Die Skandalisierung von Kleinigkeiten ist nur eines derProbleme, die sich in der Metoo-Debatte bemerkbar machen. Man hört einander nicht zu, wie Catherine Deneuve gerade erfahren hat. Und man heuchelt schon mal schamlos herum.

Stuttgart - Bevor die Vorsicht einsetzt, ist zunächst mal die Empörung da. Durch die sozialen Netzwerke laufen Meldungen, die das innere Wutflämmchen mit Sauerstoff versorgen: „Catherine Deneuve fordert Recht auf sexuelle Belästigung“, steht da zum Beispiel. So kann man die Metoo-Debatte natürlich in den oberen Rängen der Facebook-Rangliste geteilter, mit Grimmfratzen-Smileys versehener Beiträge halten. Der kleine Schönheitsfehler dieses Adrenalindrüsendrills? Deneuve, die Grande Dame des französischen Kinos, hat das so nie gesagt, nicht sie und nicht die anderen 100 Frauen, die gerade einen offenen Brief unterzeichnet haben.

 

Der mahnt, in der laufenden Debatte um massive sexuelle sexuelle Gewalt und subtilere sexuelle Erpressungen nicht alles Unangenehme zu kriminalisieren, nicht jede im Einzelfall als missglückt oder unerwünschte Anmache als kategorisch zu unterbindenden Übergriff zu definieren, nicht dem lust-, fleisch- und tändelfeindlichen Puritanismus Vorschub zu leisten. Auch das aufdringliche oder plumpe Flirten müsse erlaubt bleiben. Deneuve meint sichtlich nicht, dass Frauen sich in die Opferrolle fügen sollen, Deneuve fordert Frauen auf, so wenig Opfer zu sein, dass sie eine im speziellen Fall unerwünschte Handlung zurückweisen.

„Rettungslos lobotomiert“

Die Regisseurin und Schauspielerin Asia Argento, die zu jenen Frauen gehört, die heftige Vorwürfe gegen Harvey Weinstein vortragen, hat aber wie viele andere bereits heftig reagiert. „Deneuve und andere Frauen offenbaren der Welt, dass ihr verinnerlichter Frauenhass sie rettungslos lobotomiert hat“ giftete Argento via Twitter. Diese Tonart und die mit ihr einhergehende Vermischung, Vermengung und Verunklarung von Gewaltverbrechen, Mobbing, Rüpelhaftigkeit, Unbeholfenheit, Verklemmtheitsentgleisung und nicht besonders gut ankommendem Humor sind länger schon typisch für die Metoo-Bewegung.

Gegen den amerikanischen Schauspieler und Regisseur James Franco sind ebenfalls Vorwürfe sexueller Belästigung erhoben worden, die einen seltsamen Beigeschmack von Retourkutsche haben und die Franco auch bestreitet. Eine neue Qualität der Perspektivverzerrung mengt sich in die Attacken. Eine der Schauspielerinnen wirft Franco vor, sie habe – wie vertraglich vorgesehen – Nacktszenen spielen müssen. Aber was sei ihr denn übrig geblieben, als den Vertrag zu unterschreiben, wo sie diesen Job doch gebraucht habe? Das sind nun wirklich komplett verdrehte Alice-im-Wunderland-Definitionen sexueller Belästigung.

Der kleine Unterschied

Wie geheuchelt umgekehrt viel von jenem Mainstreamkämpfertum ist, das sich in Hollywood gerade bei den Golden Globes als Kraft des Guten positioniert hat, zeigt eine bislang undementierte Meldung der Zeitung „USA Today“. Beim Nachdreh zu „All the Money in the World“, der vom Regisseur Ridley Scott angeordnet wurde, weil er den vorwurfsbelasteten Kevin Spacey aus dem Film strich und alle entsprechenden Szenen mit Christopher Plummer neu aufnahm, machten die Darsteller nach Scotts Angaben gratis mit. Hauptdarstellerin Michelle Williams erhielt für den Aufwand tatsächlich auch bloß eine Entschädigung von 1000 Dollar. Der männliche Hauptdarsteller Mark Wahlberg allerdings bekam das Eintausendfünfhundertfache davon: 1,5 Millionen Dollar. Sollte sich das bewahrheiten, wäre es das spektakulärste Beispiel für die Gagenschere zwischen Frauen und Männern in Hollywood, zumal Williams und Wahlberg von derselben Künstleragentur vertreten werden. Die Metoo-Debatte braucht also dringend mehr Ehrlichkeit, Augenmaß, Begriffsschärfe und Faktenbasis.