Wenn um acht Uhr die Glocke an der Börse Stuttgart läutet, wissen die Händler und Kundenbetreuer längst, was die Kurse anderswo geschlagen haben. In unserer Serie „Die Stadt erwacht“ haben wir hinter die Kulissen geschaut.

Wenn um 8 Uhr die Glocke an der Börse Stuttgart läutet, wissen die Händler und Kundenbetreuer längst, was die Kurse anderswo geschlagen haben.

 

7.15

Draußen schiebt sich Auto an Auto hinein in den Planietunnel. Drinnen im Eckgebäude des Carl-Eugen-Baus geht es noch ruhig zu. In der Börse Stuttgart werden just die Büros und der Handelssaal von den Reinigungskräften fit für den Arbeitstag gemacht. Sie leeren Papiereimer, verpassen mancher Oberfläche den letzten Schliff.

7.20

Norbert Paul betritt den Handelssaal und steuert auf einen der vier Gänge zu, die jeweils links und rechts mit Arbeitsplätzen bestückt sind. In den acht Tischreihen werden später Handelsexpertinnen und -experten Rücken an Rücken sitzen, in der Regel vor sechs Bildschirmen pro Nase. Seine Monitore fährt Paul nun hoch. Kurven, Tabellen, Zahlen erscheinen. Auf einem ist der Dax – der Deutsche Aktienindex – wie er sich über mehrere Monate entwickelt hat, auf einem anderen der Tagesverlauf zu sehen. Von den 340 Mitarbeitern der Börse Stuttgart sind 70 im Handel beschäftigt.

7.40

Diese Kolleginnen und Kollegen betreten nun sukzessive den hellen Handelssaal, schütteln allen bereits Sitzenden die Hand, bevor sie zu ihrem Arbeitsplatz gehen. „Der Handschlag ist Tradition“, sagt Paul, der durch den großen Handelssaal führt. Das „Parkett“ besteht längst nicht mehr aus Holz, sondern aus einem blauen Teppichboden. Angelegt ist der Saal als Atrium, einsehbar von fünf Etagen, die sich darüber erheben. Nachher wird dort keiner gestikulierend herumlaufen wie in manchem spannenden Hollywoodfilm. „Der Handel erfolgt mit Xitaro“, sagt Paul. Die Wertpapierorders der Anleger laufen in das elektronische Handelssystem ein, die dann – mit dem Läuten der Glocke – zwischen 8 Uhr und 22 Uhr von den Händlern ausgeführt werden. Die Börse Stuttgart ist die führende Börse Europas für Privatanleger. Mit Fonds, Anleihen, Genussscheinen, Aktien und verbrieften Derivaten wird gehandelt. Für Letztere wurde 1999 das Handelssegment Euwax gegründet, hier ist Stuttgart europäischer Marktführer.

7.45

Auch im lichtdurchfluteten Foyer erwacht der Tag. Im Café Handelbar beginnt eine Mitarbeiterin, Tassen und Gläser herzurichten. Das Regal mit den Magazinen ist bereits bestückt. Ungestörten Purismus strahlen die Utensilien an den Punkten aus, wo sich sonst Mitarbeiter, Anleger und Besucher besprechen oder eine Pause einlegen. Couch und Ledersessel, Hocker und die lange Bank sind noch unbesetzt.

7.49

Im Handelssaal hat sich Norbert Paul einen Überblick über den aktuellen Stand des weltweiten Handels mit Aktien und Derivaten an den internationalen Börsen verschafft. Die sogenannten Stammdaten sind aktualisiert, also die Daten der in Deutschland zu handelnden Papiere sowie der in Stuttgart notierten. Später werden die Tages- und die Real-Time-Daten hinzukommen, also die Informationen, die während eines Handelstags anfallen. Bloomberg TV, den Wirtschafts- und Finanzsender, hat Paul schon nach dem Aufstehen geschaut. Auch bei n-tv und anderen Kanälen informiere er sich, auch unterwegs. Beeinflusst doch so manches Ereignis die Kurse, etwa die Enthüllungen in der Automobilindustrie oder das Votum der Briten, die Europäische Union zu verlassen. „Hier war die Abstimmung über den Brexit.“ Paul zeigt auf einen deutlichen Knick im Dax-Performance-Index. Leidenschaft liegt in seiner Stimme. Börse sei für ihn Hobby und Beruf. „Ich bin 15 Jahre dabei, und es macht immer noch Spaß, weil jeder Tag anders ist.“

7.54

So sieht das auch Richard Dittrich, obwohl er als Leiter der Kundenbetreuung auch mal mit echauffierten Zeitgenossen zu tun hat. Was auf ihn in sechs Minuten, wenn es losgeht, zukommt? Dittrich lässt sich überraschen. „Unsere kostenfreie Hotline ist für die Anleger der direkte Draht zur Börse“, sagt er. Da geht es etwa um Fragen zu Orderausführungen, Kursen oder der Ausgestaltung von Wertpapieren. Das alles, betont Dittrich, passiere neutral. Keiner würde je eine Aktie empfehlen, schließlich seien sie keine Anlagenberater. Was ursprünglich als kleineres Beschwerdemanagement begann, ist zur Abteilung mit sechs Mitarbeitern angewachsen. Auch Dittrich hat sich bereits mit den Stammdaten und aktuellen Nachrichten beschäftigt, um gerüstet zu sein. Der immer neue Austausch mit den Anlegern, der psychologisches Feingefühl erfordere, sei spannend. „Das ist alles andere als ein Job von der Stange“, sagt Dittrich.

8.00

Im Stuttgarter Carl-Eugen-Bau beginnt nun für alle der eigentliche Arbeitstag: Norbert Paul läutet die Börsenglocke.