Beim populärsten Filmpreis der Welt ist das Kandidatenfeld eindeutig bunter als früher. Das „Musical La La Land“ ist jetzt offiziell der ganz heiße Oscar-Favorit. Aber auch „Toni Erdmann“ darf sich Hoffnungen machen.

Stuttgart - Das war dann doch noch mal richtig spannend. Nachdem Maren Ades in Cannes noch beispiellos gefeierte Komödie „Toni Erdmann“ bei der Verleihung der Golden Globes gerade erst leer ausgegangen war, schien fürs aktuelle Oscar-Rennen wieder alles offen. Als die Academy of Motion Picture Arts and Sciences am frühen Dienstagnachmittag deutscher Zeit die fünf Nominierten im Rennen um den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film verkündete, da glitten die Filmtitel nacheinander in alphabetischer Reihenfolge auf die Bildschirme jener, die sich den Livestream ansahen: „Land of Mine“ aus Dänemark, „Ein Mann namens Ove“ aus Schweden, „The Salesman“ aus dem Iran, „Tanna“ aus Australien – und dann kam, endlich, „Toni Erdmann“.

 

Diese Entscheidung spiegelt zwar nur die bereits deutlich gewordene Begeisterung der Kritiker in amerikanischen Groß- und Universitätsstädten, wo Ades vielschichtige und schräge Vater-Tochter-, Karriere-und-Werte-Geschichte jetzt über die Leinwände von Filmkunstkinos tingelt. Trotzdem ist die Oscar-Nominierung wichtig, weil sie belegt, dass die Enthusiasmuswelle von Cannes, wo „Toni Erdmann“ viele Herzen gewann, aber keinen Preis, keines jener bizarren Psychowetterphänomene war, die Festivals manchmal heimsuchen und die sich auch die Mitgerissenen ein paar Wochen später schon nicht mehr recht erklären können. Für die deutsche Filmszene bleibt „Toni Erdmann“ ein wichtiges Signal, dass gerade Filme jenseits der Drehbuchschulenmuster und der für bestimmte TV-Sendeplätze optimierten Klischees erfolgreich sein können.

Gute Zeiten für Muscials?

Außerhalb von Deutschland wird eine andere Botschaft dieser Oscar-Nominierungsrunde allerdings gewiss mehr Aufmerksamkeit finden. Damien Chazelles Musical „La La Land“ hat nun in dreizehn Kategorien Chancen, vierzehn Oscars zu gewinnen (gleich zwei Lieder sind nämlich als bester Song nominiert). Hollywood nimmt begeistert auf, dass da jemand das eskapistische, leichte, elegante Kino von einst aufgreift – und doch so modern aufraut, so skeptisch abwürzt, dass es nicht museal, muffig oder tüdelig wirkt.

Auch in den Kernkategorien beim populärsten Filmpreis der Welt tritt „La La Land“ an: bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin (Emma Stone) und bester Hauptdarsteller (Ryan Gosling). Aber auch wenn das ein weißes Paar ist, auch wenn „La La Land“ ausgerechnet für seine Nebendarsteller, unter denen sich Afroamerikaner finden ließen, nicht nominiert wurde, sind es diesmal keine kalkweißen Oscars. Nach den Protesten und Spottattacken gegen den glamourgeschminkten Rassismus der Academy scheint die eilige Erweiterung der Mitgliederschaft um Filmschaffende mit z.B. afroamerikanischen und asiatischen Wurzeln Früchte zu tragen. Jedenfalls sieht das Nominiertenfeld schon bunter aus als früher.

Die Oscars öffnen sich für Afroamerikaner

Neben Gosling, Casey Affleck („Manchester by the Sea“), Andrew Garfield (Hacksaw Ridge“) und Viggo Mortensen („Captain Fantastic“) ist Denzel Washington („Fences“) als bester Hauptdarsteller nominiert. Und neben Emma Stone, Isabelle Huppert („Elle“), Natalie Portman („Jackie“) und Meryl Streep („Florence Foster Jenkins“) darf sich die in Äthiopien geborene Ruth Negga wenigstens ihre Außenseiterchancen als beste Hauptdarstellerin ausrechnen. Unter den fünf männlichen Nebenrollen-Nominierten sind zwei nicht-weiße Darsteller, Dev Patel („Lion“) und Mahershala Ali (Moonlight“), unter den weiblichen gar drei Afroamerikanerinnen, Viola Davis (Fences“), Naomie Harris („Moonlight“) und Octavia Spencer („Hidden Figures“).

Dass inzwischen neun Produktionen um den Titel des besten Films konkurrieren, erscheint manchem Oscar-Freund nach wie vor inflationär. Dieses Jahr hat diese Regelung aber immerhin dazu geführt, dass gleich drei Filme mit afroamerikanischen Themen und afroamerikanischen Talenten vor und hinter der Kamera den PR-Schub der Oscar-Nacht bekommen: „Fences“ (insgesamt 4 Nominierungen), („Hidden Figures“, 3 Nominierungen) und „Moonlight“ (8 Nominierungen, so viel wie „Arrival“ von Denis Villeneuve, was einen geteilten Platz Zwei hinter „La La Land“ ergibt). Dazu kommt noch „Lion“, die Geschichte eines nach Australien adoptierten indischen Buben, der als junger Mann seine biologische Familie sucht. Man darf gespannt sein, wie viel Buntheit in der Gewinnerriege am 28. Februar übrig bleiben wird.