Es gibt Intendanten und Regisseure ohne Respekt vor Schauspielern. Sie stehen in einer Tradition selbstherrlicher Tyrannei. Aber auch der Widerstand formiert sich nun.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Als die Schauspielerin Corinna Kirchhoff noch zum Ensemble des Wiener Burgtheaters gehörte, hatte sie in Justine del Cortes Tragikomödie „Der Komet“ einen längeren Monolog, in dem es direkt am Anfang heißt: „Nur die Solidarität macht ein konstruktives Zusammenleben möglich.“ Das bleibt in dieser Szene ein frommer Wunsch, denn im Folgenden schildert Kirchhoff, wie es zugehen kann, wenn man auf dem Theater als (in diesem fiktiven Fall: schwangere) Frau einem Regisseur im Weg ist. Der Regisseur sagt: „Wenn du nicht (die Kündigung) unterschreibst, stell ich dich nackt auf die Bühne und lass dich pissen, und das musst du dann machen, sonst sage ich, du seist künstlerisch untragbar, dann bin ich dich los – willst du das lieber so?“ Am Ende rennt die Frau den Flur herunter, so gut das in ihrem Zustand noch geht, und der Regisseur sagt: „That’s Entertainment. Und das wollen alle.“ Die Akteurin und Autorin del Corte ist verheiratet mit dem meistgespielten deutschen Dramatiker unserer Tage, Roland Schimmelpfennig, der in diesem Premierenfall von September 2012 obendrein in Wien die Inszenierung übernommen hatte. Man darf also voraussetzen, dass sie wussten, was sie da verhandelten.

 

Corinna Kirchhoff, mittlerweile am Berliner Ensemble, gehört zu den Unterzeichnern eines offenen Briefs, den jüngst 60 Schauspielerkollegen an der Wiener Burg unterschrieben haben. Jahre nach der Entlassung des ehemaligen Intendanten Matthias Hartmann, der zudem der maßgebliche Regisseur am Haus gewesen ist, thematisiert dieser Brief dessen selbstherrliches Gebaren und Machtmissbrauch. Bezüglich der Probenarbeit und Gesprächskultur ist von einem „Klima der Angst“ die Rede und auch von rassistischen und obszönen Kommentaren Hartmanns. Nichts davon ist wohl justiziabel, wirft aber gleichwohl noch einmal ein trübes Licht auf den Niedersachsen, der sich gerne als „Vater einer großen Theaterfamilie“ verkaufte – und das mitunter auch gewesen sein mag. Die Kirchhoffs, del Cortes und Schimmelpfennigs haben ja nicht zufällig viel in Wien gearbeitet – und man selber, worüber man dieser Tage auch erschrickt, hat das alles meist sehr gerne angeschaut und besprochen. Über all dies hinaus fällt zusätzlich noch ein nicht viel schöneres Licht auf die Zukunft des Burgtheaters, dem demnächst der Intendant und Regisseur Martin Kusej (bisher am Münchner Residenztheater) ins Haus steht – also wieder ein relatives Allmächtigkeitsmodell. Der Brief ist auch aus taktischen Gründen geschrieben worden. Kusej geht der Ruf des Cholerikers voraus.

Patriarchalische Machtstruktur

Nach unangenehmen Details in ihrer Bühnenvergangenheit befragt, hat Corinna Kirchhoff (Jahrgang 1958), eine der reflektiertesten deutschen Schauspielerinnen, entschieden, dass sie keine nennen werde. Interessanter, so schreibt sie in einem Beitrag für die „FAZ“, erscheine ihr eine „ökonomische, sexuelle, autoritäre, letztlich patriarchalische Machtstruktur, die sich am Theater in geradezu absolutistischer Form unter dem Mantel künstlerischen Eigenwillens halten konnte.“ Diese Struktur schüre bis zum heutigen Tag „Abhängigkeiten“ und lade „zum Missbrauch“ ein beziehungsweise dazu, „sich missbrauchen zu lassen“.

Zeitlich fast parallel hat der junge, frei arbeitende Regisseur Tim Tonndorf (Jahrgang 1985) im Online-Forum „Nachtkritik“ (www.nachtkritik.de) der Diskussion eine weitere Perspektive hinzugefügt. Er reagierte auf ein Interview, das der Kulturjournalist Michael Laages (geboren 1956, das Alter spielt in diesen Zusammenhängen eine Rolle), dem Sender DLF-Kultur nach den jüngsten Hartmann-Enthüllungen gegeben hatte. Der Beitrag ist immer noch abrufbar – und man sollte bei Minute 04.34 einsetzen. Da sagt Laages, konfrontiert mit allerhand Regisseursdespotien: „Das isso. Das kann man gerne ändern wollen, aber bislang isses so.“ Theater, so Laages weiter, sei nun mal „kein Ponyhof“ und „gedeckelt“ werde eben jeder Schauspieler mal. Es folgen einschlägige Namen von der Eisbergspitze: Peter Zadek, Bob Wilson, Claus Peymann. Alles Regisseure, die sich, oft unwidersprochen, für Genies halten und hielten.

