Tiefschlag für die Idee des politischen Quereinsteigers: Die Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke, eine ehemalige Zeit-Journalistin, tritt zurück und erntet dafür Hohn und Spott. Sie hinterlässt nicht nur bei der regierenden SPD im Lande einen Flurschaden.

Dass am Montag ein selbst für schleswig-holsteinische Verhältnisse ungewöhnlich heftiges Sturmtief über das viel zitierte „Land zwischen den Meeren“ hinweggefegt ist, passt natürlich ins Bild. Wobei vielleicht gar nicht so sehr der für diese Woche ohnehin erwartete Rücktritt der Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke (SPD) als Orkanböe zu interpretieren ist. Es ist eher ihre kurze, wirbelsturmartige Rücktrittserklärung.

 

Mit gereiztem Unterton prangerte die ehemalige „Zeit“-Redakteurin gestern Mittag im Kieler Rathaus den „Hass“ an, der ihr „von manchen Funktionären der Landesregierung“ entgegengebracht worden sei – um anschließend weitere Giftpfeile in Richtung der „testosterongesteuerten Medientypen“ und sogar namentlich gegen den Chefredakteur der „monopolistischen Stadtzeitung“ – gemeint sind die „Kieler Nachrichten“ – zu schießen. Die „Kieler Nachrichten“ hätten den Steuererlass, den Gaschke einem ortsansässigen Augenarzt gewährt hatte, „skandalisiert“ und „infamerweise“ in einen Zusammenhang mit der Love-Parade-Tragödie und der Rücktrittsweigerung des ehemaligen Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland gestellt. Pikantes Detail am Rande: bei den „Kieler Nachrichten“ hatte Gaschke Mitte der 90er Jahre volontiert, bevor sie in die „Zeit“-Redaktion eintrat.

Noch einmal hob die 46-Jährige in ihrer Rücktrittserklärung mit bebender Stimme hervor, dass das Amt eines Oberbürgermeisters „nicht nur für Beamte, Juristen oder besonders harte Männer“ reserviert sei, die ohnehin nur ihre „kleinkarierten, bornierten, am eigenen Vorteil orientierten Machtspielchen“ spielten. Sie dagegen habe als Quereinsteigerin für einen neuen Stil gestanden. Einen ehrlichen Stil – für den sie in der Bevölkerung „überwiegend gemocht“ worden sei und für den sie speziell in den letzten Wochen „ganz viel Zustimmung“ erfahren habe.

Mit ähnlich aggressiven Aussagen hatte sich Kiels Oberbürgermeisterin im Strudel der Erregung über einen von ihr zu verantwortenden Steuerentscheid zu Gunsten eines vermögenden Arztes schon einmal mächtig Ärger eingehandelt. Da hatte sie ihrem Amtsvorgänger, Schleswig-Holsteins jetzigem Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD), vorgeworfen, sich in das laufende Prüfverfahren der Kommunalaufsicht des Landes einzumischen, und sich selbst öffentlich als das Opfer einer Intrige dargestellt.Das wiederum machte aus dem anfangs eher lokalpolitischen Fall eine auch bundesweit viel beachtete Angelegenheit. Die Reaktion der SPD-Parteispitze war entsprechend frostig, der Widerspruch Gaschkes war nicht willkommen. Es wurde einsam um die Rathauschefin, wenngleich sie sich zunächst noch im Amt hielt.

In den Cafés rund um den Kieler Rathausplatz ist von der vermeintlichen Sympathie, von dieser „Zustimmung“, die Gaschke anführte, nur wenig zu spüren. Vielleicht hatte sie ihre neunminütige Endabrechnung doch mit etwas zu viel Opferrhetorik und etwas zu wenig Fähigkeit zur Selbstkritik garniert. Die Rücktrittserklärung, dem Smartphone sei Dank, hat man im Lüneburg-Haus, bei Starbucks und bei Café Fiedler am Montagnachmittag längst gesehen. „War ja auch überfällig, dass sie geht“, sagt eine Passantin Mitte vierzig. Und ihr Begleiter ergänzt, Gaschke sei doch „nur dem Abwahlverfahren am Donnerstag zuvorgekommen“. Ein älterer Herr schaltet sich in die tischübergreifende Debatte ein: „Die Deern hat keine innere Mitte.“ Seine Frau fährt ihm in die Parade. „Nenn das Kind ruhig beim Namen, Hans-Gunther. Peinlich war ihr Auftritt. Peinlich.“ Dass die Dame die narzisstische Kränkung, die Larmoyanz meint, die aus Gaschkes emotionalem Abgang nach nur einem Amtsjahr gesprochen hat, ist mit den Händen zu greifen.

