Mit dem Film „Requiem“ wurde sie berühmt, jetzt ist sie an der Seite von Matthias Brandt im ARD-„Polizeiruf“ zu sehen. Die Schauspielerin Sandra Hüller hält nichts von Schablonen. Die StZ-Autorin Katja Bauer ist ihr begegnet.

Stuttgart - Sandra Hüller mag keine Krimis. Leichen, Killer, Kommissare? „Ach bloß nicht“, sagt die Schauspielerin. Mit Verwunderung registriert sie, dass „Tatort“ und „Polizeiruf“ für viele Leute ein fester Termin im Kalender sind. „Ich weiß einfach nicht, welcher Genuss darin liegen soll, Sonntagabend auf der Couch Leuten beim Sterben zuzusehen.“

 

Weil man aber im Leben immer mal wieder alles anders machen kann, spielt Sandra Hüller jetzt in einem Krimi mit. Am Sonntagabend ist die 36-Jährige an der Seite von Matthias Brandt alias Kommissar Hanns von Meuffels zu sehen. Wie kommt das bloß? Sandra Hüller sieht bei dieser Frage aus, als müsse sie eine kleine Ungeduld unterdrücken. Sie atmet tief ein, hält ihr Wasserglas ein bisschen fester und drückt die Ellbogen auf den kleinen Tisch im Berliner Café Einstein. „Ich brauche ja nicht in eine Schablone zu passen“, sagt die Bühnenfrau. „Oder?“

Im „Polizeiruf“ spielt sie eine scheue Knastpsychologin, die einen Job macht, bei dem man Menschen kategorisiert, aber nicht weit kommt, wenn man sich von diesen Kategorien nicht verabschieden kann. Die Figur, die „eigentlich kaum einen Satz sagen muss, der so krimihaft ist“, habe sie einfach interessiert.

Unvergesslich als Exorzismusopfer in „Requiem“

Die Schablone, die die öffentliche Wahrnehmung für die Schauspielerin gefunden hat, heißt normalerweise: diese Frau liebt die Extreme. Das ist so, seit Hüller in ihrer ersten Spielfilmhauptrolle 2006 in Hans-Christian Schmids „Requiem“ spielte – nach der wahren Geschichte der Studentin Anneliese Michel. Sie beeindruckte die Zuschauer mit ihrer Darstellung der Frau aus einem katholischen Umfeld im Schwäbischen, deren Familie die Epilepsie der jungen Frau mit Exorzismus zu bekämpfen beschließt. Die Studentin stirbt.

„Requiem“ war ein Riesenerfolg, Sandra Hüller, damals schon als beste Nachwuchsschauspielerin des Landes gefeiert, wurde bei der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet und schlagartig einem breiten Publikum bekannt.

Seitdem kennen wir dieses Gesicht, dessen Ausdruck so faszinierend zwischen sehr burschikos und sehr zerbrechlich wechseln kann. Seitdem ist die Schauspielerin die meiste Zeit auf der Theaterbühne zu sehen und wird mit Preisen überhäuft. „Theater heute“ wählte sie 2013 für ihre Rolle in dem Jelinek-Stück „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.“ zum zweiten Mal zur Schauspielerin des Jahres. Zuletzt war sie in „Finsterworld“ von Christian Kracht und Frauke Finsterwalder zu sehen. Derzeit dreht sie eine Komödie mit Maren Ade.

Figuren am Rand des Abgrunds

Hüller, Ensemblemitglied bei den Münchener Kammerspielen, zeigt tatsächlich oft Figuren, die an einer sehr steilen Kante zu einem Abgrund entlangwandeln. Solche Kategorisierungen sind ihr allerdings schon wieder zu eng – jedenfalls sagt Sandra Hüller, dass sie nicht direkt danach sucht. „Man macht ja nicht einen Plan nach dem Motto: Ich spiele nicht im Krimi mit.“ Aber die Projekte, die ihr fürs Fernsehen angeboten würden, seien häufig Geschichten, die sie schon hundertmal gehört habe: „Ich kenne keinen einzigen Menschen, der so ist wie die Figuren im Fernsehen. Ich würde sagen, ich finde die Menschen einfach komplizierter.“

Die Gestalten, die sie am Ende spielt, müssen etwas auslösen in ihr, sagt die Schauspielerin. „Ich empfinde meine Figuren gar nicht immer so extrem. Manche suche ich mir deshalb aus, weil ich etwas an ihnen bewundere.“ So war es zum Beispiel bei jener Polizeiruf-Frau. „Sie ist in der Lage, einen sehr klaren Schnitt zu machen.“ Lernt man denn etwas von den Charakteren, die man spielt? Sandra Hüller schüttelt den Kopf, die Idee gefällt ihr gar nicht. „Die Vorstellung, man könnte so sein wie seine Figur, hat etwas Eitles“, findet sie. „Man lernt nicht unbedingt was von den Charakteren, aber sie sind immer da, man weiß von sich, da war ich mal – so im Sinne einer Verhaltensoption.“

Dieses Ausloten von Figuren war auch ein Grund für Sandra Hüllers Wunsch, Schauspielerin zu werden. „Ich mag gerne spüren, auch Extreme, was oft gefährlich ist, da ist das Schauspiel ein geschützter Raum.“ Ganz genau wusste sie das , als sie mit 17 – im Sommer 1995 – zum Theatertreffen der Jugend nach Berlin fuhr. Zehn Tage lang spielte sie da. „Und ich habe gemerkt, dass das, was ich da mache, ganz gut funktioniert.“ Wenig später wurde sie an der Berliner Schauspielschule aufgenommen und verließ ihren Heimatort Friedrichroda in Thüringen.

Es geht darum, nichts zu vereinfachen

„Alle haben gesagt, das ist zu früh, aber für mich war es genau richtig“, sagt Hüller. Sie war spielwütig – und agierte „angstfrei, mit aller Kraft und mit aller Gewalt“. Wenn sich Sandra Hüller an damals erinnert, dann ist da auch der ihr heute viel zu hehr erscheinende Anspruch, dass es beim Spielen um die Wahrheit gehen müsse. Schwarz oder weiß, das waren die Optionen. Heute ist es mit den Grauwerten ein bisschen komplizierter geworden. „Eine Mission habe ich nicht, würde ich sagen“, meint sie. „Sollte ich einen Anspruch formulieren, dann wäre der am ehesten, dass ich nichts vereinfachen will.“

Es war 1999, als sie ihr erstes festes Engagement in Jena bekam, sieben Jahre spielte sie praktisch ohne Pause, ohne Privatleben. Es war dann paradoxerweise der Erfolg von „Requiem“ , der zur völligen Erschöpfung führte. Ein Jahr zog sich Hüller zurück zu ihrer Mutter nach Thüringen und machte Pause. Sie habe gar keine andere Wahl gehabt, sagt Sandra Hüller, wenn man das mutig findet, so auf dem Gipfel des ersten Erfolges einfach auszusteigen. „Ich konnte nicht mehr.“

Inzwischen ist sie längst zurück – und das Spielen ist, neben ihrer Tochter, immer noch das Wichtigste im Leben. Aus dieser Notwendigkeit, die Pausetaste zu drücken, hat sie etwas für sich mitgenommen: „Ich versuche jetzt, mehr Kontrolle abzugeben. Disziplin kann ich schon, das weiß ich. Aber dieses Weitermachsystem, das bringt einen nur bedingt weiter.“