In prekären Verhältnissen

Tonndorf widerspricht vehement. Als Praktikant hat er vor gut zehn Jahren am Berliner Ensemble unter Peymann bittere Erfahrungen gesammelt. Sätze wie „Mach, du Arschloch!“ und „Verschwinde aus meinem Theater, sonst mach ich dich fertig!“ gehörten Tonndorf zufolge zur Tagesordnung. Der junge Regisseur blieb trotzdem ein Jahr lang, was ihm jetzt im Netz vorgeworfen wird von Leuten, die es besser wissen sollten: Wer am Theater arbeitet, lebt meistens in prekären Verhältnissen. Was nach viel Freiheit ausschaut, baut häufig auf reichlich Unfreiheit auf.

Wie auf der einen Seite klar ist, dass man über künstlerische Schauspielarbeit nicht dauernd demokratisch abstimmen kann, ist umgekehrt offensichtlich, dass sich an etlichen Bühnen bis heute feudalistische Strukturen in einem Maß erhalten haben, die ein aufgeklärtes Theater eigentlich nicht wollen kann. Wie sehr sie noch an den in der Bundesrepublik zu 78 Prozent von Männern dominierten Bühnen greifen, illustriert wieder ein Blick auf den Artikel von Corinna Kirchhoff, die zunächst, wie sie einräumt, den eigenen „Machtzuwachs im machterhaltenden ,System‘“ gesucht hat, „also: prominenter werden, einflussreicher, egoistischer, aggressiver“, um sich schließlich zur „Treue zu sich selbst“ durchzuläutern. Als relativ souveräne, viel und gut beschäftigte Schauspielerin konnte sie Solidarität mit anderen üben.

Schaukämpfe mit Prinzipalen

Eben solche Solidarität – und die Dominanz des kollektiven Gedankens – galten in den siebziger Jahren schon einmal als Ausweis progressiver Theaterwirklichkeit, als in der Berliner Schaubühne ansatzweise die künstlerische Mitbestimmung praktiziert wurde - erstaunlicherweise fast folgenlos für die Entwicklung nach der Anfangseuphorie. Aus den maßgeblichen Männern der damaligen Zeit im Berliner Zentrum und Umfeld wurden relative Autokraten: Peter Stein, Klaus-Michael Grüber oder eben Claus Peymann pflegten und pflegen bis heute einen Stil, der etwas vom fürstlichen Bestimmungsprinzip hat. Analog zu diesem Modell, das auch viele Nachfolger übernahmen, fungierten Teile der Theaterkritik. Auch hier schufen sich zwei, drei Monopolisten eigene Reiche, von denen aus Schaukämpfe mit den Prinzipalen stattfanden. Am Ende waren alle sehr, oft zu sehr, mit sich selbst beschäftigt und stützten sich auf den „gesellschaftlich akzeptierten Freibrief für menschliche Verfehlungen aller Art“ (Tim Tonndorf), der sich wiederum auf den hehren Künstlernimbus beruft.

Ob festgeschriebene 50 Prozent Intendantenfrauen, wie der Verein Pro Quote Bühne sich das wünscht, an solchen Zuständen grundlegend etwas ändern würden, weiß man nicht. Schließlich gab es, von Helene Weigel bis Arian Mnouchkine, auch ein paar Matriarchinnen auf dem Theater, die, wie im Falle von Andrea Breth, schon mal mit Aschenbechern um sich werfen, wenn es nicht so hinhaut. Aber das ist natürlich kein Vergleich zu dem Männerphänomen des Machtmissbrauchs, das auch Varianten kennt. Etliche Intendanten jüngerer Prägung, die selbstherrliches Herumbrüllen kaum mehr als chefspezifischen 1-a-Charakterzug betrachten, richten mit ihrer Controllermentalität still und leise sicher auch beträchtlichen Schaden an. Darüber hinaus jedoch ist vielerorts – nicht zuletzt im Osten – eine neue Generation von jungen Theaterleuten dabei, die alten Fehler des Systems nicht noch einmal zu wiederholen. Mit Erfolg: Es geht auch anders.

Blumige Vorstellungen

Wie sehr Theaterleute wiederum manchmal in ihren Herkunftszusammenhängen stecken und stecken bleiben, selbst wenn sie denen gerade entkommen wollen, verdeutlicht im Übrigen der Text von Corinna Kirchhoff, der am Schluss zu Recht fordert, dass die schauspielerischen Vermögen älterer Darstellerinnen auf dem Theater im Rahmen der „Verantwortungskultur“ neu überdacht werden sollten. Ein Defizit zweifellos. Ein Defizit aber womöglich auch, dass Kirchhoff am Ende doch nur wieder an die Männer appelliert, von denen sie sich wünscht, sie möchten „in Herzensangelegenheiten mitsamt ihren sexuellen Aspekten reifer werden, um Konflikte zugewandt zu durchleben“. Sehr blumige Vorstellung. Umgekehrt erinnern diese Einlassungen nicht mit einem Wort an jene Frau, die einmal als Claus Peymanns Pressesprecherin in Wien angefangen hat, um sich an der Burg zu emanzipieren und 2014 als erste Intendantin in der Geschichte des Hauses überhaupt grundsolidarisch einen relativen Saustall auszumisten half, den Matthias Hartmann ihr im Atmosphärischen und Finanziellen hinterlassen hatte. Ihr Name: Karin Bergmann.