Älter werden darf man, man darf es sich nur nicht anmerken lassen. Vom fremden und selbstgemachten Druck, jugendlich zu sein und doch auch gereift, erzählt der Amerikaner Noah Baumbach in „Gefühlt Mitte Zwanzig“: leichtfüßig, mit Untertönen in Moll.

Stuttgart - Tick, tack, tick, tack, die Zeit läuft: Die Freunde sind erfolgreich im Job, bekommen Babys und , pflanzen einen Baum. Plötzlich sind alle „im besten Alter“ und amüsieren sich über die Flausen der Jüngeren, die sich einbilden, sie könnten den Lauf der Welt beeinflussen. Spätestens Mitte vierzig sollte Schluss sein mit idealistischen Schwärmereien, es gibt schließlich Wichtigeres im Leben!

 

Schleichend hat sich im Selbstverständnis der Menschen, die Josh (Ben Stiller) und Cornelia (Naomi Watts) eben noch für ihre engsten Vertrauten hielten, einiges geändert. Das Paar, das von außen betrachtet eigentlich glücklich sein könnte, gerät deshalb unter Druck. Josh ist Dokumentarfilmer, doch seit seinem gefeierten Erstling sind Jahre vergangen.

Während er an der Uni Filmgeschichte unterrichtet, arbeitet seine Frau Cornelia, die Tochter eines Regisseurs, als Produzentin. Es wäre längst an der Zeit, ein Kind in die Welt zu setzen, auch mental sesshaft zu werden und den egoistischen Lebensstil aufzugeben. Doch Cornelia hat schon zwei Fehlgeburten hinter sich, und Josh rennt noch immer der Idee vom perfekten Film hinterher.

Da nagt einiges am Ego

Noah Baumbach ist ein Spezialist für bittersüße Geschichten, die von menschlichen Krisen erzählen. Obwohl seine Figuren einem speziellen Milieu entspringen, sind deren Schwierigkeiten, Ängste und Neurosen für jeden nachvollziehbar. Wie die früheren Titelhelden „Frances Ha“ (2012) oder „Greenberg“ (2010) sind Josh und Cornelia Srebnic in „Gefühlt Mitte zwanzig“ von der Furcht getrieben, sie könnten hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben. Die Ansprüche der beiden an sich selbst sind hoch, das Gefühl, niemals zu genügen, nagt am Ego.

Seit Jahren versucht Josh, seinem Schwiegervater und künstlerischem Idol Leslie (Charles Grodin) zu gefallen. Doch der hält Josh für einen Blender, der nichts zu Ende bringt. Baumbach lässt die Generation der Eltern und Kinder aufeinander krachen und offenbart, wie tief die Kluft ist, obwohl sich die hochgehaltenen Werte auf beiden Seiten kaum voneinander unterscheiden.

Die Chancen des Jungseins

Das klingt nach großem Drama, doch Baumbach macht daraus eine leichtfüßige, niemals banale Komödie mit Untertönen in Moll. Mit einem kurzen Prolog inklusive Ibsen-Zitat macht der Regisseur klar, dass er von außen auf eine Situation schaut, die an eine Versuchsanordnung erinnert. Wie Ibsens ehrgeiziger und selbstsüchtiger Baumeister Solness auf seine Nemesis in Gestalt einer jungen Frau trifft, so begegnet Josh an der Uni einem Hipster-Pärchen, das ein heutiges Abbild von ihm und Cornelia in der Vergangenheit ist.

Während Josh sich einerseits müht, einen verantwortungsvollen und reifen Erwachsenen abzugeben, entdeckt er andererseits durch die Freundschaft zum charismatischen Jamie (Adam Driver) und dessen lässiger Freundin Darby (Amanda Seyfried) die Chancen und Freiheiten, die das erneute Jungsein ihm bietet.

Hinter der Maske des Unbekümmerten

Mit den drei Männergestalten Leslie, Josh und Jamie zeichnet Baumbach generationenübergreifend Prototypen heutiger Lebensentwürfe. Der alte Leslie ist zwar ein Mann mit Prinzipien, dennoch bereit, die eigenen Ideale, falls nötig, außen vor zu lassen. Und während der mittelalte Josh fast selbstzerstörerisch an seinen Ansprüchen klebt, entpuppt sich der junge Jamie als Chamäleon: Hinter der Maske des unbekümmerten Hipsters steckt ein abgebrühter Karrierist.

Treffend beobachtet sind auch Baumbachs Frauenfiguren, die einerseits auf der Suche nach sich selbst sind, andererseits vom Wunsch nach einer harmonischen Ehe mit perfektem Nachwuchs getrieben werden – ein Zwiespalt, der letztlich zur weiblichen Selbstbeschränkung führt. Baumbach inszeniert diese Zerrissenheit in einer so komischen wie tragischen Szene, in der Cornelia ihre Freundin in einen Musikkurs für Säuglinge begleitet. Umringt von quäkenden Kindern, die keinen Spaß am infantilen Zirkus haben, spürt die Kinderlose ihren Makel. In einer Mischung aus Entsetzen und peinlicher Berührung flüchtet sie schluchzend aus dem Saal. Im Hip-Hop-Tanzkurs mit Darby würde sich Cornelia gerne die Seele aus dem Leib hopsen, doch auch hier zeigt Noah Baumbach, wie deplatziert sie zwischen den fitten Körpern wirkt.

Abdriften ins Konservative

Absurde Szenen wie diese sind ungeheuer komisch, aber sie enthalten eine tragische Wahrheit. Im Bestreben, sich körperlich wie mental zu optimieren, dabei zugleich an Reife und Weisheit zu gewinnen, geraten Cornelia und Josh in Gefahr, die eigenen Bedürfnisse aus den Augen zu verlieren. Obwohl Baumbach die Hipster-Kultur der Jungen verachtet und dabei ins Konservative abdriftet, ist sein Porträt einer Generation zwischen den Stühlen klug, ehrlich – und zum Heulen schön.

Gefühlt Mitte zwanzig. USA 2014. Regie: Noah Baumbach. Mit Ben Stiller, Naomi Watts, Adam Driver, Amanda Seyfried, Adam Horowitz, Maria Dizzia. 97 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.