Der Stuttgart-Lauf ist alljährlich die große Bühne für die Hobbyläufer, auch bei der 25. Ausgabe an diesem Wochenende. Es gab aber auch Zeiten, als regelmäßig die großen Stars in der Stadt zu Gast waren – und Stuttgart als „Wimbledon der Leichtathletik“ galt.

Stuttgart - Im Überschwang der Gefühle fasste Karl-Heinrich Lebherz einen tollkühnen Entschluss. Kaum waren die ebenso rauschenden wie glanzvollen Leichtathletik-Weltmeisterschaften 1993 im Gottlieb-Daimler-Stadion von Stuttgart vorüber, machte sich der damalige Präsident des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes (WLV) daran, einen Halbmarathon durch die Landeshauptstadt auf die Beine zu stellen. Sein Ziel: die Leichtathletik-Metropole am Neckar noch bedeutsamer zu machen.

 

Doch ging sein Plan nur zur Hälfte auf. Zwar feierte der Stuttgart-Lauf im Jahr darauf tatsächlich seine Premiere und begeht an diesem Wochenende sein 25-jähriges Jubiläum. Von der internationalen Landkarte jedoch ist Stuttgart, das einstige „Wimbledon der Leichtathletik“ (Stabhochspringer Tim Lobinger), längst auf alle Zeiten verschwunden. „Es schmerzt noch immer ungemein, dass dieses Thema gestorben ist“, sagt Lebherz, der seit seinem Rücktritt als WLV-Chef 2004 den Titel Ehrenpräsident trägt.

Bei der WM 1993 bekam das Stuttgarter Publikum den Fairnesspreis

Anlässlich eines Vierteljahrhunderts Stuttgart-Lauf darf man noch einmal kurz an die goldenen Zeiten erinnern, in denen auf dem Wasen nicht nur Fußball gespielt wurde. Legendär nicht nur die WM 1993 mit ihren fast 600 000 Zuschauern, die wegen ihrer Fairness und Begeisterungsfähigkeit mit dem Fairplaypreis der Unesco ausgezeichnet wurde. Unvergessen auch die Europameisterschaften sieben Jahre zuvor, die trotz Dauerregens ein einziges Fest waren. Randvoll auch damals das Neckarstadion, genau wie bei den vielen Länderkämpfen, Meetings und Meisterschaften, die Stuttgart schon in den 60er-Jahren zu einer Leichtathletik-Hochburg gemacht haben. Lange her und fast vergessen.

Gegen König Fußball hatten die Läufer, Werfer und Springer irgendwann keine Chance mehr. Noch trennte zwar die Laufbahn das Spielfeld von den Rängen, als die DFB-Elf 2006 Platz drei bei der Heim-WM feierte und der VfB im Jahr darauf Meister wurde, doch war die ganze Stadt nun vollends im Fußballfieber. „Wir hatten keine Argumente mehr“, sagt Lebherz. Auf verlorenem Posten standen die Leichtathleten mit ihrem Protest gegen den Umbau des Stadions in eine reine Fußballarena, der bald auf das Weltfinale im September 2008 begann. Es sollte die letzte große Leichtathletik-Veranstaltung bleiben. Drei Jahre später folgte auch noch das Aus des Sparkassencups in der Schleyerhalle, der 25 Jahre lang zu den weltbesten Hallenmeetings gehört hatte und mit dem der olympische Kernsport endgültig verschwand.

Auch in den meisten anderen großen Stadien ist die Laufbahn längst verschwunden

Ein schwacher Trost ist es für die Stuttgarter Leichtathletik-Freude, dass es den meisten anderen Städten nicht besser geht. An einer Hand lassen sich die Stadien abzählen, die noch eine Laufbahn haben und groß genug sind, um überregionale Wettkämpfe auszutragen. In Nürnberg findet am 21./22. Juli die deutsche Meisterschaft statt, in Berlin immerhin die EM (6. bis 12. August). Doch wird in der Hauptstadt schon lange und nicht nur auf Betreiben der Kicker von Hertha BSC darüber debattiert, ob nicht auch dort die Laufbahn zugunsten des Fußballs verzichtbar wäre. Sollte es so kommen, gäbe es in Deutschland kein Stadion mehr, dass große internationale Titelkämpfe beherbergen könnte.

In Stuttgart ist schon jetzt nur noch die Festwiese am Rande des Neckarparks übrig geblieben, die zumindest für kleinere Sportfeste taugt. Ansonsten bleibt dem WLV alljährlich der Stuttgart-Lauf als große Bühne. 1500 Läufer gingen bei der Premiere 1994 an den Start, mit rund 17 000 wird bei der Jubiläumsausgabe gerechnet. 2008 waren es fast 30 000, doch registrierten nicht nur die Veranstalter in Stuttgart in den vergangenen Jahren rückläufige Anmeldezahlen. Zwar steigt unverändert die Zahl der Läufer in Deutschland – doch ist auch die Zahl der Volksläufe, die um ihre Teilnahme buhlen, massiv gestiegen.

Teure Starläufer sind nicht die Zielgruppe des Stuttgart-Laufs

Anders als bei anderen großen Stadtläufen verzichten die Veranstalter in Stuttgart trotzdem darauf, mit teuren Starläufern aus Afrika die Werbetrommel zu rühren. Es ist eine Grundsatzentscheidung, die schon vor 25 Jahren gefallen ist, als Stuttgart noch der Nabel der Leichtathletikwelt war. Damals rief der niederländische Großmanager Jos Hermens bei WLV-Chef Lebherz an und fragte, wie hoch für seine Läufer die Antrittsprämie sei. „Das Startgeld beträgt 20 Euro, und der Sieger bekommt ein Fahrrad“, antwortete Lebherz. Hermens hat sich seither nie mehr gemeldet.