Joachim Löw und sein Team gewinnen nicht mehr und werden zu Remiskönigen – der Bundestrainer schlägt nach dem 3:3 gegen die Türkei und vor dem Spiel in der Ukraine Alarm.
Köln - Joachim Löw, so könnte man meinen, schockt nach mehr als 14 Jahren im Amt nichts mehr. Spätes Gegentor, Führung verspielt in einem eher unbedeutenden Freundschaftskick – so etwas moderiert der Bundestrainer normal routiniert weg. Was frei nach dem Südbadener Löw dann so oder so ähnlich klingt: Mir müsse scho au aufpasse, aber i bin mir sicher, dass wir’s nächsch mol scho au besser mache.
Am späten Montagabend in Köln war Löw weit weg von seinen Routinen und auch von südbadischem Singsang. Der Coach saß nach dem bitteren 3:3 im Test gegen die Türkei oben auf dem Podium, was irgendwie so gar nicht mir seiner Laune zusammenpasste. Denn da war Löw unten angekommen. Löws Gesichtsausdruck war leer. Er sprach monoton, und aus jeder Silbe klang sie durch, Löws Niedergeschlagenheit. Man konnte etwas beobachten, was beim sonst meist gelassenen und gefassten Coach in der Regel kaum zu beobachten ist. Joachim Löw war: geschockt.
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Dazu gab es Gründe, sehr gute Gründe. Das 3:3 gegen die Türkei nach dreimaliger Führung war das dritte Remis im Jahr 2020, in dem die DFB-Elf nun also weiter auf den ersten Sieg wartet. Schon vorher hatte es zwei Unentschieden gegen Spanien und in der Schweiz (jeweils 1:1) gegeben, dabei verspielte die Mannschaft ebenfalls einen Vorsprung. Man kann also ohne Übertreibung von einer Führungsschwäche der Nationalelf sprechen.
Unbequeme Analyse
Der Mann, der das zu verantworten hat, ging nach seinen ersten Schockmomenten auf dem Podium ins Detail – und betrieb eine schonungslose Analyse. Sehr bestimmt wählte Löw seine Worte. Er gab den Wachrüttler. „Das Problem besteht schon länger, dass wir Führungen aus der Hand geben“, sagte er: „Da ist man schon enttäuscht und angefressen.“ Die interne Analyse, die bevorsteht, dürfte nun unbequem werden für die in den vergangenen drei Partien beteiligten Nationalspieler: „Dieses Spiel gegen die Türkei und andere Spiele“, sagte Löw mit Nachdruck, „werden wir intensiv aufbereiten.“
Dafür aber bleibt vor dem Nations-League-Duell in der Ukraine an diesem Samstag (20.45 Uhr/ARD) wenig Zeit. Allerdings wird in Kiew auch eine fast komplett andere deutsche Elf auf dem Platz stehen. Denn Löw wird aller Voraussicht nach sieben bis acht Stammspieler, die zuletzt fehlten, aufbieten – unter anderem jene vom FC Bayern, die am Mittwoch noch geschont wurden. Klar ist, dass nun Führungskräfte gefragt sind. Im doppelten Sinne.
Maue Quote
Was also läuft da gerade schief im Team, und: Warum gibt es diese Führungsschwäche nach eigenen Torerfolgen? Lothar Matthäus, Weltmeister von 1990 und heute auf weltmeisterlich vielen öffentlichen Kanälen als Experte unterwegs, hat darauf Antworten. „Wieder kosteten taktische Fehler von Jogi Löw bei den Einwechslungen den Sieg“, sagte er – und kritisierte Löws Aufstellung gegen die Türkei: „Ich wundere mich, dass da viele Spieler wie Nico Schulz vom BVB auflaufen, die in ihren Vereinen auf der Bank sitzen.“ Das alles ließ den TV-Experten Matthäus auf die Einschaltquoten blicken. Er sagte dazu dies: „Genau deshalb schaltet für Deutschland keiner mehr den Fernseher ein.“
Tatsächlich knackte die DFB-Elf in ihren vergangenen elf Spielen ja nicht ein einziges Mal die Zehn-Millionen-Marke. Die Partie gegen die Türkei sahen bei RTL im Schnitt 5,82 Millionen Zuschauer – der Marktanteil von 21,6 Prozent war der schwächste in der Ära Löw.
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Die Zuschauer konnten gegen die Türkei das beobachten, was Matthäus mit seiner Taktik-Kritik meinte. Denn einen Beitrag zum Kontrollverlust nach den Führungen in Hälfte zwei leistete auch der Bundestrainer mit seinen sechs Auswechslungen. Das Gebilde der deutschen Notelf, das vor allem in der Defensive kaum Struktur und Stabilität hatte, wurde so nur noch weiter geschwächt.
Müdigkeit ist keine Ausrede
Dass Löw in Testpartien in diesen Zeiten auf einige Profis setzt, die in ihren Vereinen kaum zum Zug kommen, hängt wiederum mit dem engen Terminkalender zusammen. So will der Bundestrainer seinen Stars mit Blick auf die EM 2021 immer wieder Pausen gönnen. Und so landet Löw dann bei Profis wie Nico Schulz – was dann nicht jeder Fan und Experte goutiert, Corona-Terminplan hin oder her.
Allein schon wegen der personell arg geschwächten Notelf vom Mittwochabend also gibt es ja durchaus mildernde Umstände für Löw – die der Bundestrainer aber nicht geltend machen wollte. Denn drei verspielte Führungen in den vergangenen drei Partien, das ist im Gesamtblick zu viel. Weshalb Löw in seiner Analyse von Köln weiter ins Detail ging. Es mangele an Effizienz im Abschluss, man verliere zu oft die Ordnung, sagte er. Dies, so Löw weiter, sei schon seit zwei Jahren für eine Reihe unbefriedigender Ergebnisse verantwortlich: „Das gilt es abzustellen.“
Und überhaupt, Müdigkeit sei keine Entschuldigung für die späten Gegentore, sagte Löw noch: „Wenn ich das Tor zum 3:3 sehe, geht es um die Zuordnung im Sechzehner. Da geht es Mann gegen Mann. Das ist eine Sache der Mentalität.“