Dem farbblinden dänischen Filmregisseur Nicolas Winding Refn ist es in seiner Netflix-Serie „Copenhagen Cowboy“ gelungen, ein neues Maß anzulegen für den feministischen Gangster-Film.

Baden-Württemberg: Erdem Gökalp (erg)

Nicht alle Heldinnen brauchen einen Umhang und eine knappe Uniform. Sie brauchen keine Waffen, müssen ihre Gegner nicht blutrünstig in Stücke reißen oder fliegen können. Beim dänischen Kultregisseur Nicolas Winding Refn benötigen sie nicht einmal Sex-Appeal und überbordende, zur Schau gestellte Weiblichkeit. In seiner ersten Netflix-Serie „Copenhagen Cowboy“, die Anfang Januar erschienen ist, kommt er für die Inszenierung der Protagonistin Miu mit einer zierlichen androgynen Hauptdarstellerin aus, die in einem blauen Trainingsanzug mit einem flammenden Schwert als Emblem die von Männern dominierte kriminelle Unterwelt Kopenhagens erschüttert.

 

Die stoische Hauptfigur, die von der dänischen Schauspielerin Angela Bundalovic gespielt wird, schlendert ausdruckslos und lethargisch durch die sechs Episoden der dänischsprachigen Mini-Serie. In Szenen größter Hindernisse, beispielsweise wenn sie als Hexe diffamiert zur Prostitution gezwungen werden soll, bleibt sie reglos. Stereotype, mit denen sich weibliche Rollen in klassischen Hollywood-Produktionen rumplagen müssen, gibt es auch für sie. Frauen werden von Gangstern ihrer Kinder beraubt, sie werden von einem misogynen Serienkiller gejagt, geohrfeigt und gedemütigt. Nur ist Bundalovic’ Antwort darauf eine zur Schau gestellte Gleichgültigkeit und damit eine Befreiung aus dem engen Korsett der Frauenrollen. Und das komplett in einfarbigem Jogginganzug wie einst Bruce Lee.

Antwort auf bisherige Gangster-Film Refns

Und so kann man unbeschwert die Liste der Eigenschaften fortsetzen, die in „Copenhagen Cowboys“ nicht auf die weibliche Superheldin passen. Miu ist keine Reaktion auf Unterdrückung, sie ist keine Rebellin, sie zeigt kein Aufbegehren. Stattdessen ist sie die moderne Erfindung einer weiblichen Titelrolle, die sich nicht zu emanzipieren braucht, da sie in ihrer persönlichen Welt keinen Zwängen des Patriarchats unterliegt. Damit ist sie ein Stück weit auch eine Antwort auf die bisherigen Gangster-Filme des dänischen Regisseurs Refn selbst.

Dennoch handelt die Serie von Rache an brutalen Männern. Über die junge Außenseiterin Miu findet man nicht viel heraus, außer dass sie als Kind von Außerirdischen entführt worden ist. Sie lebt ohne Papiere in Dänemark und wird eines Tages von einer abergläubischen Verwalterin eines Bordells angeheuert, um ihr dabei zu helfen, den Kinderwunsch zu erfüllen. Dort fängt ihre Odyssee an. Sie flieht vor den albanischen Schlägertypen, die das Bordell betreiben und kommt fortan in den Dienst eines chinesischen Mafiabosses, den sie mit okkulten Kräften von seinen Kopfschmerzen heilt. Die Wege der zierlichen Miu kreuzen sich mit Mafiabossen und Schlägern, die ihre Macht erkennen und sich vor ihr fürchten. Kampfszenen, in denen sie Männer niederstreckt, sind eher langsam und ästhetisch als actiongeladen. Und so zerstört Refn auch diese Erwartung des Zuschauers nach einem ausufernden Showdown.

Schwindelerregende Kamerafahrten

Und auch die radikale Neon-Ästhetik zieht sich durch Refns Werk. In einem Interview beschrieb der 52-Jährige einmal, wie er durch seine Dyslexie und Farbblindheit als Kind in der Schule scheiterte, diese Eigenschaften jedoch seinen Filmstil maßgeblich geprägt hätten. Der Umstand, dass er starke Kontraste brauche, um Formen zu erkennen, findet sich auch in seinen Aufnahmen wieder. Mal hält er die Figuren durch ein hartes Licht und starke Schatten gefangen in einem einzigen Lichtstrahl, der aus einer offenen Tür in einen Gang strahlt, mal leuchtet er den Raum in neonblau aus und nur ein schwaches rosa Rembrandt-Licht fällt auf das Gesicht der Hauptfigur. Stroboskopische Effekte und endlos lange 360-Grad-Kameraufnahmen können für den Zuschauer geradezu schwindelerregend wirken.

In der Vergangenheit musste sich Nicolas Winding Refn oft den Vorwurf gefallen lassen, seine Filme seien langweilig. Zu wenig Handlung, zu langsame, einschläfernde Dialoge und ständig abstrakte Einschübe, die niemand versteht. Zwar hat er mit seinen Debüt-Filmen der Pusher-Trilogie, die er schon früh mit Mitte 20 gedreht hat, unter Filmkennern einen Kultstatus erreicht, doch Refn hat es immer verstanden, Filme auch fürs Publikum zu drehen, wenn mal die Kohle knapp wurde. Beispielsweise den Film „Drive“ mit Ryan Gosling. Auch dieses Mal wird er nicht jeden Zuschauer zufriedenstellen können. Doch diesen Anspruch braucht er nicht zu haben. Bei „Copenhagen Cowboy“ hat es ihm gereicht, einen Grundstein für ein neues Genre zu legen: den feministischen Gangster-Film.

Dänischer Regisseur

Ruhm
Der dänische Filmregisseur und Drehbuchautor Nicolas Winding Refn ist im Jahr 1970 in Kopenhagen auf die Welt gekommen. Er hat nie die Filmschule abgeschlossen und mit Mitte 20 mit „Pusher“ seinen ersten Film gedreht, der ihn über Nacht berühmt machte. Er drehte zwei weitere Teile für den Gangster-Film und blieb dem Genre bisher treu. Sein Vater ist der ebenfalls bekannte Filmregisseur Anders Refn.

Hollywood
Nicolas Winding Refn reiht sich ein in eine Gruppe von dänischen Filmemachern und Schauspielern, die es jenseits von Europa auch in Hollywood zu Berühmtheit geschafft haben. Zu ihnen zählen die Regisseure Lars von Trier, Thomas Vinterberg und Schauspieler wie Mads Mikkelsen.