Die Berichterstattung der vergangenen Wochen hat sich fast ausschließlich auf „Gaschke-Gate“ konzentriert; auf den Steuererlass, den die Oberbürgermeisterin einem bekannten Klinikbesitzer Ende Juni per Eilentscheid gewährt hatte. Auf den Steuerbescheid selbst ging Gaschke bei ihrer Erklärung gleichwohl nur relativ kurz ein. Zwar räumte sie ein, dass ihre Entscheidung ein Fehler gewesen sein könnte, aber sie habe sich damals nach gerade sechs Monaten im Amt einfach ganz auf die Einschätzung ihrer Fachleute verlassen, fügte sie an. „Mir erschien ihre Argumentation plausibel.“ Sie fühlt sich, so lässt sich heraushören, letztlich in eine Falle gelockt.

Die Kommunalaufsicht im Innenministerium stufte die Vereinbarung in der vorigen Woche als komplett rechtswidrig ein. Sie führt gegen Gaschke auch ein Disziplinarverfahren. Doch dass die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdachts der Untreue in einem besonders schweren Fall ermittelt – es geht um nicht weniger als 3,7 Millionen Euro –, ist nur eine Seite der Medaille. Zumindest, wenn man Volkes Stimme an den Cafétischen lauscht. Denn vollends unnorddeutsche Erregung kommt im Fiedler auf, als ein weiterer Gast, der zuvor vielsagend geschwiegen hatte, an die Grundkonstellation der Causa Gaschke erinnert. Es sei doch „unappetitlich“ gewesen, dass sie sich als Ehefrau des Kieler Bundestagsabgeordneten Hans-Peter Bartels überhaupt in derselben Stadt um ein politisches Führungsamt beworben habe. „Genau. Vetternwirtschaft“, hallt es vom Nachbartisch.

Die schmucke Mittvierzigerin im Café kommt daraufhin auf Gaschkes möglicherweise ein bisschen nonchalanten Umgang mit der Kritik an ihrer Quereinsteiger-Kandidatur zu sprechen. Im Spätsommer 2012 hatte die promovierte Literaturwissenschaftlerin Bedenken ob ihrer fehlenden verwalterischen Erfahrung mit der Begründung vom Tisch gewischt, dass sie das OB-Amt „politisch“ interpretieren wolle. Ihre Wahlkampfagenda – Ruderboot-Anlegestellen an der Förde und die Zielsetzung, Kiel zur „Lesehauptstadt“ der Republik zu machen – erzeugt auch ein Jahr später im Fiedler eine Mischung aus Heiterkeit und Häme. „Wie eine nassforsche Oberstufenschülerin“ sei sie ans Werk gegangen, sagt Hans-Gunther. Und aus dem „Denkzettel“, ihrem hauchdünnen Stichwahlsieg, habe sie „nichts gelernt“.

Wer allerdings glaubt, dass sich nach dem gestrigen stürmischen Montag Gaschkes innerparteiliche Widersacher die Hände reiben können, sieht sich getäuscht. Eigentlich, so der Tenor im Lüneburg-Haus, eigentlich gebe es auf Seiten der SPD „nur Verlierer“. Auch die Gaschke-Antipoden Ralf Stegner, Ministerpräsident Torsten Albig und Innenminister Andreas Breitner (der sich mit Gaschkes Ehemann juristische Scharmützel zwischen Nötigungsvorwürfen und einstweiligen Verfügungen geliefert hat) gehen alles andere als unbeschadet aus der Affäre um „Skandal-Susi“ hervor. In der Starbucks-Filiale in der Kieler Altstadt wird unterdessen die Frage diskutiert, warum Gaschkes – politisch erfahrener – Ehemann sie nicht vor ihrem Steuererlass-Alleingang gewarnt habe. „Der ist total abgehoben. Ein reiner Theoretiker. Der konnte sie gar nicht warnen“, meint ein älterer Herr in nass geregneter Trekkingjacke. Seine Frau oder Freundin sagt dann noch etwas besonders Bedenkenswertes. Es sei „unheimlich schade“, dass die „an und für sich gute Idee“, Quereinsteiger für die Politik zu gewinnen, so einen „Totalschaden“ erlitten habe. Zustimmendes Kopfnicken an allen Tischen.