Päckchen, Briefe, Retouren: der Betrieb in der integrativen Postagentur Göppingen läuft wie am Schnürchen. Auch anderswo arbeiten Menschen mit und ohne Handicap zusammen.

Region: Corinna Meinke (com)

Göppingen/Region - Hier stimmt einfach der Umgangston, das hat mich überzeugt.“ So begründet Sandra Hofele ihre Entscheidung für die Mitarbeit in der ersten integrativen Post im Kreis. Die Göppingerin, die auch schon früher in einer Postagentur gearbeitet hat, leitet im Auftrag der hiesigen Lebenshilfe derzeit drei junge Männer im Alter von 21 bis 26 Jahren beim Umgang mit Maxibriefen, Päckchen und Retouren an.

 

Menschen mit und ohne Handicap arbeiten zusammen

Integrative Jobs im Dienstleistungsbereich haben seit Jahren Konjunktur. Bereits 1999 öffnete der erste Cap-Lebensmittelmarkt in Herrenberg (Kreis Böblingen) – inzwischen zählt der Träger 20 Märkte mit rund 140 Beschäftigten mit Behinderung in der Region. Auch in der Gastronomie wächst die Zahl der integrativen Betriebe: Mensen, Cafés und Restaurants zeigen, wie Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam die Gäste versorgen.

„Wer nicht schreiben kann, kreuzt die Wünsche der Gäste einfach auf einem Vordruck an“, erzählt Isabell Schindling vom Café am Kornhausplatz in Göppingen, wo rund 20 Frauen und Männer arbeiten, davon 16 mit Unterstützungsbedarf. In dem Betrieb unter dem Dach der Lebenshilfe werden seit sechs Jahren Speisen in Bioqualität angeboten.

Viele schätzen den familiären Umgangston

„Ach, da kommt ja wieder mein Freund“, begrüßt ein Mitarbeiter des Café Morlock in Plochingen (Kreis Esslingen) einen Stammkunden, der diesen familiären Umgangston sichtlich genießt. Der Servicemitarbeiter baut beim Bedienen auch gerne mal Zeit für ein Schwätzchen unter Fußballfans mit ein. Hier auf dem Stumpenhof betreiben die WEK Werkstätten Esslingen-Kirchheim außerdem den integrativen Lebensmittelladen „Ums Eck“.

Zurück zum Thema Postagentur, die Sandra Hofele aus Göppingen seit Juli in ihrem Heimatort zusammen mit einer Kollegin in der früheren Waldeckschule in Göppingen-Jebenhausen leitet. Bereits seit fünf Jahren beherbergt das Gebäude die Bildungsangebote der Lebenshilfe für Menschen mit Handicap unter dem Titel Bildungszentrum. „Wir haben viele verschiedene Teilnehmer und Anleiter aus ganz unterschiedlichen Berufsgruppen vereint, das macht uns bunt und bereichert“, beschreibt die Leiterin des Bildungszentrums Ruth Weber das Zusammenspiel von Jugend- und Heimerziehern, Kunstpädagogen, einer Goldschmiedin und zahlreicher anderer Fachkräfte.

Mancher Postkunde drückte hier früher mal die Schulbank

Die Idee mit der Postagentur fußte auf dem Wunsch, sich gut mit dem Ort zu vernetzen. Denn „Integration ist keine Einbahnstraße“, findet Weber. Sie freue sich vielmehr, wenn Postkunden ins Haus kommen und sich in dem ehemaligen Schulhaus umsehen, wo viele einst die Schulbank drückten, und in der Agentur Produkte aus den verschiedenen Werkstätten der Lebenshilfe im Kreis erwerben. Wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehe die Agentur aber nicht. „Wir können damit nicht mal unser Personal bezahlen, sondern finanzieren uns über unsere Leistungsträger“, erklärt die Leiterin Weber. Vorbilder für die integrative Göppinger Postagentur waren eine Postagentur in einem Reutlinger Buchladen, die der Landeswohlfahrtsverband vor rund zehn Jahren aus der Taufe hob, und der Postpoint im Französischen Viertel in Tübingen.

Viele traditionelle Träger der Behindertenhilfe gehen neue Wege

„Nicht jeder wird in einem Industriebetrieb glücklich. Wir wollen angemessene Arbeitsplätze schaffen, wo die Menschen gerne arbeiten“, sagt Marco Kelch, der Sprecher der Paulinenpflege in Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Daher sei man ständig auf der Suche nach neuen Konzepten. Die Paulinenpflege gehört zu den großen traditionellen Einrichtungen der Behindertenhilfe in der Region, wo allein in den Werkstätten rund 300 Menschen Arbeit finden. Dazu kommen wie bei den meisten Trägern zahlreiche Außenarbeitsplätze in Partnerbetrieben. Neben diesen eher industrie- und metalllastigen Aufgaben bieten einige Träger auch Arbeiten in der Landwirtschaft an. So betreibt die Paulinenpflege auf ihrem Paulinenhof in Hertmannsweiler einen Viehzuchtbetrieb mit 100 Hektar Land. 21 Menschen mit Behinderung, die teils auch gehörlos sind, leben und arbeiten dort. Die eigenen Produkte verkaufen sie in ihrem Hofladen. Ähnlich wirtschaftet auch die Lebenshilfe Göppingen auf dem Albert-Rapp-Hof in Wangen, wo Mitarbeiter mit psychischer oder geistiger Behinderung Gemüse anbauen und Hühner versorgen.

Weil Menschen mit Behinderung oft unverstellt auf andere zugehen und soziale Kompetenz beweisen, werde ihre Arbeitskraft im Umgang mit Kunden geschätzt, sagen die Träger. Das zeigt sich auch in Bügelstuben, Bäckereien und Übernachtungsbetrieben wie dem Gästehaus Insel in Waiblingen, das die Diakonie Stetten betreibt.