Die UN-Sonderbotschafterin Nadia Murad ist eine Ikone aller Opfer von Menschenhandel. Doch statt zur Ruhe zu kommen, reist die vom IS einst missbrauchte Jesidin nun rastlos um die Welt. Jetzt hat sie für ihre Arbeit den Friedensnobelpreis bekommen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Sie war ein einfaches Mädchen aus dem Dorf Kocho im nordirakischen Sindschar-Gebirge, wurde Anfang August 2014 eine Sklavin des IS, befreite sich, kam bald nach Baden-Württemberg und stieg fortan zur UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Opfer von Menschenhandel auf. Nun ist Nadia Murad auf der Welt zu Hause, hat dort einen Termin nach dem anderen, trifft höchstrangige Politiker und sieht sich als die „Stimme ihres Volkes“. Für Ihre Arbeit wurde sie nun mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

 

Der Schwenninger Traumataloge Jan Ilhan Kizilhan, der Murad von Anfang an betreut hat, sorgt sich um die 24-Jährige: „Sie kann von der Bühne nicht zurück und soll dort auch sein, aber gleichzeitig muss die Nadia als Ich existieren und für sich sorgen, damit sie eine persönliche Perspektive in ihrem Leben hat“, sagt er dieser Zeitung. „Was passiert denn, wenn übermorgen sich kein Mensch mehr für sie interessiert? Sie darf da in keine Leere fallen.“ Man dürfe nicht vergessen: Sie sei eine junge Frau, „die noch immer an ihrem Trauma nagt“. Die ständige Wiederholung des Traumas bei all den Terminen versetze sie in einen Stress, der kompensiert werten müsse. Schon mehrfach hat er sie ermahnt, auf sich zu achten. Er glaubt derzeit aber nicht, damit bei ihr durchzudringen. „Sie verspricht mir immer, weniger zu machen.“ Geschehen ist dies noch nicht. Bislang funktioniere der „psychologische Verdrängungsmechanismus“. Nachdem sie von den IS-Schergen nicht einmal wie ein Mensch behandelt wurde, genieße sie nun überall die Anerkennung.

Dieser Text erschien zuerst am 2. November 2017 in unserer Zeitung.

Buchveröffentlichung hat Vorrang

In diesen Tagen erscheint das erste Buch von und über Nadia Murad. „Ich bin eure Stimme“, heißt es. Um dessen Präsentation möchte sie sich zunächst kümmern. Wenn das Buch ein Erfolg sein sollte, so der Psychologe, was er hoffe, dann sollte sie politische Ereignisse zurückstellen und Schritt für Schritt zu sich finden. Man werde sehen, ob das etwa Anfang nächsten Jahres tatsächlich passiere. Realistisch sei ein Rückzug gleichwohl nicht, fügt Kizilhan an. Die Entwicklung im Nordirak sehe weder für die Kurden noch für die Jesiden rosig aus. „Hier werden Landsleute wahrscheinlich immer wieder Druck auf sie ausüben, sich einzubringen.“ Denn sie komme aus einer Gesellschaft, in der das Individuum weniger zähle als das Kollektiv.