Die Sky-Miniserie „Die Ibiza Affäre“ erzählt die Geschichte der Drahtzieher hinter dem Video, das in Österreich 2019 zu einer Regierungskrise führte. Das Ergebnis ist ein finsterer Blick in die Wiener Halbwelt mit starken Bildern und manch fragwürdigen Motiven.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Stuttgart - Ramin M. braucht eine kleine Pause, ein wenig Abstand. In einer Bar hat ihm gerade ein Mann mit Glatze, Typ FPÖ-Wähler, ungefragt einen Vortrag zum Thema unanständige Ausländer gehalten. Der Anwalt holt sich eine Flasche Bier bei einer Würstelbude. Julian H. stellt sich dazu, ein Detektiv. „Vergiss die, alles Arschlöcher“, sagt H. Die beiden Männer im Anzug werden vom grellen Neonlicht der Bude angestrahlt. Ein paar Meter daneben grinst Heinz-Christian Strache, der Rechtspopulist, von einem Wahlplakat, Oktober-Revolution steht darauf. Vergessen funktioniert gerade nicht, nicht für M. mit seinen iranischen Wurzeln.

 

Strache ist 2015 mit seiner FPÖ gerade auf einem Höhenflug. Und Anwalt M. hat belastendes Material gegen Strache in seinem Safe, Fotos von Bargeld fragwürdiger Herkunft. Der Anwalt und der Detektiv beschließen in dieser Nacht, dass sie der Welt den wahren Strache zeigen wollen. Das politische Ende Straches, es nimmt gewissermaßen vor dieser Würstelbude seinen Anfang. Nur dass ein paar Fotos von Bargeld dafür noch lange nicht reichen. Und bis Ibiza ist es noch ein weiter Weg.

Wer sind die Hintermänner?

Regisseur Christopher Schier erzählt in der Miniserie „Die Ibiza Affäre“ die Entstehungsgeschichte eines Videos, das zu einem der größten Skandale der österreichischen Nachkriegsgeschichte führte. Zur Erinnerung: Im Mai 2019 veröffentlichten die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Spiegel“ ein Video, das Strache zwei Jahre zuvor zeigt, wie er gegenüber einer vermeintlichen Oligarchennichte von einer Einflussnahme auf die größte Zeitung des Landes schwadroniert, Staatsaufträge verspricht und das System geheimer Parteispenden erklärt. Strache sprengt damit die gemeinsame Regierung mit Sebastian Kurz (ÖVP), er muss als Vizekanzler zurücktreten, einige Monate später muss Strache sogar aus der Partei austreten, die er einst groß gemacht hat.

Sein Motiv? Geld und Nervenkitzel?

Aber die Miniserie beleuchtet nicht den Niedergang Straches. Sie blickt stattdessen auf die Hintermänner des Videos. Regisseur Schier gibt der Geschichte damit eine andere Perspektive und lässt in die Motivwelt der Handelnden eintauchen. Da ist Anwalt M. (David A. Hamade), der sich von dem Aufstieg Straches und der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit bedroht sieht. Da ist ein Fahrer und Bodyguard Straches (Edi Jäger), der dem Anwalt erstes belastendes Material über seinen Chef vermittelt. Da ist der Privatdetektiv Julian H. (Nicolas Ofczarek), aus dessen Perspektive erzählt wird.

Ofczarek gibt ihn als einen Menschen, der vielleicht lieber Geheimagent geworden wäre, aber dann doch eher in der Welt der Halb- bis Ganzkriminellen zu Hause ist. Er setzt viel aufs Spiel, er treibt die Planung des Ibiza-Videos voran. Sein Motiv? Geld und Nervenkitzel?

Wuchtige, kinoreife Bilder

Um an Strache heranzukommen, baut H. Vertrauen zu Johann Gudenus auf, einem engen Parteifreund von Strache. Dazu erfindet der Detektiv die vermeintliche Oligarchennichte Aljona Makarowa (Anna Gorshkova). Diese lockt Gudenus erst mit gespieltem Interesse an einem Immobiliengeschäft und überredet ihn dann, das folgenreiche Treffen auf einer Finca auf Ibiza zu arrangieren. Dort versuchen Detektiv H. und Makarowa, Strache und Gudenus zu rechtlich unzulässigen Aussagen zu bringen – das sind die fast ikonischen Bilder, in denen Strache „zack, zack, zack“ unliebsame Journalisten loswerden will und Gudenus seine Hand zur Pistole formt. Aber nachdem das Video aufgezeichnet ist, herrscht Katerstimmung.

Man hatte sich noch verfänglichere Aussagen von Strache gewünscht – und niemand will das Video haben, niemand will sich schmutzig machen. Die Welt des Detektivs gerät aus den Fugen. H. sieht Eindringlinge, wo keine sind, verlegt Stacheldraht auf seinem Balkon, wirft seine Freundin aus Angst vor Verfolgung aus der Wohnung. Breiter Dialekt, kräftige Sprache – Ofczarek kann die verschrobenen Charaktere, die ihr Leben nicht ganz unter Kontrolle haben. Auch Andreas Lust funktioniert als Strache, sobald man sich daran gewöhnt hat, dass er weicher spricht und so den Politiker eine Spur intellektueller erscheinen lässt.

„Die Ibiza Affäre“ orientiert sich am gleichnamigen Buch der Journalisten Frederik Obermaier und Bastian Obermayer. Die umständlichen Verhandlungen bis zur Übergabe des Videos, die journalistische Aufarbeitung – viele Details orientieren sich eng an der Vorlage. Bei den Charakteren von H. und M. haben sich die die Drehbuchautoren bestimmt Freiheiten genommen. Aber am Ende entsteht eine schlüssige Geschichte, dynamisch erzählt mit schnellen Schnitten, ohne hektisch zu sein. Dazu sorgen wuchtige, kinoreife Bilder dafür, dass die Sache nicht langweilig wird.

Die Ibiza Affäre. Alle vier Episoden sind ab Donnerstag, 21. Oktober, auf Sky Ticket und über Sky Q abrufbar.

Die reale Ibiza-Affäre

Protagonisten
 Der Detektiv Julian Hessenthaler sitzt in Wien in Untersuchungshaft, er steht wegen Drogenhandels vor Gericht, er sieht sich politisch verfolgt. Heinz-Christian Strache wurde in einem ersten Prozess infolge des Ibiza-Videos wegen Bestechlichkeit schuldig gesprochen. Er hat kein bedeutendes politisches Amt mehr.

Nachwirkungen
 Auch die Ermittlungen gegen Sebastian Kurz und dessen Rücktritt als österreichischer Bundeskanzler gehen – zumindest indirekt – auf „Ibiza“ zurück. Entsprechende belastende Chats fanden sich auf dem Handy eines ehemaligen hochrangigen Beamten, das infolge der Affäre beschlagnahmt wurde.