Die Führung der Linken schafft es nicht, die Partei vom Geruch der Israelfeindlichkeit zu befreien. Gysi sitzt zwischen den Stühlen.  

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Ein Jahr ist es her, dass die Stuttgarter Abgeordnete der Linken, Annette Groth, und zehn weitere deutsche Aktivisten hautnah miterlebten, wie israelische Soldaten einen internationalen Hilfskonvoi nach Gaza stürmten. Neun Zivilisten kamen dabei zu Tode. Vermutlich am Montag will die Initiative zum Bruch der Gazablockade erneut von Athen aus in See stechen, um mit Hilfsgütern Kurs auf den palästinensischen Gazastreifen zu nehmen. Diesmal werden die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion und weitere Abgeordnete nicht an Bord gehen. So bleibt der Partei ein neuer Affront erspart, denn erst jüngst hatte die Bundestagsfraktion einer Teilnahme an der zweiten Gaza-Flottille eine Absage erteilt.

 

Die Parteiführung steht unter dem wachsenden Druck, die Linke vom Verdacht der Israelfeindlichkeit befreien zu müssen. Vor einem Monat hatten zwei Wissenschaftler in einem 16-seitigen Aufsatz festgehalten, dass Antisemitismus innerparteilich immer dominanter werde. Der Vorstand beschloss daraufhin: "Es gehört zum Bestand linker Grundpositionen, gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorzugehen." Die Erklärung war Fraktionschef Gregor Gysi, der aus einer jüdischen Familie stammt, nicht entschieden genug. Mit der Warnung, Fraktion und Partei könnten an dem Thema zerbrechen, setzte er zwei Wochen später im Kreis der Abgeordneten die Resolution "Entschieden gegen Antisemitismus" durch. Konkret heißt es darin, dass sich die Linksfraktion weder an Initiativen zum Nahostkonflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der Gaza-Flottille beteiligen werde.

Gysi sitzt zwischen den Stühlen

Doch alle Verlautbarungen lassen keine Ruhe einkehren. Mindestens zehn Fraktionsmitglieder hatten die Abstimmung boykottiert, andere ganz gefehlt. Einige erregten sich über den Beschluss als "Maulkorberlass" für Israelkritiker. Der Zentralrat der Juden wertete daher die Versuche, sich von antisemitischen Tendenzen zu distanzieren, als "spektakulär missglückt".

Gysi sitzt nun zwischen den Stühlen. In dieser Woche will er einen weiteren Beschluss fassen lassen, der eher beschwichtigend statt eindeutig wirken dürfte. In diesem Sinne versuchte Parteichef Klaus Ernst, die Debatte einzudämmen: "Wir erleben zurzeit eine Inflationierung des Begriffs Antisemitismus", klagte er vor 220 Kreisvorsitzenden in Hannover. Es gebe in der Partei niemanden, "der blindwütigen Israelhass propagieren würde".

Annette Groth hat in der Fraktion nicht mitgestimmt

Das Thema rührt an den Grundüberzeugungen der Vorgängerpartei: Die SED hatte früher in ihrem Antifaschismus gern Feindseligkeit gegen den Judenstaat als die Speerspitze des Westens mitschwingen lassen. Seither wird das Existenzrecht Israels immer wieder infrage gestellt. Zentralratspräsident Dieter Graumann spricht vom "antizionistischen Geist der DDR", der noch in der Partei spuke. Seiner Forderung nach einer klaren Abgrenzung schloss sich am Wochenende der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, an.

Derart alarmiert, wenden sich etliche führende Funktionäre kollektiv gegen den üblen Geruch. "Was uns schwerfällt, ist die schnelle Reaktion, Antisemitisches als solches zu identifizieren, um es dann klar zu brandmarken", sagte der Thüringer Bodo Ramelow dem "Spiegel". Die Parteivize Katja Kipping äußerte gegenüber der "Berliner Zeitung", sie kenne zwar keine Antisemiten in ihrer Partei, es gebe aber Mitglieder, die eine "sehr fragwürdige Bündnispolitik" betrieben und keine klare Grenzziehung zu Organisationen vornähmen, "die sehr wohl antisemitisch sind". So steckten hinter der Gaza-Flottille Organisationen, "deren erklärtes Ziel es ist, Israel von der Landkarte zu streichen". Mit solchen Leuten könne man keine Bündnisse eingehen.

Annette Groth ficht so etwas nicht an. Sie hat in der Fraktion nicht mitgestimmt, ist mit der offiziellen Parteilinie jedoch "total unglücklich". "Grundsätzlich spreche ich mich gegen Denkverbote aus", erklärte sie. Das Recht, israelische Politik anzugreifen, lasse sie sich nicht nehmen, weil diese Kritik nicht gleichzusetzen sei mit Antisemitismus. Der Beschluss der Fraktion, die Gaza-Flottille zu meiden, sei schon deswegen ein falsches Zeichen, weil eine "große linke internationale Delegation" und selbst jüdische Organisationen sowie zahlreiche linke Israelis daran beteiligt seien.

Linke Provokation

Aufgefallen: In jüngster Zeit sind Angehörige der Linkspartei über die letztjährige Teilnahme an der Gaza-Flottille hinaus diverse Male mit israelkritischen Aktionen angeeckt:

Im Januar 2010 sind drei Linke-Bundestagsabgeordnete wie Sahra Wagenknecht nach einer Rede des israelischen Präsidenten Schimon Peres zum Holocaust-Gedenktag demonstrativ beim Schlussapplaus sitzen geblieben.

Im März 2011 hat ein Bremer Friedensforum vor einem Supermarkt zum Boykott israelischer Früchte aufgerufen.

Im April tauchte ein Flugblatt mit antisemitischem Inhalt und einem Symbol, das Hakenkreuz und Davidstern verbindet, auf der Homepage der Linkspartei in Duisburg auf.

Im Mai sprach die Abgeordnete Inge Höger bei einer Palästinenserkonferenz in Wuppertal und ließ sich einen Schal umlegen, der Orte zeigt, aus denen die Palästinenser vor der Ausrufung des Staates Israel vertrieben wurden.