Wenn die Autokrise für die Grünen zum Sprunbgrett im Wahlkampf werden soll, müssen sie den Landesvater einhegen. Das weiß auch Parteichef und Spitzenkdandidat Cem Özdemir. Nach dem Dieselforum hagelt es Kritik an Kretschmanns Einordnung der Gipfelergebnisse.
Berlin - Beim Dieselgipfel haben einige hochrangige Politiker Schrammen davongetragen. Den härtesten Haken musste Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wegstecken, denn eine knallhärtere Abfuhr für ihre Forderung nach Hardware-Nachrüstungen bei neun Millionen Euro-5- und Euro-6-Dieseln, ist schwer vorstellbar: Kaum hatte Hendricks nach dem Dieselgipfel erklärt, dass vier Arbeitsgruppen über solche Konzepte beraten sollen, ließ der VW-Vorstandsvorsitzende Matthias Müller, sekundiert von Daimler-Chef Dieter Zetsche und seinem BMW-Kollegen Harald Krüger, die Blase platzen: „Wir halten es für ausgeschlossen, Hardware-Nachrüstungen vorzunehmen – wegen des Aufwands und weil die Wirksamkeit fraglich ist“, sagte Müller.
Die Ohrfeige der Autobosse trifft auch Winfried Kretschmann
Diese Düpierung trifft Barbara Hendricks aber nicht allein. Bei Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist mindestens auch noch eine saftige Ohrfeige angekommen. Er hatte im Vorfeld ja gehofft, durch seinen strategischen Dialog mit der Branche Stickoxidreduktionen von fünfzig Prozent zu erreichen, und auf Hardware-Nachrüstungen gepocht. Am Ende aber musste er sich ebenso wie Hendricks mit knapp dreißig Prozent zufriedengeben – ohne konkrete Aussicht auf Nachschlag.
Das hinderte Kretschmann allerdings nicht daran, dem Gipfel in bester Schönrednermanier zuerst ein „ordentliches“, später auch noch ein „gutes Ergebnis“ zu bescheinigen. Das biss sich auffällig mit der zeitgleich verbreiteten Enttäuschung von Parteichef und Spitzenkandidat Cem Özdemir: „Nun rächt sich der jahrelange Kuschelkurs zwischen Autoindustrie und Bundesregierung“, wetterte Özdemir unbeeindruckt von der Tatsache, dass Kretschmann auf offener Bühne gerade mit kuschelte. „Der Abgasskandal ist der Fukushima-Moment der Autoindustrie“, erklärte der Grünen-Wahlkämpfer zudem. „Gefragt ist mehr als ein Dieselgipfelchen, das sich nur mit den Altlasten der Autoindustrie beschäftigt.“
Die zehn wichtigsten Fakten zum Diesel-Skandal sehen Sie im Video:
Tags darauf musste sich Özdemir von Journalisten fragen lassen, ob Winfried Kretschmann das Symbol dafür sei, dass jetzt auch die Grünen zum Auto-Politik-Kartell gehörten. Natürlich redete Özdemir das Problem klein, verwies darauf, dass Kretschmann ebenso wie er selbst auch die Blaue Plakette gefordert und den Gipfel als ersten Schritt eingeordnet habe. „Da sind wir völlig synchron. Es gibt keinen Dissens, nur unterschiedliche Rollen.“
Kretschmann – ein Hemmnis für den Diesel-Dusel
Klar ist aber, dass Kretschmann im Wahlkampf der Grünen zum Risikofaktor geworden ist. Während ihm wohlgesinnte Parteifreunde meinen, dass die Schwierigkeit seiner Positionen sich nun einmal aus der Regierungsverantwortung im Autoland Baden-Württemberg ergeben, sehen Kritiker ihren Generalverdacht bestätigt, dass der populäre Landesvater mittlerweile zum Konservativen mutiert sei. Jedenfalls ist Kretschmann derzeit das größte Hindernis auf dem Weg, den Dieselskandal und die Autokrise zu einem ähnlich wahlentscheidenden Glücksfall fortzuentwickeln, wie es seinerzeit mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima gelang. Dabei hatte ebendiese Katastrophe den Aufstieg Kretschmanns in die Stuttgarter Staatskanzlei 2011 erst möglich gemacht. Nun droht er eine Entwicklung zu blockieren, die den Grünen in der allgemeinen Dieselskandal-Verunsicherung Wähler zutreiben könnte.
Vom „Diesel-Dusel“, wie es der „Spiegel“ vor Kurzem bezeichnet hat, sind die in den Umfragen bei acht Prozent verharrenden Grünen jedenfalls noch weit entfernt. Die Frage, wie viele Prozentpunkte die Debatte den Grünen noch bringen kann, lässt Özdemir ins Leere laufen. Aber aufgegeben hat die Partei den Versuch, aus der Autokrise Kapital zu schlagen, natürlich nicht. Sorgfältig werden Kretschmanns Gipfeläußerungen am Tag danach durch gegenläufige Positionen eingehegt. Jürgen Trittin hat nach dem Spitzentreffen listig vom „Gipfel der Verantwortungslosigkeit“ getwittert. Oliver Krischer, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, nannte die Ergebnisse „eine Mogelpackung zur Beruhigung der Öffentlichkeit“. Selbst die Südwest-Spitzenkandidatin Kerstin Andreae sprach von einem „absolut mageren Angebot“ und setzte einen weiteren Kontrapunkt zu Winfried Kretschmann.