Es sollte sein großer Auftritt werden: Jochen Sandig wollte das Ludwigsburger Festival noch internationaler machen, doch dann kam Corona. Jetzt hofft der Intendant auf die Saison 2021 – fürchtet aber, dass sein ohnehin knappes Budget zu stark gekürzt wird.

Ludwigsburg - In der Gesellschaft wächst das Bewusstsein, dass wir uns an einer Zeitenwende befinden“, schrieb der neue Intendant Jochen Sandig im Programmbuch für die Ludwigsburger Schlossfestspiele 2020. Ergänzend dazu zitierte er die UN-Vize-Generalsekretärin Amina Mohammed: „Wir haben einen Plan für die Zukunft entwickelt, nun brauchen wir Musik, Tanz und die Künste, um die Menschen in Bewegung zu bringen.“ Das war im Februar. Das farbenprächtige Programmbuch ist zwar inzwischen mit einem Preis der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet worden, aber die Musik konnte bekanntlich seither nicht spielen. Wegen der Corona-Pandemie musste das Festival weitgehend ausfallen.

 

Die Zeitenwende hatte sich der neue Intendant anders vorgestellt. Nach einer Phase des Schocks und großer Enttäuschung sei er aber inzwischen wieder hinaus: „Ich bin mit mir im Reinen“, sagt er. Bei allem Ärger über die verdorbene Premiere an der neuen Wirkungsstätte bleibt ihm die Hoffnung aus das kommende Jahr: Nicht alles sei für immer passé: „Wir konnten vieles für das Jahr 2021 neu terminieren.“

Musik für analoge Wesen

Während der Intendant das in seinem Büro im Ludwigsburger Palais Grävenitz sagt, beginnen zwei Zimmer weiter Hörner, Klarinetten und Oboen zu spielen: Das Bläsersextett des Schlossfestspielorchesters hat sich zur Probe versammelt.

Erstmals seit März stehen sich die Musiker wieder leibhaftig gegenüber und in den verbleibenden Festspieltagen wollen sie auch wieder öffentlich zu hören sein. Wenn auch nur in kleinerem Rahmen, für Jochen Sandig ist es die reine Freude, der lang ersehnte Silberstreif am Horizont. Auch wenn es gelungen sei, einzelne Konzerte online zu präsentieren, so gelte für die Musik doch, „dass sie für uns als analoge Wesen ein kostbares Erlebnis von Raum und Zeit ist“. Etwas,dessen Zauber sich erst live voll entfaltet.

Die Ideen von Aufbruch und Zeitenwandel haben sich für Sandig nicht erledigt. Im Gegenteil: „Es waren sehr harte Wochen für uns. Eine Zeit des Stillstands, aber auch der Besinnung“, sagt er. „Wie viele Solokünstler, die sonst kaum zum Luftholen kommen, haben auch wir die Zeit genutzt.“

Festspieletat zusammengestrichen

Der Veränderungswille sei ungebrochen. „Wir wollen nicht bei den üblichen Konsumgewohnheiten stehen bleiben.“ Dass er die Schlossfestspiele auf die 17 Ziele der Agenda 2030 eingeschworen hat, sei keine bloße Attitüde, sondern wesentlich für die Transformation: „Wir wollen Farbe bekennen für Demokratie und Nachhaltigkeit.“ Eine Neuausrichtung, für die das Ludwigsburger Festival einmalig mit drei Millionen Euro Förderung vom Bund bekommen hat.

Doch auch dieser Geldsegen könnte sich letztlich negativ auswirken, befürchtet Sandig. Er könnte als Vorwand dienen, um dauerhaft die Zuschüsse von Stadt und Land zu kürzen. „Dabei ist das Festival ohnehin unterfinanziert.“ Bisher zahlten Ludwigsburg und das Land jeweils 800 000 Euro. Im Zuge der Corona-Krise hat die Stadt ihre Förderung für 2020 um 200 000 gekürzt und bereits weitere Kürzungen auch für 2021 angekündigt. Da die Förderung durch das Land stets an die der Stadt gekoppelt ist, verdoppelt sich die Kürzung. Schon in dieser Saison ist der Etat damit um 400 000 Euro geschrumpft.

Angst vor „Verzwergung“ des Festivals

Noch hoffe er, dass sich der Aufsichtsrat der Schlossfestspiele gegen größere Kürzungen stemme. die drei Millionen vom Bund gelten als Anreiz, um neue Wege einschlagen zu können. Das sei ihm ein großes Anliegen. Er werde sich nicht so stark beschneiden lassen, wie sein Vorgänger Thomas Wördehoff: „Wenn das, was ich hier begonnen habe, nicht fortzusetzen ist, muss ich vielleicht sagen, haben wir uns getäuscht“, sagt Sandig. „Eine Verzwergung des Festivals zu einem bloß städtischen Festivals werde ich nicht mittragen.“

Natürlich sei er auch stets im Gespräch mit Sponsoren. Und zum Glück gebe es einige, die dem Festival die Treue hielten. „Es hat mich auch sehr gefreut, dass viele Menschen, die schon Karten für die Saison 2020 gekauft hatten, ihr Geld nicht zurückgefordert haben“, sagt der Intendant. „Das hilft uns sehr.“

Verwerfungen in der Gesellschaft

Doch all diese Geldsorgen verzerrten die Dinge, um die es eigentlich gehen müsste, meint Sandig. „Wirkliche Sorgen mache ich mir um unsere Gesellschaft“, sagt er. Es gebe so viele Verwerfungen. „Ich habe Angst, dass das vielleicht alles auseinander kracht.“ Er möchte mit Musik, Tanz und Kunst gegen diese Entwicklung stemmen. In den nächsten Tagen wird es noch einige Konzerte im Hof sowie im Ordenssaal des Residenzschlosses geben – mit eng begrenzter Besucherzahl. Der überwiegende Teil aber wird nur per Streaming sein Publikum erreichen.