Der Stuttgarter Bernd Riexinger ist keine bundesweite Größe. Doch im Kampf um die Führung der Linkspartei ist er nicht chancenlos.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Er hat den Segen von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht; auch einige westdeutsche Landesverbände stehen hinter ihm. Warum soll Bernd Riexinger aussichtslos ins Rennen um ein Führungsamt gehen? Seine Chancen hängen davon ab, dass sich zunächst ein Pendant findet, wie es der Linken gut anstünde: weiblich und aus dem Osten. Vize Katja Kipping sagt Nein zu einem Duo mit Riexinger. Das muss aber noch nichts heißen.

 

Dass der Gewerkschafter aus Stuttgart einmal Chef der Linkspartei werden könnte, schien vor Kurzem noch illusorisch. Als Landessprecher der baden-württembergischen Linken ist er den Parteigremien zwar vertraut, aber eben keine bundesweit bekannte Autorität. Aus Sicht der Ostdeutschen dürfte er sogar als unbeschriebenes Blatt gelten. So besteht die Gefahr, dass der 56-Jährige in Göttingen von den Delegierten aus dem Osten – zu Unrecht – als eine Art Kopie des bisherigen Co-Chefs Klaus Ernst angesehen wird, der es sich mit fast allen verdorben hat.

Den Verdi-Bezirk Stuttgart zur Bastion ausgebaut

Riexingers Stärke ist die Nähe zum Arbeitnehmerlager. Seit der Verdi-Gründung 2001 ist er Geschäftsführer des Bezirks Stuttgart, den er zur Bastion der Gewerkschaft ausgebaut hat. Kaum ein Bezirk ist besser aufgestellt, wagt sich häufiger in große wie kleine Schlachten und lockt demzufolge mehr neue Mitglieder an. So gehört Riexinger, ohne in der ersten Reihe zu stehen, zu den einflussreichen Kräften, die Verdi-Chef Frank Bsirske den Rücken freihalten.

Begonnen hat er als Bankkaufmann bei der Leonberger Bausparkasse. Dort entwickelte er sich zum streitlustigen Betriebsrat und wechselte in die Gewerkschaft HBV (Handel, Banken, Versicherungen), bis die Verdi-Fusion seine Karriere in Schwung brachte. Erst infolge der Agenda 2010 entwickelte sich Riexinger zum politischen Visionär. Vor neun Jahren rief er, damals parteilos, mit frustrierten Anhängern der Sozialdemokratie die Sozialprotestbewegung ins Leben. Heute ist er bestens vernetzt mit den außerparlamentarischen Gruppen. Fast zwangsläufig beteiligte sich der Stuttgarter 2004 an der Gründung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die sich später mit der PDS vereinigte.

Gratwanderung zwischen Partei und Gewerkschaft

Riexinger ist ein sehr umgänglicher Mensch – ruhig und ausgeglichen im Wesen, ohne die Attitüde eines selbstgerechten linken Besserwissers. Er ist zudem ein Kümmerer, der sich in unspektakuläre Aktionen seiner Gewerkschaft einbringt. Der Mann kann aber auch ganz anders: Thesen formulieren, die sprachlich mit sozialistischem Beton angerührt werden. „Der Kampf für soziale Gerechtigkeit, Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, für eine neue Eigentumsordnung und gegen das Diktat der Finanzmärkte ist auch einer für mehr Demokratie in Deutschland und Europa“, schreibt er in seiner Bewerbung für den Vorsitz der Linkspartei. Begriffe wie den Generalstreik hat er noch nie gescheut. Die Doppelfunktion verlangt eine ständige Gratwanderung zwischen der Arbeit für die Partei und für Verdi. In seinen temperamentvollen politischen Reden wird der Verdi-Pragmatiker oft vom linken Dogmatiker verdrängt. Würde er in Göttingen gewählt, müsste der Gewerkschafter in den Hintergrund treten – beide Hauptämter vertragen sich dann nicht mehr.

Noch fällt es schwer, sich den Stuttgarter als großen Versöhner einer zerfledderten Partei vorzustellen. Selbst Verdi ist dagegen ein Hort der Eintracht. Riexinger sieht sich als eine glaubwürdige Integrationsfigur. Immerhin: Lange Zeit hat er es vermieden zu polarisieren – öffentliche Kommentare zum Führungsgezänk verkniff er sich, bis sein Landesverband die Rückkehr Lafontaines forderte. Den Ostfunktionären war natürlich längst klar, dass der Südwesten zum Lager der Lafontainisten zählt. Dies könnte sich nun als Hindernis erweisen. So wird auch viel davon abhängen, ob er die Delegierten überzeugen kann wie gewöhnlich die Verdi-Mitglieder im Stuttgarter Gewerkschaftshaus. Dabei weiß Bernd Riexinger sehr gut: Ein Linkspartei-Chef spielt in einer anderen Liga.