Julia Schramm jedenfalls glaubt an den Erfolg, ein paar Entwicklungen der Partei vorausgesetzt. Sie meint, es werde auch davon abhängen, wie schnell es gelingt, Debatten zu bündeln. Schramm ist seit 2009 Mitglied der Piraten, sie schreibt einen eigenen Blog und einen Roman über das Leben ihrer Generation im Internet. Sie wirkt extrem selbstbewusst, wie sie da in einem Berliner Café sitzt und sich selbst mal als Wissenschaftlerin, mal als Publizistin und mal als Urheberin bezeichnet.

 

Die Frau macht offensichtlich Politik mit Leidenschaft – auch wenn sie in der Partei kein Amt innehat. Sie ist eine jener Figuren, die als Gesichter in den Medien präsenter sind als andere, so wie die derzeitige politische Geschäftsführerin Marina Weisband, der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer oder sein latzhosentragender Kollege Gerwald Claus-Brunner.

Das ist gefährlich, denn die piratische Masse, das weiß Schramm, die liebt es nicht, wenn sich ein Mitglied zu stark exponiert. Dann droht das Netz mit dem schmerzhaften „Shitstorm“. Die Partei aber, so glaubt Schramm, braucht Leute, die Diskussionsprozesse organisatorisch vorantreiben. Weil sie sich das zutraut, will sie nun für den Bundesvorsitz kandidieren – gegen den Amtsinhaber Sebastian Nerz und einige weitere Kandidaten. Schramm gilt als eine der aussichtsreicheren neben dem Berliner Bernd Schlömer. Sie hat sich lang überlegt, ob sie vor dem Parteitag überhaupt öffentlich spricht. Medienpräsenz wird schnell abgestraft.

Die AG Außenpolitik braucht eben viel Ziel

Lieber redet sie ganz allgemein über den Erfolg ihrer Partei. „Wir schaffen es, dass Menschen sich wieder für Politik interessieren, weil wir den ganzen Zirkus hinterfragen.“ Inhalte? „Mir gefällt nicht, wenn in der Öffentlichkeit die Vorstellung ankommt, wir hätten zu vielen Themen keine Ahnung.“ Es gebe sehr kompetente Arbeitsgruppen zu vielen Themen. „Wir haben zum Beispiel eine fantastische AG Außen- und Sicherheitspolitik. Die arbeiten ernsthaft und gut und die brauchen dann eben ein Jahr, um eine Position zu Israel zu entwickeln“, sagt Schramm.

Es herrscht also die Überzeugung, alles anders und vor allem besser machen zu können als die etablierte politische Klasse. Diese Überzeugung harrt zwar bis jetzt des Beweises. Aber sie ist anziehend für viele Menschen, die sich der Politik entfremdet fühlen, wie die Umfragen zeigen.

Drei Wahlen stehen an

Nun stehen dazu noch überraschend drei Landtagswahlen an, und die Zeichen für die Piraten stehen auf Einzug. Die Partei bestreitet die Wahlkämpfe ohne Struktur und dicken Geldbeutel, dafür mit einer binnen sechs Monaten verdoppelten Mitgliederzahl und einer beispiellosen, vielleicht auch konkurrenzverzerrenden Daueraufmerksamkeit in den Medien.

Denn die Partei ist ein ideales Objekt medialer Begierde: Was die Piraten machen, ist ein Politikexperiment in Echtzeit – mit wachsender Zustimmung und Beteiligung. Zu beobachten ist eine Gruppe meist junger Menschen, die in ihrer Mehrzahl ernsthaft politisch etwas verändern möchte, und entweder die richtige Sprache, den richtigen Zeitpunkt, den Genossen Zufall oder alles zusammen gefunden haben, um eine erstaunlich hohe Anzahl von Menschen auf ihrem Weg mitzunehmen. Es weiß bloß keiner so genau, wohin der führt. Das Internet wird bei dieser Suche zum Big-Brother-Container: Wer interessiert ist, der kann dabei zuschauen, zuhören, wie eine politische Kraft versucht, sich zu formieren. Man kann tief einsteigen in inhaltliche Debatten zu Einzelpunkten. Aber viel leichter zugänglich ist die soziale Ebene – und die schonungslose Diskussions- und Kritikkultur der Piraten. Auf Twitter wird diskutiert, gestritten, gemobbt und beleidigt. Es gibt Intrigen und Skandale.

Ausgang des Experiments? Ungewiss.

Sie ist selbstbewusst und klug: Julia Schramm

Julia Schramm jedenfalls glaubt an den Erfolg, ein paar Entwicklungen der Partei vorausgesetzt. Sie meint, es werde auch davon abhängen, wie schnell es gelingt, Debatten zu bündeln. Schramm ist seit 2009 Mitglied der Piraten, sie schreibt einen eigenen Blog und einen Roman über das Leben ihrer Generation im Internet. Sie wirkt extrem selbstbewusst, wie sie da in einem Berliner Café sitzt und sich selbst mal als Wissenschaftlerin, mal als Publizistin und mal als Urheberin bezeichnet.

Die Frau macht offensichtlich Politik mit Leidenschaft – auch wenn sie in der Partei kein Amt innehat. Sie ist eine jener Figuren, die als Gesichter in den Medien präsenter sind als andere, so wie die derzeitige politische Geschäftsführerin Marina Weisband, der Berliner Abgeordnete Christopher Lauer oder sein latzhosentragender Kollege Gerwald Claus-Brunner.

