Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Sturm bittet um eine kurze Pause und führt den Besucher auf einen winzigen Balkon, von dem aus man einen Logenblick auf die S-21-Reise zum Mittelpunkt der Erde hat. Abschalten kann der Künstler nicht, stattdessen hält er einen Stegreifvortrag über die Bohrköpfe, die hier eingesetzt werden, und über die Menge an Stahl, die hier verbaut wird. Wenn Sturm loslegt, wechselt er in Lichtgeschwindigkeit vom Künstler zum universal interessierten Denker mit temporärem Ingenieurschwerpunkt und wieder zurück. Mit der Urgewalt von Bohrköpfen in der scheinbar ewigen Stuttgart-21-Auseinandersetzung hatte sich Sturm in seiner Arbeit „Zeit. Stadt. Wert“ am Hospitalhof befasst. Im Zentrum dieses Werks stand ein in den Hof des Hospitalhofs ragender, grau-schwarz polierter Doppel-T-Träger. Der Träger hatte im S-21-Untergrund geschlummert, war durch die Macht eines der Bohrmeißel, die auf der Bahnhofsbaustelle eingesetzt werden, unsanft geweckt und mit Urgewalt um den Bohrkopf gewickelt worden. Sturm hatte das verdrehte Objekt zufällig entdeckt und in wochenlanger Feinarbeit gereinigt. „Bei diesem Objet trouvé geht es um ein Relikt, das die Krafteinwirkung der städtischen Umwälzungen zeigt.“

 

Zuvor beschäftigte sich der Konzeptkünstler in beispielloser Ausdauer mit einem anderen Material. 2010 hatte er in Feuerbach die älteste Litfaßsäule Stuttgarts identifiziert und auf eigene Kosten abbauen lassen. „Ich habe die Säule im Bildhauergarten der Kunstakademie parken dürfen“, erzählt Sturm, der dort sein Kunstobjekt Schicht für Schicht entblätterte. Zum Vorschein kamen Werbeplakate, die wie ein Daumenkino der vergangenen 40 Jahre zu lesen sind und zum Teil bereits ausgestorbene Sehnsuchtsfiguren der Zeitgeschichte zeigen, etwa den ins Lungensanatorium der Geschichte vertriebenen Marlboro-Mann. Das älteste Plakat stammte von 1979 und warb für einen Skisprung-Event im Schwarzwald.

Kunst auf Schwarzwaldmoos

Der Schwarzwald passt zum Schluss der Auseinandersetzung mit dem Sturm’schen Werk besonders gut. Die Feinstaub-Aufnahmen in Nano-Größe, die Sturm bei der Museumsnacht zeigt, werden auf Moos-Wänden aus dem Schwarzwald präsentiert. Dafür hat Sturm sich dasselbe Moos besorgt, das die Firma Vertiko in Buchenbach züchtet und für die Stadt Stuttgart am Neckartor als Experiment der Luftreinhaltung einsetzt. Das Moos als Grundlage für den ersten Frischluftalarm Stuttgarts: Anspruchsvoller als durch den Neuzeitarchäologen vom Neckartor wurde in dieser Stadt noch nie stoßgelüftet.