Gaetano Donizettis Buffa „Don Pasquale“, an der Stuttgarter Staatsoper liebenswürdig und trickreich inszeniert von Jossi Wieler und Sergio Morabito.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Manchen Leuten sieht man im Alter noch an, wie sie als junger Mensch ausgeschaut haben mögen. Bei Don Pasquale braucht man dazu Fantasie: Er trägt in seinem überdimensionierten weißen Alleinherrscherbüro zu einem grauen, gut gestutzten Schnurrbart einen ebenso gut sitzenden schwarzen Anzug, der ihn zu allerhand prädestinierte. Das Libretto von Giovanni Ruffini für Gaetano Donizettis 1843 in elf Tagen fast fix und fertig komponierter Komischer Oper „Don Pasquale“ gibt über den Beruf keinen weiteren Aufschluss, verzeichnet jedoch, dass es sich um einen Junggesellen „vom alten Schlage“ handle: „Geizig, eigensinnig, aber im Grunde gutmütig“. Und Geld hat er natürlich wie Heu. Für diesen Part ist der Bass Enzo Capuano an der Stuttgarter Oper eine Idealbesetzung: Er erspielt sich die Rolle über seinen überaus warmen Grundton mit einer Mischung aus Noblesse und leichter Desorientiertheit. Und nur zu gerne lässt er sich etwas vormachen.

 

Von Anfang an – das ist der psychologisch grunderhellende kleine Trick diese Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito – kann man Don Pasquale gleichwohl nicht richtig gram sein, wie er in der Folge, im Prinzip aus Boshaftigkeit gegen seinen Neffen Ernesto, der erben würde, selber noch einmal als Freier auftritt und gehörnt wird. Mit dem ersten Takt der gleichzeitig samtig ausgestrichenen, aber auch trennscharf formulierten Ouvertüre nämlich schnurrt ein Pop-Art-bunter Animationsfilm vom Studio Seufz ab, der den nunmehr fast senilen Mann noch einmal als frischen Lebenskünstler porträtiert: Gemeinsam mit der Freundin erkundet er da, offensichtlich auf Magical Mystery Tour und in Beatles-Manier in den Endsechzigerjahren unterwegs, die Wonnen des Daseins – inklusive Liebesspiel und anderer Formen der Entrückung. Tüchtig dampft die Tüte. Schon aber geht der schwarze Mann um. Offensichtlich greift die väterliche Hand nach dem Filius, macht ihn im Büro sesshaft, saugt ihm Blut und Mark und Flausen aus. Eckige Runden werden nicht mehr gedreht. Das war’s mit donnerndem Leben.

Brücke zur Vorgeschichte

Auf solche Art spielen Wieler und Morabito, als Duo gerne doppelbödig denkend, mit der Historie des Stücks. „Don Pasquale“ nämlich rückte, fand das Pariser Uraufführungspublikum, den damals Anwesenden unziemlich direkt auf den Pelz, trugen doch die Darsteller das, was auch die Operngäste anhatten und setzten sich damit sozial gleich. Prompt wurde die Szene, sehr zu Gaetano Donizettis Missfallen, hundert Jahre früher als zur Spielzeit angesiedelt und das Ambiente somit zopfig. Die Stuttgarter Inszenierung hingegen schlägt eine Brücke zu einer Vorgeschichte, die sie am Ende noch brauchen kann.

Zunächst einmal allerdings legt sie virtuos die restlichen Handlungsfäden aus, wozu vor allem die Charakterisierungen von Ernesto (Ioan Hotea) und Norina (Ana Durlovski) gehören: Der eine ist ein Träumer und Eskapist, ob unter Kopfhörern oder behängt mit Indianerschmuck. Seine Freundin, die vom Arzt Doktor Malatesta mit Don Pasquale verkuppelt wird, haben die Härten des Lebens schon eher angefasst: Ana Durlovski ist eine Witwe in Leggings, die sich die Kicks für ihre herrlichen Koloraturen holt, sobald sie aufs Handy schaut. Und sie schaut oft aufs Handy, wenn sie nicht raucht.

Dieser Gemengelage – als Arzt ist der agile André Morsch der Drahtzieher der Intrige – fügen Wieler/Morabito noch die Figur des fast ganz stummen Notars hinzu, den Marko Spehar mit einer schwebenden Robustheit und Kauzigkeit spielt, die ihn als Protagonist für jede Marthaler-Inszenierung empfiehlt. Und wie es ist in einer guten und gut funktionierenden Komödie auf einer Drehbühne (Jens Kilian): Stimmen die Voraussetzungen, stimmt das Stück. Ob man dabei, wie die Dramaturgie nahelegt, Don Pasquale als Synonym für unsere überalterte Gesellschaft liest, oder Norinas in der Rolle der Braut sich sofort entwickelnde Dominanz im Haushalt als frühen Ausweis von Feminismus begreift, ist dabei nicht von übergeordneter Bedeutung.

Die Freuden des jungen Don

Wichtiger ist, dass „Don Pasquale“ hinaus gelangt über die pure Betriebsmechanik einer Komischen Oper, und das geschieht allemal, wenn die Überraschung im Detail steckt: Vor allen Dingen Ana Durlovskis Auftritte sind mit einer staunenswerten Präzision getaktet. Man möchte nicht unbedingt derjenige sein (in diesem Fall ist es André Morsch als Arzt Malatesta), der gerade noch die Finger aus der Verschlussleiste des Hartschalenkoffers zieht, den Durlovski mit einem kalkulierten Kick schließt, während sie „Quel gardo il cavaliere . . .“ singt. Kunststück. Giuliano Carella und das Stuttgarter Staatsorchester haben daran insofern großen Anteil, als die Musik sich stets bühnenfreundlich verhält, im Detail, nie im Ganzen, auftrumpft und auf Knalleffekte verzichtet. Organisch integriert ist bis zum partyhaften Ende der von Christoph Heil geleitete Chor.

Die eigentliche Pointe der Regie jedoch setzt noch einmal auf den anfangs gezeigten Film über die Freuden des jungen Don Pasquale und deren abruptes Ende. Als sich schon ankündigt, dass Don Pasquale, der ja auch vokal ein Außenseiter ist in dieser Oper, ein einsamer Mensch bleiben wird, sieht man ihn, wie er sich während Serenade und Notturno (die der immer besser werdende junge rumänische Tenor Ioan Hotea dominiert) die Konstellation im Garten schön raucht: Mit dem Joint in der Hand verschwimmen Don Pasquale die Erinnerungen an seine erste Liebe und seine gescheiterte letzte Annäherung. Für eine Buffa endet „Don Pasquale“ entschieden rabiat auf der nachtschwarzen Seite, und Wieler und Morabito machen daraus kein Hehl. Amüsante, aber auch leicht nachdenklich machende zweieinhalb Stunden in der Stuttgarter Oper.