Zumindest keine angemessenen, sondern nur verquere, die ihnen verklumpt zu Satzungetümen bewusstlos aus dem Mund fallen. Und im Satzbau wühlen Wut und Hass so machtvoll, dass sich Liebe und Freiheit nur auf eine spezielle Art äußern können: in der Abwesenheit, der Negation, die sich radikaler als in den „Präsidentinnen“ von Werner Schwab kaum denken lässt.
Größenwahnsinn und Verzwergung
Auf der Bühne steht das kleinbürgerliche, im Souterrain liegende Zimmer von Erna. Der Bühnenbilder Christian Schmidt hat das Mobiliar manipuliert. Das hellblaue Sofa, die grüne Standleuchte, das zum Tageslicht strebende Fenster: alles überdimensioniert, zu groß für die Frauen, die nur unter Mühen aufs Sofa kommen, die klettern und springen müssen.
Die klamaukige Verzerrung macht aus den Monstern der Sprache kleine, hilflose Kinder, eine Verzwergung, die nicht nur ihrem sozialen, sondern auch ihrem psychischen Status entspricht. Sich groß fühlend, sind sie nur größenwahnsinnig und versuchen, sich mit ihrem von Katholizismus, Kleinbürgertum und Kitschfilmen verseuchten Hilfsvokabular zu wehren gegen den „Lebensschmutz, in dem das Geschlechtliche das ist, was das Menschliche hinaustreibt aus der Welt“. Sagt Erna, die im „Schmutz“ ebenso sexualmörderisch versinken wird wie Grete und Mariedl.
Fäkalisches kommt haufenweise vor
Schon mit der Bühne findet die Regisseurin Amélie Niermeyer die stimmige Mischung aus Nähe und Distanz: Man hat Mitleid mit den „Mindestpensionistinnen“, die einem doch auch Ekel und Abscheu einflößen in dieser „Fäkalkomödie“, die Werner Schwab auf der Suche nach einer Gattung selbst so genannt hat.
Und er macht Ernst: Fäkalisches kommt, nun ja, haufenweise vor, Stuhl, Wurst, Kot, Abort, Scheiße, denn die berühmte Klo-Expertin Mariedl weiß, dass „wenn der Herrgott die ganze Welt angeschafft hat, dann hat er auch die menschliche Jauche erschaffen“. Bei diesem Drecksstoff namens Leben wundert es nicht, dass der aus dem Nichts kommende Autor damals wie eine Bombe einschlug in den frühen neunziger Jahren, als er mit rohen, direkten, gewalttätigen, tabulosen Dramen die Theater eroberte.
Sein Schreiben und sein Leben waren ohne Maß: In vier Jahren karnickelte er achtzehn Stücke raus, die Hälfte postum aufgeführt, weil sein exzessiver, mit Alkohol vollgepumpter Genieauftritt nur kurz währte. Mit 35 Jahren starb Schwab in der Silvesternacht 1993/94.
Eine Sprache, die alles verheert
Provozieren kann seine „Fäkalkomödie“ heute nicht mehr. Man ist Wüsteres, Härteres gewohnt. Aber sie funktioniert noch, wie Amélie Niermeyer mit ihren Spielerinnen zeigt: Anke Schubert, Christiane Roßbach und Celina Rongen. Als Erna, Grete und Mariedl schauen sie im Fernseher eine Papstmesse an, die Fernbedienung in den Zwergenhänden groß wie Backsteine, und besaufen sich an Masse, Pathos und Chorälen. So eine „Gemeinschaft an den Füßen des Heiligen Vaters“! Dazu die Päpste an der braun getäfelten Wand, Benedikt, Franziskus und Sebastian Kurz, aber zwei Rahmen sind übrig für die Enkel, die Erna sich von ihrem Sohn wünscht, denn „Verkehr“ haben ist heute leicht, aber er hat „akkurat wieder keinen Verkehr aufgenommen“. Obwohl er ein „männlicher Mann“ ist, der Herrmann, sagt die lüsterne Grete.
Schubert, Roßbach und Rongen beherrschen das „Schwabische“ perfekt, die an den Dialekt angelehnte Kunstsprache des Autors: die Veräußerung, Versachlichung von Gefühlen, die zu Objekten werden wie die Leberkässemmel, die der Hermann hinunterlässt, als wäre sie ein „Stuhl und sein Bauch ein Abort“. In ihrem Schwabisch verhärtet sich alles zum Ding, das außerhalb von ihnen existiert, bis sie selbst außer sich geraten im ekstatisch herbeifantasierten Dorffest mit grausigem Sex, Totschlag und Himmelfahrt der heiligen Mariedl. Das Lachen des Publikums, auf das die „Fäkalkomödie“ auch zielt, erstickt. Und man sieht und hört: Als Stoff für Spielwütige taugen „Die Präsidentinnen“ im Schauspielhaus ebenso wie als Drama einer Sprache, die alles verheert, Bewusstsein, Gefühle, Leben. Das ist heute dann doch nicht anders als vor dreißig Jahren.
Die Präsidentinnen. Aufführungen am 29. Okt. , 24., 29. Nov. sowie 3., 9. und 31. Dez.
Info
Diktatur
Im Schatten des Ukraine-Kriegs droht ein anderes Drama in Vergessenheit zu geraten: die Lage in Weißrussland, wo die demokratische Opposition von Machthaber Lukaschenko unterdrückt wird. Schon früh hat sich das Schauspiel des Themas angenommen. „18 Briefe und eine Fabel aus Belarus“ von Maryna Mikhalchuk kommt am nächsten Wochenende wieder ins Kammertheater. Das Stück hatte Publikum und Kritik überzeugt.
Flucht
Im Mittelpunkt steht die Schauspielerin Therese Dörr – zusammen mit acht ukrainischen Frauen, die nach der Invasion russischer Truppen ihre Heimat verlassen haben. Vorstellungen am Freitag, 28., und Samstag, 29. Oktober