Verkehrsminister Hermann meint es gut mit den Pendlern. Dank seiner Baustellenbeschilderung dürfen viele auch in den Sommerferien im Stau stehen. Was für ein Glück, meint Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Mensch und Tier ist das Schild. Während sich Federvieh, Paarhufer oder flossengetriebene Wasserwesen immer noch mit so niederen Hilfsmitteln wie Instinkten durch die Welt bewegen müssen, hat schon der Vorfahr des Homo bürokraticus Symbole und Bilder an die Höhlenwand gemalt. Und damit das Fundament gelegt für die Grundordnung allen menschlichen Daseins.

 

Gefühlt regeln inzwischen 18,3 Quadrillionen Schilder unser Leben. Sie zeigen an, wann unser Lieblingswirt Ruhetag hat, wo der Bahnsteig ist, an dem der Zug um 15.33 Uhr abfahren müsste, wenn er nicht wieder ausgefallen wäre. Und das Holzschild, das an dem rechts vom Türrahmen eingeschlagenen Nagel hängt, warnt uns, wann die kittelschurzbewehrte Nachbarin strengen Blickes auf uns aufpasst, weil wir mit der Verrichtung der Kehrwoche dran sind.

Alle 28 Meter steht ein neues Verkehrsschild

Ganz besondere Aufmerksamkeit widmen wir aber dem Straßenverkehr. Seit Erfindung des Automobils haben wir mehr als 500 Zeichen zur Regelung unserer Mobilität erfunden und so oft vervielfältigt, dass mittlerweile rund zwanzig Millionen Exemplare davon an den Straßenrändern der Republik stehen. Statistisch gesehen bedeutet das alle 28 Meter ein neues Zeichen.

Dass sich ausgerechnet Winfried Hermann aufgemacht hat, diesen Schilderwald zu roden, hat mit der ausgeprägten Freude des grünen Verkehrsministers am Fortschritt zu tun. Er ersetzt Blech durch Murks. Unter der Bezeichnung „Streckenbeeinflussungsanlagen“ hat der passionierte Radfahrer auf den Autobahnen 8 und 81 elektronische Tafeln aufbauen lassen, die wechselweise anzeigen, dass Nebel, Baustelle oder einfach nur so Stau ist. Nach Auskunft des Verkehrsministeriums passiert ein Pendler zum Beispiel zwischen Ludwigsburg-Nord und dem Echterdinger Ei jeden Tag 42 dieser mit bis zu acht Verkehrswechselzeichen bestückten Schilderbrücken (24 auf der A 8 zwischen Dreieck Leonberg und dem Ei, 18 auf der A 81 zwischen LB-Nord und dem Dreieck Leonberg). Nicht eingerechnet seien die Schilder, die zur Betriebstechnik des Engelbergtunnels gehören, betont das Ministerium.

Die Freude beim Anblick der Schilder ist immens

Dumm nur, dass all diese Leuchtdioden den Lastwagenfahrern aus aller Herren Länder nicht rechtzeitig befehlen können, dass sie an der Megabaustelle an der Ausfahrt Zuffenhausen gefälligst rechts zu fahren haben, um eine Verstopfung der Engstelle in Fahrtrichtung Leonberg zu verhindern. Erst 600 Meter vor der Überleitung von zwei Spuren auf die Gegenfahrbahn wird das Problem angezeigt – mit zwei althergebrachten Blechschildern. Anders geht’s nicht, sagt das Ministerium. Die modernen Wechselverkehrszeichen zeigten zwar Gefahren, Richtungspfeile und Zusatzzeichen an, aber keine sogenannten Verkehrslenkungstafeln. „Diese“, so die Antwort auf unsere Anfrage, „sind erstens zu groß und zweitens technisch nicht vorgesehen, weil das Lochmuster für die einzelnen LED nur die zuvor genannten Zeichen abbilden kann.“ Schade eigentlich bei 24 Millionen Euro, die der ganze Spaß mit den Wechselkennzeichen gekostet hat.

Die Folge: Chaos vor der Baustelle, Vierzigtonner, die die Spuren queren, um gerade noch rechtzeitig nach rechts zu kommen, oder (weil’s nicht mehr reicht) halt doch auf den verengten Autospuren weiterfahren und damit den Verkehr dahinter ausbremsen. Immerhin haben die Pendler damit wieder ein Alleinstellungsmerkmal: Auch in den Sommerferien dürfen sie exklusiv im einzigen Stau stehen, der jeden Tag im Radio angesagt wird – und von dort aus Hermanns Wunderschilder bewundern, die ihnen mitteilen, dass sie 80 fahren dürften, wenn nicht gerade Stillstand wäre.