Die deutsche Netflix-Produktion „Wir sind die Welle“ erfindet rebellische Helden für die Generation Greta. Showrunner Dennis Gansel erzählt von einer Gruppe Schüler, die endlich die Welt retten will.

Stuttgart - Auch einer der größten Songschreiber des Pop kann mal irren. „Wenn Schlachthöfe Wände aus Glas besäßen“, hat der Ex-Beatle Paul McCartney einmal gesagt, „wären alle Menschen Vegetarier.“ Weil Aufklärungsarbeit alleine aber nicht funktioniert, schleudert ein junger Aktivist namens Tristan in der deutschen Netflix-Serie „Wir sind die Welle“ einen Molotow-Cocktail durch das Fenster einer Schlachtanlage und filmt das Ganze mit dem Handy. Aber wir sehen nicht einfach der Verblendung zu, die direkte illegale Aktion bringe stets mehr als der Weg durch die Instanzen. Die Lage ist ein bisschen komplizierter.

 

Tristan (Ludwig Simon) glaubt zwar an die Fähigkeit von Videos in sozialen Netzwerken, die Welt zu ändern. Aber dieses Video soll nicht hinaus in die Welt. Mit der Dokumentation einer strafbewehrten Aktion gibt sich der Vorbestrafte ganz in die Hände einiger weniger Mitstreiter, denen er das Video zuspielt und die ihn nun jederzeit anzeigen könnten. So will er eine Kerngruppe von Aktivisten, die sich „Die Welle“ nennen, auf bedingungsloses Vertrauen zueinander einschwören. Will auch heißen: auf Misstrauen gegenüber den vielen, die man zu erreichen hofft. Der Kernwiderspruch einer charismatischen Bewegung unter rebellischen Oberschülern wäre damit offen gelegt.

Ein Fall für Lassie

„Wir sind die Welle“ ist als Jugendserie für die Generation Greta gedacht, und ihr Showrunner Dennis Gansel tut sein möglichstes, erst einmal das Publikum normaler Schulserien mit vertrauten Klischees und Mätzchen anzufüttern. Tristan bekommt in der Exposition einen mega-coolen Auftritt nach dem anderen: Er ist der Straßenkampfexperte, der die Jungfaschos an der Schule auflaufen lässt; der lässig aufsässige Alleswisser im Geschichtsunterricht; der Typ im Schulasi-Outfit, der sich erst ans Klavier setzt und Beethoven spielt und dann verbotenerweise aufs Schuldach klettert; der coole Checker, der mit dem gemobbten Schul-Libanesen Arabisch spricht, unter Berücksichtigung libanesischer Dialektformen. Mit 17 hat man eben schon jede Menge Leben hinter sich und als finalen Glaubwürdigkeitsstempel den Jugendknast.

Diese Unbekümmertheit in der Verzeichnung der Figuren wird „Wir sind die Welle“ immer wieder zum Verhängnis – vor allem, wenn einer Multikulti-Heldentruppe, die gegen Plastikmüll, Waffenhandel, Tierqual und Rassismus zu Felde zieht, eine Gruppe Jungnazis entgegen steht, die so substanzlos wirkt, dass es eigentlich genügen würde, sie in einer „Lassie“-Folge von jedermanns Lieblings-Collie verbellen zu lassen. Quatsch allerdings sind jene Kritiken, die „Wir sind die Welle“ nun als besonders schlechte Serienadaption von Morton Rhues Schullektüreklassiker „Die Welle“ abkanzeln.

Überlebensgroß und aufgeregt

Rhues Bericht über ein Gemeinschaftskundeexperiment, bei dem sich im Mikrokosmos der Schule faschistoide Strukturen herausbilden, ist mehrfach verfilmt und verfremdet worden. Eine deutsche Verfilmung hat 2008 zwar genau dieser Dennis Gansel vorgelegt, mit Jürgen Vogel in der Rolle des Lehrers. „Wir sind die Welle“ ist aber keine Verfremdung und Streckung des Stoffs, sondern der Versuch des Weiterdenkens: Wie sähe es wohl aus, wenn die Unzufriedenen, die Verzweifelten, die Empfindsamen und die Klarsichtigen unter den Schülern versuchten, die Welt vor den Folgen eines enthemmten Kapitalismus zu retten?

Die Serie ist völlig unentschlossen, ob sie vor der Eigendynamik solcher Bewegungen warnen oder den Mut zum lauten Neinsagen anstacheln soll. Aber vielleicht ist das aus der Perspektive der Zielgruppe gesehen gar kein Manko. „Wir sind die Welle“ will hineinstechen in eine Phase der Verwirrung und Empörung und will mit überlebensgroßen Identifikationsfiguren graffiti-grell die Aufwallung beglaubigen: „Aber irgendetwas muss doch dringend getan werden – wenn nicht von den anderen, dann von uns!“ Wenn man 30 ist, interessiert einen das in dieser Form schon längst nicht mehr. Wenn man 16 ist, empfindet man vielleicht, noch nie habe sich eine Serie so flott auf das eigene politische Erwachen eingelassen.