im Monat hat. In dem Fall bekämen knapp 2,5 Millionen Menschen die Grundrente, davon knapp 1,8 Millionen in den alten und 700 000 in den neuen Ländern. Nach wie vor ist aber offen, ob sich die Koalition am Ende auf diese Kompromisslinie verständigt. Bisher haben auch Heil und Braun beispielsweise nicht geklärt, ob beim Freibetrag für die Paare der Wert von 2400 Euro oder eine niedrigere Summe gelten soll.

Die Schuld an der Blockade geben sich Union und SPD gegenseitig. Am Freitag wollen sich die zuständigen Fachpolitiker der großen Koalition erneut zusammensetzen, um nach Lösungen zu suchen.