Die Stuttgarterin Sabine Hoffmann hat erst mit 60 Jahren ihrer eigentliche Karriere als freie Künstlerin begonnen. Jetzt wird sie 90 – und ist kreativ wie eh und je. Eine Würdigung.

Stuttgart - Neben ihrer Haustür hängt ein Paar Arbeitshandschuhe, als habe die Bildhauerin sie nur eben abgestreift. Sabine Hoffmann empfängt die Besucher denn auch gleich mit der Bemerkung, kürzlich habe sie noch gemeißelt. Dazu reicht nun leider ihre Kraft nicht mehr, und in dem kleinen Atelier inmitten ihrer Wohnung wäre zudem nicht genügend Raum. Die großen Steinarbeiten, die sie nicht mehr fertigstellen konnte, hat sie mit Schärpen ummantelt, die Unvollendeten so für irgendwann konserviert.

 

Mit unglaublicher Vitalität erläutert die 90-Jährige Pläne für die nächsten Arbeiten, auch das dritte Werkverzeichnis mit ihren Zeichnungen möchte sie in Angriff nehmen. Die beiden, bisher nur digital vorliegenden Verzeichnisse enthalten Installationen, Objekte und Skulpturen von 1982 bis 2010 beziehungsweise Arbeiten im urbanen Umfeld und in der Natur aus demselben Zeitraum. Man rechnet unwillkürlich nach, doch es stimmt: Ihr plastisches Schaffen beginnt in den 80er Jahren, da war Sabine Hoffmann bereits 60. Seither ist ein Werk entstanden, das mit Abstand zu den interessantesten in der Region und darüber hinaus zählt, intellektuell anspruchsvoll, kompromisslos gegenüber dem Zeitgeist, durchdrungen von einem gesellschaftskritischen, aufklärerischen Impetus und daneben voller Poesie, Humor und nie versiegender Hoffnung.

„Auch das Schöne hat doch in der Kunst seine Berechtigung“, ist sie überzeugt und lässt sich zu „schönen“ Arbeiten, die keiner tiefschürfenden Ausdeutung bedürfen, durch Musik oder Texte anregen. So entstanden etwa Malerbücher, bibliophile Mappenwerke mit Radierungen und Lithografien zu Gedichten von Nazim Hikmet, Miguel Asturias, Louis Aragon, Henry Miller, Else Lasker-Schüler, Federico Garcia Lorca, Pierre Loti und anderen. Literatur spielte immer eine große Rolle: In den Jahren 1999/2000 hat sie zeitgenössischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern 48 „Buchköpfe“ gewidmet, sehr unterschiedlich und Bezug nehmend auf Publikationen. Es sind Wandobjekte mit einem Buchkorpus, möglichst etwas über Augenhöhe aufzuhängen, damit die Betrachter zu ihnen aufschauen.

Eine Ausstellung zu ihrem Geburtstag

Einige ihrer liebsten hat sie um sich versammelt: Marguerite Duras, Johannes Bobrowski, Sylvia Plath, Ernst Bloch, auf dessen Händen sein Diktum – „Ich bin – aber ich werde erst“ –, Michail Bulgakow und Giannis Ritsos, der griechische Dichter, den Sabine Hoffmann durch die Vertonungen von Mikis Theodorakis kennenlernte. Nach dessen Oratorium „Die Sonne und die Zeit“ ist eine ihrer jüngsten Wandinstallationen benannt, die auf sechs plakatformatigen, mit Latexfarbe bemalten Rahmenkorpussen Weltraumschrott zeigt, „darunter die neueste Kapsel namens Einstein, die auch den Weg des Zerfalls gehen wird“. Statt diese in die Höhe zu schießen, kommentiert die Künstlerin, hätte das Geld dafür den Menschen auf der Erde so viel Gutes bringen können. Ausgestellt war diese Installation 2014 im Hospitalhof, dann mit zwanzig weiteren Arbeiten aus fast vier Jahrzehnten in einer großen Ausstellung mit dem Titel „Im schwarzen Raum“ letzten Winter im Kunstbezirk Stuttgart.

Anlässlich des 90. Geburtstags werden vom 2. bis 15. Dezember im Foyer des Hospitalhofs in der Büchsenstraße zwei Wandinstallationen („Verbindungen“) zu sehen sein, die Sabine Hoffmann mit Materialien aus dem Rohbau zum Lob der Arbeiter, genauer: der Elektroinstallateure, gestaltet hat. Zur Eröffnung gibt es ein Gespräch von Monika Renninger mit Sabine Hoffmann – die sich zu diesem Anlass nach dem Motto „jetzt gerade“ ein bisschen frech (aber auch wie immer elegant) herausputzen will, vor allem den auffälligen Bernsteinschmuck anlegen, den sie vor Jahren in Kaliningrad gegen aus dem Westen mitgebrachtes Werkzeug eingetauscht hat. Auf dieser Reise konnte sie auch Jugendfreundinnen besuchen, die noch in Danzig leben.