Die Scuderia startet in Mugello in ihr 1000. Formel-1-Rennen – der Mythos, den Enzo Ferrari ins Leben rief, erfasst auch heute die Motorsport-Freunde. Doch aktuell gehen die Fans wieder durch ein Tal der Tränen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Mugello - Ferrari ist seit dem ersten Rennen 1950 in Silverstone in der Formel 1 am Start. Nur ein Motorsport-Enthusiast, der Benzingeruch jedem Hauch von Dior vorzieht, wird energisch widersprechen, denn der Satz ist genauso wenig zutreffend wie die Feststellung: Eine Tasse Espresso, der starke, italienische Caffe, enthält mehr Koffein als eine Tasse guter, deutscher Filterkaffee. Nicht am 13. Mai 1950 in Silverstone, erst am 21. Mai in Monaco stand ein Ferrari erstmals in der Startaufstellung – es heißt, der eigenwillige Enzo Ferrari und seine Entourage hätten sich mit den Briten nicht auf die Höhe des Startgeldes einigen können. Wie viel Wahrheit in dieser Überlieferung steckt? Nicht zu überprüfen. Es findet sich kein Zeitzeuge mehr, der darauf einen Eid schwören würde.

 

Just solche Anekdoten begründen den Mythos, der Ferrari umgibt, der die Scuderia aus Maranello für fast jeden besonders begabten Rennfahrer auf diesem Planeten zum Ziel aller Träume werden ließ. Wenn an diesem Sonntag (15.10 Uhr/RTL) der Große Preis der Toskana in Mugello gestartet wird, geht die Scuderia in ihren 1000. Grand Prix. In Italien, auf der hauseigenen Strecke von Ferrari, nachdem das Jubiläum ursprünglich beim Rennen in Montreal stattgefunden hätte, doch die Corona-Krise wirbelte den Zeitplan durcheinander wie ein plötzlicher Plattfuß jede ausgefeilte Rennstrategie. Das 1000. Rennen auf eigenem Terrain, eigentlich wie bestellt, doch fühlt sich diese Feier für die Ferraristi an wie ein 90. Geburtstag der Großmutter, deren Gesundheit stark angegriffen ist. Man bangt um sie. Es will keine stolze Freude aufkommen, denn Ferrari befindet sich in einer Krise. Wieder mal.

Ferrari erwartete, dass die Fahrer bereit waren zu sterben

Enzo Ferrari, der dominante Firmengründer, hat diese Aura des Außergewöhnlichen geschaffen und den Mythos ins Leben gerufen; die Triumphe und die Tragödien, die davon entfachten Emotionen halten ihn bis heute lebendig. Zwar ist „Il Commendatore“ am 15. August 1988 gestorben, doch Besucher der ehemaligen Teststrecke Fiorano, die sich eingekesselt im Werk an den modernen Gebäuden vorbeischlängelt, berichten beharrlich, sie hätte das Gefühl beschlichen, dass irgendwo dort Enzo Ferrari immer noch leben würde. Auch wenn es sich um eine herbeigerufene Einbildung handeln mag, so löst der Name Ferrari stets Emotionen aus.

Der einstige Alfa-Romeo-Rennfahrer regierte eisern und prägte seinen Rennstall. Jody Scheckter, 1979 Weltmeister im Ferrari, beklagte sich bei den Ingenieuren, der Motor bringe zu wenig Leistung. Die weigerten sich vehement, die Kritik für den Chef ins Italienische zu übersetzen. „Besser so“, erzählte Scheckter. „Der Alte hätte sie womöglich geköpft.“ Und obwohl Alan Jones 1978 beteuerte, er würde in Italien und sogar am „Nordpol leben, um Ferrari fahren zu können“, sah sich der Patriarch nicht an seine Zusage gebunden und holte Gilles Villeneuve. Ferrari erwartete, dass die Piloten bereit waren, in seinen Autos ihr Leben zu opfern. „Ich wollte nicht für ihn sterben“, sagte Phil Hill, Champion von 1961 im Ferrari, beim Abschied 1963, „die Trennung musste sein. Ich war nicht der Typ Fahrer, den Ferrari liebte.“

Ecclestone gewährte Ferrari einen Sonderbonus

Sechs Fahrer starben für Ferrari. Diese Tragödien transportieren den Mythos. Wolfgang Graf Berghe von Trips verunglückte 1961 in Monza, Gilles Villeneuve 1982 in Zolder. Und Niki Lauda hätte 1976 auf dem Nürburgring im brennenden Ferrari beinahe das Leben verloren. Die Triumphe rückten das Team ins Sonnenlicht. Laudas Comeback 42 Tage nach dem Crash, sein Titel 1977, die göttliche Ära mit Michael Schumacher von 2000 bis 2004, der zufällige Titel von Kimi Räikkönen 2007. Große Dramen, große Feiern. Auf jede Krise folgte eine Wiederauferstehung, auch wenn es Jahrzehnte dauerte – die Fans können offenbar ohne dieses Auf und Ab nicht leben. Ferrari lieben heißt leiden. „Wenn du für Ferrari fährst“, hat Scheckter einst bemerkt, „fährst du für ganz Italien – das macht den Zauber aus.“

Zauber für Bernie Ecclestone maß sich stets in Dollars, deshalb ließ sich der Brite, der die Formel 1 von den 1970ern bis 2017 regierte, den Mythos auch etwas kosten. 2013 wurde ein Geheimvertrag publik, in dem die Scuderia eine Sonderprämie von jährlich etwa 73 Millionen Euro zugesichert bekam, zudem ein Veto bei technischen Regeländerungen. Ein immenser Vorteil, die Technik ist entscheidend. Ecclestone begründete die Sonderrolle mit der Tatsache, dass Ferrari von Beginn an zur Formel 1 gehöre und die Serie ohne Ferrari undenkbar sei. Er hätte es auch Mythos-Bonus nennen können, auch wenn der erst beim zweiten Rennen seinen Ursprung nahm. Übrigens: Ein Espresso enthält etwa 25 Milligramm Koffein, eine Tasse Filterkaffee bis zu 120 Milligramm.