Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Murad arbeitet mit der international agierenden jesidischen Organisation Yazda zusammen. Die Leute in ihrem Umfeld seien genauso besorgt, sagt Kizilhan. „Aber natürlich ist es eine Verführung, weil Nadia schneller Türen aufmachen kann – wer kriegt schon einen Termin bei Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron?“ Yazda könne ihren Namen nutzen, um auf das Leid der Jesiden aufmerksam zu machen. „Die Leute, die sehr eng um sie sind, müssen sie schützen“, fordert der Traumatologe. „Das ist deren Verantwortung.“ Im „Spiegel“ wird Murad als ein Instrument fragwürdiger Berater mit eigennützigen Motiven teils aus den USA geschildert, die sie als eine moderne Version des Naziopfers Anne Frank präsentieren möchten. Dazu gehören auch Auftritte in Israel.

 

Zufluchtsort bei Stuttgart

Die baden-württembergische Landesregierung ist ihrerseits weiterhin bemüht, Murad zu unterstützen. Nach wie vor hat die 24-Jährige bei Stuttgart einen Zufluchtsort, wo Verwandte und Freunde von ihr leben. Dort zieht sie sich mitunter für ein paar Tage zurück, um zu schlafen oder zu shoppen. „Da ist Nadia Murad eine normale junge Frau“, sagt Kizilhan. „Ich wünschte mir, dass sie das mehr ausnutzen würde.“ Zudem hofft er, dass sie einen ähnlichen Weg geht wie andere im Südwesten aufgenommene Jesidinnen, die Deutschkurse absolviert haben und jetzt Hotelfachfrau oder Friseurin werden wollen. Murad hat demnach noch keine Zukunftspläne.

Harte Kritik übt Kizilhan an ihren Gesprächspartnern auf den weltweiten Treffen. „Wenn ich ihre Reiserouten betrachte, muss man traurigerweise sagen: Es kommt nichts dabei heraus.“ Die Politiker hörten sich ihre Schilderungen an und machten tolle Fotos mit ihr, doch seien die Termine nicht mit konkreten Projekten hinterlegt, die nicht nur den Jesiden, sondern allen Minderheitenreligionen im Nahen und Mittleren Osten eine Überlebenschance brächten. „Womöglich werden wir in den nächsten Jahrzehnten Zeugen eines Genozids an jahrtausendealten Religionen.“

Die Landesregierung in Stuttgart immerhin – weltweit ein Vorreiter in dieser Sache – hat ihr Hilfsprogramm gerade verlängert. „Dies war richtig und wichtig“, sagt der Traumatologe. Jetzt müsse die Unterstützung individueller laufen mit dem Ziel, die Teilhabe der Menschenhandelsopfer am Arbeitsleben zu verbessern.