Das ist gefährlich, denn die piratische Masse, das weiß Schramm, die liebt es nicht, wenn sich ein Mitglied zu stark exponiert. Dann droht das Netz mit dem schmerzhaften „Shitstorm“. Die Partei aber, so glaubt Schramm, braucht Leute, die Diskussionsprozesse organisatorisch vorantreiben. Weil sie sich das zutraut, will sie nun für den Bundesvorsitz kandidieren – gegen den Amtsinhaber Sebastian Nerz und einige weitere Kandidaten. Schramm gilt als eine der aussichtsreicheren neben dem Berliner Bernd Schlömer. Sie hat sich lang überlegt, ob sie vor dem Parteitag überhaupt öffentlich spricht. Medienpräsenz wird schnell abgestraft.

Die AG Außenpolitik braucht eben viel Ziel

Lieber redet sie ganz allgemein über den Erfolg ihrer Partei. „Wir schaffen es, dass Menschen sich wieder für Politik interessieren, weil wir den ganzen Zirkus hinterfragen.“ Inhalte? „Mir gefällt nicht, wenn in der Öffentlichkeit die Vorstellung ankommt, wir hätten zu vielen Themen keine Ahnung.“ Es gebe sehr kompetente Arbeitsgruppen zu vielen Themen. „Wir haben zum Beispiel eine fantastische AG Außen- und Sicherheitspolitik. Die arbeiten ernsthaft und gut und die brauchen dann eben ein Jahr, um eine Position zu Israel zu entwickeln“, sagt Schramm.

Wobei diese Position dann noch lang nicht vom Bundesparteitag abgesegnet ist. Und auch kein Mensch vorhersagen kann, ob so ein Bundesparteitag einer erarbeiteten Position zustimmt. Denn die Piraten haben kein Delegiertensystem, und es gibt keine Leitanträge. Wer Mitglied ist, der kann kommen und mit abstimmen. Wenn es mit dem demokratischen Experiment so läuft, wie die digitale Elite sich das vorstellt, dann wird es bald so sein, dass man nicht einmal als Person erscheinen muss, sondern direkt im Netz mit abstimmen kann. Politik als ständiger Online-Parteitag.

Noch müssen auch die Piraten zur Parteitagen reisen

Derweil aber müssen Piraten noch reisen – übernächstes Wochenende nach Neumünster zum Bundesparteitag mit Vorstandswahl. Der bringt die Partei an ihre organisatorischen Grenzen. Die Hotels im Umkreis der Halle sind schon lange ausgebucht, das Parteitagsgelände wird nach Tagungsschluss in ein Nachtlager verwandelt werden. „Wir werden die größte demokratische Versammlung einer Partei sein“, scherzt ein Berliner Pirat, „noch vor dem Nationalen Volkskongress in China.“

Weil es also mit den inhaltlichen Debatten bei der Piratenpartei kompliziert ist, weil die Partei sich zu nicht wenigen Themen tatsächlich noch keine Haltung gegeben hat und weil die Piraten zwar im professionellen Politik- und Medienbetrieb angekommen sind, aber zum Teil immer noch amateurhaft arbeiten, sind es derzeit oft eher schrille Details, mit denen die Partei auf sich aufmerksam macht. Gestritten wird über Ämterverteilung, über Neonazis in der Partei, über die Arbeit des Bundesvorstands, über Transparenz, persönliche Eitelkeiten und über den Umgangston. Und besonders lustvoll über Sexismus und Männerdominanz. Der Ton ist rau im Netz. Wer sich nicht in die Augen sieht, formuliert anders.

Julia Schramm hat mit Streit ausreichend Erfahrung. Vor einem Jahr arbeitete sie in einer Gruppe mit, die sich kritisch mit dem in der Piratenwelt verbreiteten Gedanken auseinandersetzte, wonach die Idee des Datenschutzes sinnlos weil überholt sei. „Post Privacy“ heißt diese Sicht auf die Dinge – nichts ist privat. Als sie dazu ein Interview gab, in dem sie nicht deutlich machte, dass sie nicht für die Partei sprach, brach im Internet der „Shitstorm“ über sie los. Über Wochen wurde sie heftig kritisiert und beleidigt. Es tat weh. Aber sie hat es ausgehalten.

Derzeit wird sie heftig attackiert für ihre Beiträge zum Thema Feminismus. Sie ist eine der Frauen der Gruppe @kegelclub, die sich mit dem Geschlechterverständnis in ihrer Partei beschäftigt und Sexismus beklagt. Das bedeutet, auch mal lesen zu müssen, dass sie offensichtlich unerfüllte sexuelle Bedürfnisse habe – in anderen Worten natürlich.

Heftige Attacken gegen die Mitglieder

Wie steht sie das durch? Warum macht sie das mit? Geht es nicht auch anders? Wird dieser Ton der Partei nicht auf Dauer schaden? Es ist doch kein Zufall, dass die etablierten Parteien ihre Meinungsfindungsprozesse hinter verschlossene Türen verlegt haben – sie folgen der Erfahrung, dass Wähler den heillosen politischen Streit nicht lieben, sondern als Zerrissenheit bestrafen.

Persönlich, so sagt Julia Schramm, habe sie bewiesen, dass sie diese Form der Debatte ertragen könne. Man könne das Internet ja auch mal abschalten. Schramm hat sich am Montagvormittag jedenfalls erst mal aus Twitter verabschiedet. Kurz zuvor hatte ein Parteimitglied ihr noch in aller Schönheit geschrieben: „Hör mit der Genderscheiße auf und kotz mir so einen Abfall nicht in meine Timeline.“

Und politisch? Das Netz ist da. Es habe alle mitten in eine Revolution hineinkatapultiert, glaubt Schramm. „Es wird sich eine neue Kulturtechnik der Debatte entwickeln.“ Auch wenn der Weg dahin ganz schön anstrengend ist.