Es gab eine Zeit, da hat die Raiffeisenbank Maitis mächtig Kohle gescheffelt. Das ist schon lange vorbei. Doch die kleinste Genossenschaftsbank im Land ist immer noch selbstständig – und will das auch bleiben.
Göppingen - Willy Strohmaier kann hellsehen. Durch das Fenster sieht der Vorstand der Raiffeisenbank Maitis einen älteren Mann näherkommen. „Er holt jetzt gleich seine Kontoauszüge“, sagt er zur Auszubildenden, „dann hebt er 200 Euro ab und erzählt, wie schön sein Stückle ist.“
So kommt es. Die Vorzüge der Streuobstwiese werden gepriesen und die damit verbundene Schafferei beklagt. In der kleinsten selbstständigen Genossenschaftsbank im Land lernt ein Lehrling nicht nur, wie man eine Überweisung verbucht, Kredite vermittelt, Zinsen berechnet. Er lernt alle 1150 Kunden kennen.
Die Bank ist das einzige Geschäft. Der Göppinger Stadtteil hat 710 Einwohner, noch immer eine stattliche Reihe von Bauernhöfen, einen Friedhof, eine Kapelle aus dem 13. Jahrhundert, einen Kindergarten und seit einigen Jahren auch ein Neubaugebiet. Aber Maitis hat keinen Bäcker, keinen Metzger, keinen Supermarkt, keine Wirtschaft. Sogar die Ortsvorsteherin muss sich der malerisch gelegene Flecken, der eingebettet liegt zwischen dem Rechberg und dem Hohenstaufen, mit dem Stadtbezirk auf dem Göppinger Hausberg teilen.
Willy Strohmaier ist praktisch ein geborener Raiffeisenbanker. Aufgewachsen ist der 55-Jährige gleich gegenüber, auf dem Hof jenseits der Straße. Und wenn dort sonntags das Telefon klingelte, musste der Vater ran. Dann hatte das Familienleben Pause, und der Landwirt Willi Strohmaier wurde zum Bankchef – einer, der morgens in der Bank war, mittags auf dem Acker, abends von sechs bis acht wieder hinterm Schalter stand und nach Feierabend das Banktelefon nach Hause umstellte.
Futtersäcke unterm Dach
Das hat den Sohn nicht immer gefreut, „Muss das auch sonntags sein?“, habe er sich manchmal gefragt. Der Sprössling wird auch nicht jedes Mal erbaut gewesen sein, wenn er im Frühling und im Herbst je drei Eisenbahnwaggons Kohle mit leer schippen, in Säcke verpacken und ins Maitiser Warenlager schaffen musste, ganz zu schweigen von der zweimonatlichen Viehfutter-Fuhre.
Damals führte nur ein schmaler Gang durch das Warenlager unterm Dach der Bank, links und rechts davon stapelten sich Futtersäcke. Heute hat es reichlich Platz auf der Bühne. Die Bauern, die es noch gibt, kaufen ihr Futter nicht mehr sack-, sondern lastwagenweise. Aber Blumenerde, Dünger, Arbeitshandschuhe, Pflanzensamen und Blaukorn bekommt man in Maitis noch immer bei der Raiffeisenbank. Einen Geldautomaten gibt es nicht, auch die Kontoauszüge holt man persönlich ab. Dafür ist die Bank zweimal pro Woche bis 19.30 Uhr geöffnet, ebenso jeden Samstagvormittag.
Man kennt sich. Zur Generalversammlung im Festzelt auf einem Feld kommen 290 von 672 Mitgliedern. Im Jahr zuvor waren es 320 gewesen. Rita Bacher gehört zu dem fünfköpfigen Bankteam. Sie verteilt am Eingang die Begrüßungstasche mit dem Meterstab, dem Zimmermannsbleistift, dem Schreibblock, dem Kuli, den Zündhölzern und den vier Vespermarken zu je 2,70 Euro. Später wird sie ihrem Vorstand erklären, wer warum gefehlt hat.
In Maitis ist die Generalversammlung der 1924 gegründeten Raiffeisenbank Pflicht und Kür zugleich. Der Abschluss des Bankjahres ist der Auftakt zum alljährlichen Festwochenende, da ist der ganze Flecken auf den Beinen. Zu der Versammlung kommen Familien mit kleinen Kindern ebenso wie ältere Herren, die schon dabei waren, als nach der Generalversammlung zum Tanz gebeten wurde. Willy Strohmaier schüttelt viele Hände, plaudert hier und da. Es gibt Bier und rote Wurst und Käsebrot.
Vorstandsbericht im Bierzelt
Im hinteren Teil des Zeltes sind die Genossenschaftler gleich zum gemütlichen Teil übergegangen. Die Rapporte des Vorstands und des Aufsichtsrats sind dort kaum mehr als ein Rauschen. Vorne wird zugehört, bierernst geht es aber auch da nicht immer zu. Stolz berichtet Strohmaier, dass die Bilanzsumme erstmals über 20Millionen Euro liegt. Damit rangiert die Maitiser Bank unter den 1047 Genossenschaftsbanken bundesweit auf Platz 1045. Immer mal wieder gab es Anträge größerer Banken, ob die Maitiser nicht mit ihnen fusionieren wollten. Stets hat man abgelehnt, die Eigenständigkeit bleibt oberstes Ziel im Strategiepapier. Aber jetzt wird Geld verteilt. Fünf Prozent Dividende gibt es dieses Mal für die 672 Mitglieder. 16 660,47 Euro werden ausgeschüttet. Bis zu drei Anteile zu je 150 Euro kann man zeichnen, aber nur, wenn man auch Geschäfte macht mit der Bank: „Da sind wir eigen“, sagt Strohmaier. Früher gab es sechs Prozent.
