Die Solitude-Allee führt auf 13 schnurgeraden Kilometern vom Stuttgarter Schloss bis nach Ludwigsburg. Auf alten Bildern sieht sie wunderbar aus – nur ist von der herzöglichen Pracht heute kaum mehr etwas übrig.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Von der herzoglichen Straße zwischen Schloss Solitude und dem Ludwigsburger Residenzschloss ist außer dem Namen fast nichts mehr geblieben. Und sogar der ist falsch: Die 13 Kilometer lange Solitude-Allee, mal Feldweg, mal Durchgangsstraße, ist längst keine Allee mehr. Eine Straße ohne Bäume – das ist der Stand im Herbst 2016, gut 250 Jahre nachdem die kerzengerade Verbindungsachse entstanden ist.

 

Der radikale Wandel wird ausgerechnet an der Stelle überdeutlich, wo das – von den beiden Schlössern abgesehen – einzige historische Gebäude entlang der Wegstrecke steht. Das ehemalige Gasthaus Zum Ritter Sankt Georg am Rande des Weilimdorfer Löwen-Markts erinnert architektonisch an die Kavaliershäuser oben auf der Solitude, ist heute aber ein Matratzengeschäft. Carl Eugen ließ das Gebäude als Raststätte für die aus Ludwigsburg kommenden Besucher errichten. Während der Pause wurden die Pferde gewechselt – schließlich war noch ein sehr harter Anstieg zu bewältigen. Autos mutet man so eine steile Straße nicht zu: Sie benutzen die 1849 entstandene Bergheimer Steige.

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Carl Eugen gebärdete sich beim Bau seines Lustschlosses (1763 bis 1769) und der parallel entstandenen Verbindung zur Ludwigsburger Residenz als absolutistischer Herrscher. Sein Wille war Befehl, die mehr als 15 Meter breite Solitude-Allee wurde mit dem Lineal als kürzeste Verbindung zwischen den beiden Schlössern gezogen. Heute lässt sich auf Satellitenbildern nachvollziehen, dass die Straße quer über die Felder der Weilimdorfer, Stammheimer und Kornwestheimer Bauern gelegt wurde – die den Weg erst betreten durften, nachdem der „durchlauchtigste Herzog“ später lieber in Hohenheim logierte.

„Im Grunde war das Tierquälerei“

Es ist Freitagnachmittag, die Sonne verschwindet hinter den Häusern des Löwen-Markts. Im Feierabendverkehr versteht man Bernhard Klar kaum. Der Historiker trägt einen Mantel und eine lederne Aktentasche, drückt sich stets zurückhaltend aus und ist stellvertretender Vorsitzender des Weilimdorfer Heimatkreises sowie Verwaltungsleiter im Haus der Geschichte. Er wohnt in Weilimdorf, und wenn er auf dem Arbeitsweg zur Solitude hochsieht, denkt er an den Aufstieg, den die Gäste des Herzogs und – vor allem – die Pferde einst zu bewältigen hatten. „Im Grunde war das Tierquälerei“, sagt Klar.

Heute quälen sich Wanderer, Jogger und Biker freiwillig nach oben. Der Landraub und die Frondienste, unter denen die Untertanen Carl Eugens für diese Straße zu leiden hatten, sind längst vergessen. Neben der bis heute grandiosen Aussicht hat der Herzog uns Nachgeborenen dieses hübsche Schloss hinterlassen, wo man gut essen und sich in einer romantischen Kulisse vermählen kann.

„Hier am Löwen-Markt möchte ich lieber keine Umfrage machen, ob die Leute wissen, was es mit der Solitude-Allee auf sich hat“, ruft Bernhard Klar in den Berufsverkehr. Die einstige Relaisstation, damals als frei stehendes Haus auf dem Feld eine Besonderheit, fällt inmitten der Nachkriegsbauten kaum auf. Die 2000 Bäume, die Carl Eugens Hofgärtner Johann Kaspar Schiller entlang der Straße pflanzte und die diese damit erst zur Allee machten, könnten gefühlt kaum weiter weg sein als an dieser Kreuzung, wo ihr Name ehrlicherweise Solitudestraße lautet. Im Zeitungsarchiv finden sich Versprechen von Lokalpolitikern, den Alleecharakter wiederherzustellen. Die Erfolge sind überschaubar. Bernhard Klar winkt ab: „Zumindest hier können Sie das vergessen. Da sind Parkplätze im Weg.“

Eine Schnellstraße – nach Maßstäben des 18. Jahrhunderts

Im Grunde war die Solitude-Allee im 18. Jahrhundert nichts anderes als eine Schnellstraße, bei deren Bau keinerlei Rücksicht auf die Topografie genommen wurde. „So wie heute bei Autobahntrassen auch“, sagt Bernhard Klar. Wobei „schnell“ aus heutiger Sicht recht langsam war: Die Reise vom Ludwigsburger Residenzschloss zum Schloss Solitude dauerte gut drei Stunden, die Allee war eine Art Feldweg. Vielleicht gibt es deshalb von der Straße so gut wie keine historischen Darstellungen. „Sie wurde damals einfach nicht als so besonders wahrgenommen“, vermutet Bernhard Klar.

Heute ist sie ein 13 Kilometer langes Kulturdenkmal – nicht nur, weil sie das Jahrhunderte überdauernde Ergebnis bloßen Herrscherwillens ist. Mit der Zeit wurde die Straße vom Volk in Besitz genommen. 1820 diente sie als Basislinie für die erste württembergische Landesvermessung: Der Startpunkt der Basislinie war im Schloss Solitude, am Endpunkt vor der damaligen Ludwigsburger Stadtgrenze ließ der Mathematiker und Astronom Johann Gottlieb Friedrich von Bohnenberger eine hölzerne Pyramide errichten, von der aus man die nötige Aussicht hatte. Seit 1998 beschreibt in Kornwestheim der „Garten der Triangulation“ die Messmethoden des Tübinger Professors.

In diesem Bereich ist die Solitude-Allee übrigens bis heute ein Feldweg, der so gar nicht an den Gestank und das Getöse der Weilimdorfer Durchgangsstraße erinnert – dafür aber den Blick auf die Justizvollzugsanstalt Stammheim freigibt.