Renate Künast will Bürgermeisterin von Berlin werden. Am Freitag holte sie sich Tipps von Kretschmann - und kam sehr unvorteilhaft rüber.

Berlin - Er will nicht weichen, der Pulk von Fotografen, der sich im Saal der Bundespressekonferenz vor Winfried Kretschmann und Renate Künast aufgebaut hat. Und deshalb beginnt an diesem Freitag der gemeinsame Auftritt des ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik und der Frau, die gerne in Kretschmanns Fußstapfen treten würde (erst einen großen Wahlsieg holen, dann Ministerpräsidentin werden), mit fünf Minuten Verspätung. Die Uhr zeigt genau 11.05 Uhr, als der reichlich versammelten Hauptstadtpresse ein freundliches "Grüß Gott" entgegenschallt. Er sei angetan, fügt der Ministerpräsident an, dass die Bundespressekonferenz einen Provinzpolitiker eingeladen habe.

 

Wie kokett das ist, zeigt sich sogleich, nachdem Kretschmann seine einleitenden Worte beendet hat. Nun stellt eine bekannte Journalistin der renommierten "International Herald Tribune" eine Frage. Und wenig später bittet ein japanischer Reporter Kretschmann um eine Antwort, wobei er anfügt, dass man in Japan natürlich Kanzlerin Angela Merkel kenne.

Kretschmanns Glanz

Darauf folge aber gleich auf dem zweiten Platz der angebliche Provinzpolitiker aus dem Ländle. "In Japan wird genau verfolgt, was Sie in Baden-Württemberg machen", teilt der Reporter dem Hausherrn der Villa Reitzenstein mit. Ein deutscher Ministerpräsident, der selbst im fernen Japan großes Interesse weckt: das ist zweifellos etwas Besonderes.

Wie froh wäre wohl Künast, wenn von diesem Glanz etwas auf sie abstrahlte? Denn erzielten Künast und die Grünen noch vor wenigen Monaten in Umfragen just die Traumwerte, die Kretschmann im Südwesten genießt, schwächelt die Politikerin, die am 18. September Klaus Wowereit das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin abjagen will, inzwischen kräftig. Anstatt Wowereits SPD nahezukommen, liegen die Grünen an der Spree derzeit bei etwa 21 Prozent und liefern sich ein Kopf an Kopf-Rennen mit der Hauptstadt-CDU.

"Schlechte ignoriert man"

Nun rät zwar Kretschmann zur Gelassenheit: "Durch gute Umfragen lässt man sich beflügeln - schlechte ignoriert man." Von einer Schlappe für Künast könne keine Rede sein, weil auch die aktuellen Umfragwerte sehr respektabel seien. Allerdings sind Gelassenheit und Souveränität nicht eben die Stärken der Kandidatin. Während Kretschmann die Frage, was wahrscheinlicher sei - der Bau von Stuttgart 21 oder eine Regierende namens Künast - ungerührt abblitzen lässt ("Ich bin kein Wettbüro", sagt er), hebt Künast zu einer Rechtfertigung an.

Erstens erfahre sie - Umfragen hin oder her - im Wahlkampf viel Zuspruch. Und zweitens sei sie halt nicht der verbindliche, souveräne Typ wie Kretschmann. Sie habe sich im Leben alles erkämpfen müssen. "Ich bin ich", sagt sie und fügt an: "Sie werden eine 55-Jährige nicht mehr ändern können." Außerdem kämen viele Bürger mit ihrer ruppigen Art bestens klar. Sie werde im Wahlkampf von Berlinern auf einen Kaffee oder zum Essen eingeladen. Worauf sie eine etwas komplizierte Geschichte über eine Bürgerin erzählt, die dabei war, für ihre Enkel Kohlrouladen zu kochen und Künast gerne eine vorbeigebracht hätte, was aber leider nicht ging, weil sie, Künast, da schon zum nächsten Termin habe eilen müssen.

Keine gute Entscheidung

Was auch immer Künast bewogen hatte, die Einladung in die Bundespressekonfernz anzunehmen und dort Seite an Seite neben Kretschmann zu sitzen: eine gute Entscheidung war es nicht. Denn länger als eine Stunde eröffnet sich so ein arger Gegensatz. Hier der freundlich-gelassene Kretschmann, der in Spaichinger Schwäbisch landesväterlichen Charme versprüht - und dort die verbissene Künast, die gar nicht bemerkt, dass ihr Versuch, sich als "Schnauze mit Herz" zu zeigen, mit jedem neuen Satz mehr und mehr in sich zusammenfällt. An Winfried Kretschmanns Miene lässt sich nicht ablesen, wie er das Gebaren der Kandidatin findet. Offenbar wäre es ihm aber lieb, wenn sie weniger verkrampft um Anerkennung und Zuspruch heischte.

Denn kaum hat Künast erklärt, dass sie kämpfen werde, und zwar bis zum Wahltag um 18 Uhr, ergreift Kretschmann das Wort: "Jetzt muss ich dir doch einmal einen Ratschlag geben. Kämpfe maximal bis 12 Uhr am Wahltag. Danach ruhst du dich aus." Spricht's und fügt an, dass die Kandidatin am Nachmittag des Wahltags "in Demut" abwarten möge, welches Ergebnis sich um 18 Uhr zeigt.