Alexander Kuhn enthält sich bei der Abstimmung über die Ausschüttung, als Einziger im Festzelt: „Sechs hätten es schon sein können“, sagt er. Die beste Dividende seien immer noch die Vespermarken. Der 48-Jährige trägt von Kindesbeinen an sein Geld nach Maitis, genau wie sein Gegenüber Marko Mayer. „Ich musste noch nie meine Kontonummer sagen“, sagt der 42-Jährige. Man komme schnell ans Ziel, weil die Wege so kurz seien. Schließlich entscheidet immer gleich der Vorstand. Außerdem gehe es unbürokratisch zu. Als er sein Haus gebaut habe, erzählt Mayer, habe er gefragt, ob die Bank wegen des Kredits einen Baufortschrittsnachweis brauche. „Awa“, bekam er zur Antwort. „Da hock i mi auf mei Rädle ond fahr vorbei.“
Kuhn wird sich nächstes Jahr womöglich wieder enthalten müssen. Denn Strohmaier warnt schon mal vor: Hält die Niedrigzinsphase an, könnte die Dividende weiter sinken. Alles werde man tun, damit man „Ihr Bänkle vor Ort“ bleibe, verspricht Strohmaier. Das ist schon leichter gewesen. „Eigentlich sind Banken unserer Größe in dem System nicht mehr vorgesehen.“ Allein die Bürokratie: einen 60, 70 Blatt starken Vertrag bekomme ein Kunde, wenn er nur einen Bausparkredit über 10 000 Euro brauche. „Ein Wahnsinn!“, sagt Strohmaier, „da langt ein Bierdeckel.“
Bank des Vertrauens
Von solchen Bierdeckeln träumt auch sein Vorstandskollege Harald Reuter schon lange. Bis 2012 war er als Filialvertriebsleiter bei der Sparda Südwest, der viertgrößten Genossenschaftsbank Deutschlands. Der Bankbetriebswirt war Chef von 25 Mitarbeitern. In seinem Bereich wurde monatlich das umgesetzt, was in Maitis unterm Strich als Bilanzsumme steht.
Er hat sich bewusst für den Wechsel zu einem Bänkle entschieden. „Ich war unzufrieden damit, wie Bank funktioniert“, sagt der 46-Jährige. Dass die Mitarbeiter den Kunden nicht mehr ihre Durchwahlnummern sagen durften, dass „industrialisierte Produkte“ angepriesen wurden – das alles habe ihm seinen Beruf verleidet. „Ich wollte wieder Menschen beraten“, sagt er. „In Maitis lebt man zusammen. Hier schwirrt der gesunde Geist des Bankgeschäfts.“ Doch der Geist von Maitis wird arg strapaziert. Harald Reuter schimpft über dicke Fragebögen, die die deutsche Bankenaufsicht auf Englisch verschickt. Er zitiert aus einem Brief der Bundesbank. Es ist nur ein einziger Satz, aber er enthält 14 Kommas und ist vollkommen unverständlich. Er klagt über zeitraubende und teure Prüfungen durch den Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband (BWGV), die Bundesbank und die EZB, die das Geschäftsgebaren des Maitiser Bänkles so genau unter die Lupe nehmen wie das der Deutschen Bank. 24 000 Euro hat allein der „uneingeschränkte Bestätigungsvermerk“ des BWGV gekostet – das ist viel für eine Bank, der am Ende des Jahres insgesamt nur 36 665,80 Euro übrig bleiben. Ohne diesen Posten wäre der Ertrag um zwei Drittel höher ausgefallen.
Karriereplanung im Kleinen
Seine ehemaligen Chefs können es bis heute nicht fassen. Schließlich verzichtete er auf Status, Kontakte, Karriere. Reuter zuckt mit der Schulter: „Ich habe schon ein Jahr nach meiner Banklehre eine Sekretärin gehabt. Damit lockt mich keiner mehr.“ Heute bezeichnet er es fröhlich als Highlight, wenn die Auszubildende drei Banklehrlinge aus Singapur nach Maitis bringt, die im Warenlager ein Selfie nach dem anderen machen. Seine Karriereplanung verläuft schnurstracks: „Ich will hier in Rente gehen und meinen Nachfolger einarbeiten.“ Das ist sein Ziel.
Willy Strohmaier, der 1981 bei seinem Vater seine Ausbildung begann, wollte nie weg. „Der Bank geht’s doch gut“, sagt er. Außerdem wollen die zwei Vorstände es unter die ersten tausend Genossenschaftsbanken schaffen. Falls das bis zur Rente nicht klappt, kann vielleicht einmal Strohmaiers Sohn übernehmen. Der ist auch Bankkaufmann bei einer Göppinger Privatbank in Familienbesitz. Auch eine der kleinsten und letzten ihrer Art.