Um die grün-rote - respektive rot-grüne - Idee ist es nicht rosig bestellt. Doch in Baden-Württemberg brauchen beide Partner einander noch.

Stuttgart - Man kann ja auch einmal das Positive herauskehren in diesen Tagen, in denen es - aufs Ganze gesehen - nicht rosig bestellt ist um die grün-rote respektive rot-grüne Idee. In Berlin hat es geknallt, die Hauptstadt-SPD handelt jetzt mit der CDU eine Koalition aus, was bei den Grünen zu einer zumindest örtlichen Betäubung aller SPD-geneigten Gefühlsregungen führte. Auch in Stuttgart pesteten sich diese Woche wieder führende Genossen und der Grünen-Landeschef Chris Kühn an. Wegen Stuttgart 21, logisch, dem ewigen Zankapfel. Und doch sagt einer der Strategen in den Reihen der Grünen auf die Frage nach dem Zusammenhalt im baden-württembergischen Regierungsbündnis: "Nennen Sie mir eine Regierung, die mit einem solchen Megakonflikt wie Stuttgart 21 beladen ist und dennoch so gut unter Segel steht."

 

Auch wieder wahr. Mit dem Referendum über den Ausstieg des Landes aus Stuttgart 21 hat sich die Koalition einen Weg eröffnet, der nicht notwendig, aber möglicherweise jene Verbindlichkeit der Entscheidung herstellt, die Grün-Rot braucht, um sich nicht permanent gegenseitig anzumachen. Grünen-Landeschef Kühn ätzte eben erst, er würde von Finanzminister Nils Schmid gerne "mal was über die Kosten von Stuttgart 21 hören", worauf er zur Antwort erhielt, die SPD hätte von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) gerne mal etwas Belastbares zu den Kosten für den Ausstieg aus Stuttgart 21 vernommen.

Schmiedel: "Eine Große Koalition wäre Mist"

Zuvor hatten sich die Grünen über das Techtelmechtel der SPD mit der CDU zur Vorbereitung der Volksabstimmungskampagne beschwert, was die SPD dazu bewegte, lustvoll auf den Schulterschluss von Grünen und Linkspartei hinzuweisen. Letztere wird im Südwesten vom Verfassungsschutz beobachtet. Dass dies vorerst so bleibt, darum kümmert sich Innenminister Reinhold Gall. Der ist von der SPD und sieht mithin mit Sorge, wie sich die Grünen auf eine nicht über alle verfassungspatriotischen Zweifel erhabenen Partei einlassen. Eine Partei übrigens, mit der die SPD in der Bundeshauptstadt eben noch koalierte.

Dass es im grün-roten Binnenverhältnis auch anders geht, war gleich nach der Sommerpause zu besichtigen, als die beiden Landtagsfraktionen beim Ministerpräsidenten in der Villa Reitzenstein geladen waren. Alle benahmen sich artig und strichen das Gemeinsame, nicht das Trennende heraus. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel bedachte Winfried Kretschmann mit einer Erstausgabe aus dem Werk Hannah Arendts. Mehr noch aber dürfte sich der Regierungschef über Schmiedels kleine Ansprache gefreut haben, in welcher der knorrige Sozialdemokrat ein Wort seines früheren Bundesvorsitzenden Franz Müntefering aufgriff. Der hatte einst gesagt, Opposition sei Mist. Schmiedel ergänzte: "Eine Große Koalition wäre ebenso Mist." Wobei hinzuzufügen ist, dass die Grünen davon ausgingen, Schmiedel meine damit eine CDU-SPD-Koalition und lehne eine solche ab. Legt man allerdings die gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse im Landtag zugrunde, bestünde ein Große Koalition aus CDU und Grünen. Aber das wäre für den wortgewaltigen Schmiedel sicherlich Megamist. Und die Grünen stellten in einem solchen Bündnis nicht den Ministerpräsidenten.

Kretschmann ist Garant für Bündnis mit der SPD

Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet der innerlich schwarz-grün gefärbte Winfried Kretschmann der stärkste Garant eines Bündnisses mit der SPD ist. Nicht nur, weil er verlässlich ist; mehr noch, weil die Grünen nur mit dem Juniorpartner SPD in der Lage sind, den Regierungschef zu stellen. Allein schon die Logik der Macht bindet die Grünen an die Genossen, ganz abgesehen von den emotionalen Sperren, die der Konflikt um Stuttgart 21 im Niemandsland zwischen Grün und Schwarz hinterlassen hat. Der SPD allerdings ist sehr daran gelegen, an den Grünen wieder vorbeizuziehen, um in die angestammte Rolle als zweitstärkste Partei im Land zurückzufinden. Eigentlich müsste das in einem Industrieland wie Baden-Württemberg möglich sein. Auch der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel versucht ja, der SPD als Wirtschafts- und Arbeitnehmerpartei wieder Geltung zu schaffen. Doch ein hoher SPD-Beamter im Südwesten konzediert: "Der Erwartung, dass sich die alten Verhältnisse zwischen SPD und Grünen wieder einstellen, fehlt derzeit die Basis." Zu gut komme Kretschmann bei den Leuten an. Was für Nils Schmid, den SPD-Landeschef und Finanzminister, ein gewisses Problem darstelle. Aber immerhin: "Die Regierung funktioniert."

Sicher, für den Geschmack mancher Sozialdemokraten leben die Grünen die Wonnen der Richtlinienkompetenz etwas zu intensiv aus. Es gebe das Ressortprinzip, an dem auch die Leute des Ministerpräsidenten nicht vorbeikämen. Aber Alarmstufe Rot herrscht in der Koalition eigentlich nur, wenn SPD-Fraktionschef Schmiedel die Grünen - wie neulich im Landtag - regelrecht vorführt oder wenn Verkehrsminister Winfried Hermann einen seiner mit dem Staatsministerium nicht abgesprochenen Vorstöße zu Stuttgart 21 unternimmt. Solange aber die CDU dermaßen schwächele und auch personell schlecht aufgestellt sei, sagt ein Genosse, "sehe ich für die Koalition keine unlösbaren Probleme".

Landesparteitag in Aalen

Personen: Auf dem Parteitag auf der Ostalb stellt sich Grünen-Landeschef Chris Kühn zur Wiederwahl. Der 32-jährige Tübinger Politologe zählt sich zum linken Flügel seiner Partei. Die Stuttgarter Gemeinderätin Thekla Walker (42) bewirbt sich zum ersten Mal für die Grünen-Doppelspitze. Sie will an die Stelle der bisherigen Parteichefin Silke Krebs treten, die im Zuge der Regierungsbildung zur Ministerin im Staatsministerium avancierte.

Positionen: Der Leitantrag für den Parteitag beschäftigt sich mit dem Thema Bürgerbeteiligung, also mit der Frage, wie die von Regierungschef Winfried Kretschmann propagierte "Politik des Gehörtwerdens" umgesetzt werden kann. Dazu zählen mehr Volksabstimmungen - ein Zustimmungsquorum soll es nur noch bei Verfassungsänderungen geben - sowie mehr Mitentscheidungsrechte bei Planungsverfahren. Stuttgart 21 lässt grüßen.

Prominenz: Natürlich wird Ministerpräsident Kretschmann mit von der Partie sein. Künftig soll er qua Amt dem Landesvorstand angehören, bisher war er gewähltes Mitglied. Außerdem kommt der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir. Als Gastredner tritt Justizminister Rainer Stickelberger auf. Der Stuttgart-21-Gegner hatte zusammen mit Verkehrsminister Winfried Hermann das Kündigungsgesetz für Stuttgart 21 erarbeitet.