Die Schau „Monet und die Geburt des Impressionismus“ im Frankfurter Städel feiert den Glanz einer Epoche, in der die Maler wussten: Impressionen bleiben nie lange, und wer sie festhalten will, muss sich beeilen.

Frankfurt - Er wusste den Tag zu nutzen. Den dunstigen Morgen am Meer wie den gleißenden Mittag auf den Feldern oder das Wasserglitzern der Flüsse im Sommer. Mit Claude Monet kam das Licht der Welt auf die Leinwände. Aber auch ein neues Denken. Die Stimmung war wichtiger als das Motiv, Pose und Aktion wichen dem Eindruck des Augenblicks. Nicht nur den Impressionismus hob der Franzose damit aus der Taufe. Indem er die geltenden Bilddogmen, die an den Akademien des 19. Jahrhunderts gelehrt wurden, überwand, stellte sich Monet zugleich an den Anfang aller anderen künstlerischen Avantgarden der Moderne.

 

In einer Aufsehen erregenden Sonderschau rekonstruiert das Städel Museum in Frankfurt am Main, wie der Impressionismus wurde, was er bis heute ist: eine Versinnlichung des Sichtbaren. Zu seinem zweihundertsten Geburtstag wartet das hessische Traditionshaus mit über fünfzig Arbeiten Monets auf. Eine ähnliche stattliche Anzahl von Vergleichswerken der Vorläufer und impressionistischen Zeitgenossen erweitern die Ausstellung zu einem süffigen Panorama dieser wichtigsten Stilinnovation der Malereigeschichte.

Schauen, was ist!

Im Brennpunkt stehen dabei die sechziger und siebziger Jahre des vorletzten Jahrhunderts: die Phase des Aufbruchs, in der eine ganze Generation die angestammte Schaffensklause des Ateliers verließ. Dort hatte noch eine andere, theaterhafte Beleuchtung geherrscht. Mehrere Jahrhunderte lang hatten minutiöse Inszenierungen, künstliche Arrangements den Bildaufbau bestimmt. Erst der Impressionismus entdeckte die Schönheit zufälliger, natürlicher Konstellationen. Seine Philosophie war so einfach wie grandios: Schauen, was ist!

Wichtige Brückenbauer auf diesem Weg waren der atmosphärisch sensible Camille Corot und die Künstler der sogenannten Schule von Barbizon, die als erste ihre Staffeleien in der Natur aufbauten.

Landschaften wie Corots „Weizenfeld im Morvan“, das am Vorabend des Impressionismus entstand, wirken deshalb so frisch, weil sie an der frischen Luft entstanden. Monets Jugendwerk „Hof eines Bauernhauses in Chailly“ führt noch vor Augen, wie viel der 1840 geborene Chefimpressionist dem über vierzig Jahre älteren Kollegen verdankt.

Viele Flecken, keine Linien

Doch bald schon gibt der junge Rebell die klare Struktur der Hügel und Häuser, die für Corot noch prägend war, auf. Auf dem „Waldweg“ von 1865 etwa verdrängt grün-grünes Blätterrauschen die präzise umrissenen Formen. Viele Flecken, keine Linien. Erst, indem die Pinseltupfer im Auge des Betrachters zusammenfließen, gewinnen die Dinge an Gestalt. Daher rührt das berühmte Prickeln auf der Netzhaut, das man auch in Frankfurt so oft verspürt. Vor dem sommerlich überschäumenden Blütenmeer von Monets frühen Gartenszenen, aber auch bei Kollegen wie Camille Pissarro oder Alfred Sisley, die bald an der Seine, bald an der Themse das Leuchten, Flirren und Schimmern suchten.

Nicht nur, was die Sehnerven anbelangt, ist der Impressionismus eine Kunst der körperlichen Nahbarkeit, des physischen Mitfühlens. Wenn Monet vor dem Hotel des Roches Noires im Seebad Trouville die bunten Fahnen flattern lässt, glaubt man als Betrachter selbst den Wind vom Meer im Haar zu fühlen, das Salz aus der Luft zu riechen. Nicht zufällig zog es den Künstler so oft ans Wasser. Am Strand, an Flüssen und Tümpeln begegnete ihm mit Spiegelungen auf wellig bewegter Oberfläche das ästhetische Ideal der aufgelösten Konturen. Auf dem 1865 entstandenen Gemälde „La Grenouillère“ beispielsweise verselbstständigt sich die Reflexion der umgebenden Szenerie zu abstrakten Farbmustern im titelgebenden Froschteich. Aus demselben Grund auch bevorzugte Monet bald nicht mehr den strahlenden Sonnenschein, sondern das indirekte, durch Wolken und Nebel gefilterte Tageslicht.

Impressionen bleiben nie lange

Selbst wenn einige schwächere Vergleichswerke wie die stumpfe Küstenansicht von Charles-François Daubigny oder Auguste Renoirs gleichfalls nur mediokre „Landschaft bei Fontainebleau“ den über zwei Etagen geführten Parcours unnötig in die Länge ziehen, ist diese Ausstellung ebenso belebend wie intellektuell bereichernd. Denn auch in der scheinbar komplikationslosen Stimmungskunst der Impressionisten haben gesellschaftliche Entwicklungen ihre historischen Signaturen hinterlassen. Die Finger, die den Pinsel führten, waren am Puls einer Zeit, deren Herz raste.

Nicht nur für Felder, Auen und Obstwiesen entflammte sich das impressionistische Auge, auch für Bahnhöfe, Dampfmaschinen und Telegrafen. Für all das also, was das Leben im 19. Jahrhundert schneller gemacht hat. Dieser neuen Geschwindigkeitskultur, so argumentiert André Dombrowski im spannendsten der Katalogessays, verleihen Monet und die Seinen künstlerischen Ausdruck. Sie bannen die ankommenden und abfahrenden Züge ins Bild oder zeigen Landschaften aus flüchtiger, von Blicksperren verstellter Perspektive. Ganz so, wie die Natur im Eisenbahnfenster vorüberrauscht. Vor allem aber unterwarfen sich die Impressionisten mit ihrer eigenen Kompositionsweise dem kurzatmiger getakteten Rhythmus des modernen Lebens.

Nicht nur die Zeitgenossen der Maler hatten mitunter den Eindruck, lediglich skizzenhaft Hingeworfenes geboten zu bekommen. Doch genau das war der Sinn der flotten Drauflosmalerei. Impressionen bleiben nie lange, und wer sie festhalten will, muss sich beeilen.