Eigentlich wollte die Stadtverwaltung in Stuttgart noch vor der Sommerpause die Leitlinien für die Bürgerbeteiligung vorstellen. Nun soll das Konzept im September präsentiert werden.

Stuttgart - Die Landeshauptstadt hält sich viel auf ihre sogenannte Beteiligungskultur zugute. Bürgerhaushalt, Bürgerbeteiligung, Bürgerbeteiligungsportale – an vielfältigen Angeboten mangelt es tatsächlich nicht. Was bisher fehlt, ist ein Leitfaden zur Bürgerbeteiligung, der klar und verständlich aufzeigt, in welchen Grenzen Bürgerbeteiligung funktioniert, welche Projekte dafür in Frage kommen und nicht zuletzt, welche Strukturen auch in der Rathausverwaltung dafür geschaffen werden müssen. In der letzten Sitzung des Ältestenrates ist das Thema wieder einmal vertagt worden – obwohl Grüne, SPD und SÖS-Linke schon seit Jahren auf einen solchen Leitfaden drängen.

 

Besonders verärgert zeigt sich darüber die Grünen-Fraktion. Im Februar 2013 hatte die damals noch stärkste Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat einen Antrag lanciert, in dem sie forderte, allgemein gültige Standards und Spielregeln für die Bürgerbeteiligung zu entwickeln – und zwar gemeinsam mit Bürgerinitiativen, Vereinen, Kirchen und interessierten Bürgern. Zwei Jahre später – im Frühjahr 2015 – hakte die SPD-Fraktion unter der Überschrift „Das Durcheinander bei der Bürgerbeteiligung endlich beenden“ nochmals nach.

Wölfle: Konzept wird nach der Sommerpause vorgelegt

Noch im Juni sagte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) schriftlich zu, den Entwurf des Leitfadens noch vor der Sommerpause im Verwaltungsausschuss zu präsentieren. Passiert ist seitdem nichts. Für die grüne Fraktionssprecherin Anna Deparnay-Grunenberg ist das nicht nachvollziehbar: „Wir haben mündlich und schriftlich gefordert, dass wir das Konzept noch vor der Sommerpause vorgelegt haben wollen.“ Dass Kuhn und Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle (ebenfalls Grüne) das Thema jetzt noch einmal gecancelt haben, sei ihr unverständlich. Schließlich müsse man vor den im Herbst beginnenden Haushaltsberatungen wissen, welche Strukturen innerhalb der Verwaltung eingerichtet werden müssten und wie viel Personal dafür gebraucht werde. Zudem dürfe der Prozess nicht unter Ausschluss der interessierten Öffentlichkeit ablaufen, die Leitlinien müssten gemeinsam mit den Bürgern erarbeitet werden.

Verwaltungsbürgermeister Wölfle beruhigt: Unmittelbar nach den Sommerferien werde das Konzept zunächst den Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat vorgelegt und dann der Öffentlichkeit vorgestellt: „Wir haben das Thema in der Bürgermeisterrunde bereits mehrfach diskutiert, wollen damit aber erst in die Gremien, wenn klar ist, welche einzelnen Auswirkungen Bürgerbeteiligung auf das Verwaltungshandeln hat.“

Heidelberg und Pforzheim dienen als Beispiele

Andere Kommunen, auch in Baden-Württemberg, sind da längst weiter als die Landeshauptstadt. So gibt es etwa in dem von OB Eckard Würzner (parteilos) geführten Heidelberg schon seit drei Jahren einen solchen Leitfaden, in dem exakt die Rahmenbedingungen und Grenzen einer Bürgerbeteiligung beschrieben sind. Zudem hat Würzner im Rathaus eine Koordinierungsstelle für das Thema eingerichtet. Auch die Stadt Pforzheim hat seit dem Jahr 2014 ein solches Grundsatzpapier aufgelegt. Doch einfach abschreiben will man in Stuttgart nicht. „Wir haben versucht, uns vor Ort kundig zu machen, um die Erfahrungen mit in unsere Überlegungen einfließen zu lassen“, sagt Wölfle.

Dass eine effiziente und akzeptierte Bürgerbeteiligung nicht nur mit der Qualität der Vorschläge und Anregungen, sondern auch mit deren Quantität einher geht, zeigt sich – die StZ berichtete – etwa am Stuttgarter Bürgerhaushalt. Obwohl die Zahl der Teilnehmer seit der Erstauflage 2011 kontinuierlich gestiegen ist, haben sich in diesem Jahr gerade einmal 8,6 Prozent der wahlberechtigten Stuttgarter mit Wünschen und Vorschlägen in die bevorstehenden Etatberatungen eingemischt. Das gut situierte und gebildete Bürgertum überwiegt dabei – Migranten dagegen sind die Ausnahme. Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von „Beteiligungsadel“.

Apropos Migranten: Dass Stadträtin Deparnay-Grunenberg anregt, die Bürger auch stärker bei der Aufarbeitung der Flüchtlingsproblematik und der Schaffung neuer Unterkünfte einzubeziehen, um die Akzeptanz für die Standorte der Systembauten zu erhöhen, ist für ihren Parteifreund Wölfle bereits gängige Praxis: „Wir waren in den Bezirksbeiräten und haben uns alle Argumente angehört. Aber am Ende entscheidet eben der Gemeinderat.“