Die Tanzbiennale Heidelberg verbeugt sich mit einem Gastspiel des Austrialian Dance Theatre vor der Stuttgarter Choreografin Tanja Liedtke, die 2007 in Sydney verunglückte. Ihr letztes Stück „Construct“ erzählt vom Bauen und Zerstören.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Heidelberg - Achtung, Baustelle! Noch bevor es losgeht, ist die Bühne schon ein Statement. Am Rand stehen Leitern, eine Werkbank, Kabeltrommeln, Latten und allerlei Heimwerkergerät bereit. Ganz klar: Hier ist ein Ort, der Dinge möglich werden lässt, wenn man sie nur richtig anpackt. „Construct“ heißt das Tanzstück von Tanja Liedtke, das in den nächsten sechzig Minuten das Bauen und seine Strukturen als Metapher dafür nutzen wird, wie man Dinge im Leben - Karriere, Beziehungen, seine Zukunft - entwirft und vielleicht auch wieder verwirft.

 

Zu sehen war „Construct“ als Gastspiel des Australian Dance Theatre (ADT) am Donnerstag bei der Tanzbiennale in Heidelberg. Dass die Kompanie aus Adelaide dieses mit drei Tänzern klein besetzte Stück zehn Jahre nach seiner Uraufführung ins Repertoire holte, ist eine Verbeugung vor der Choreografin Tanja Liedtke: Die gebürtige Stuttgarterin, die beim ADT getanzt hatte und 2007, kurz bevor sie die Leitung der Sydney Dance Company übernehmen sollte, bei einem Unfall ums Leben kam, wäre im vergangenen Oktober 40 Jahre alt geworden; ihr Todestag liegt zehn Jahre zurück.

Ein Mann gerät in die Bredouille

Zwei Frauen ist zu verdanken, dass „Construct“ nun erstmals in Deutschland zu erleben war. Wer Ausschnitte aus diesem Stück und seine Entstehung in dem Dokumentarfilm „Tanja - Life in Movement“ gesehen hatte, der teilte die unbedingte Lust aufs Ganze. So fein greifen da kleinste Bewegungsdetails ineinander, so humorvoll und einfallsreich wird da verdichtet, so akrobatisch alltägliche Herausforderungen zugespitzt, dass man unbedingt wissen will, wie dieses perfekte Räderwerk sechzig Minuten lang funktioniert. Diesen Wunsch erfüllt hat sich und vielen Tanzfreunden die Heidelberger Tanzchefin Nanine Linning; unterstützt wurde sie dabei von Tanja Liedtkes Mutter Gerlinde, die mit einer Stiftung junge Tänzer fördert und das Erbe der Tochter bewahrt.

Zwei starken Frauen gehört auch die erste Szene von „Construct“. In Latzhosen treten Marlo Benjamin und Jana Castillo an und bringen den Mann zwischen sich in die Bredouille, indem sie sich wie steife Puppen fallen lassen. Wie Kimball Wong sich müht, beide gleichzeitig und langfristig wieder auf die Beine zu bekommen, ist ein kostbarer Bühnenmoment, der sich nicht nur mit Slapstick und Pantomime, mit exaktem Timing und perfekter Körperbeherrschung begnügt; irgendwann kommt der Tanz mit Hilfe eines Akkuschraubers ins Spiel und mit ihm eine Lösung.

Der unbedingte Wille, etwas zu erreichen

Diese Begegnung gibt wie eine Ouvertüre Ausblick auf das Thema von „Construct“ und taugt auch dazu, ein Licht auf Tanja Liedtkes Arbeit zu werfen: ums Nicht-Aufgeben geht es, auch wenn man scheinbar Unlösbares vor sich hat, um den unbedingten Willen, etwas zu erreichen, um die Energie, den Plan, das Team, die es dazu bedarf.

„Construct“ ist auch ein Ausprobieren der Mittel, mit denen sich Tanz ausdrücken kann. Mini-Dramen und Fingertheater-Romanzen treffen in der Abfolge kurzer Szenen auf körperintensive Bewegungen, auf Streetdancemotive oder auf Artistisches. Ein paar Holzlatten, eine Lichterkette, wenige Handgriffe reichen, um in diesem verblüffend effektvoll immer wieder umgebauten Rahmen Emotionen zu verhandeln von Menschen, die vorankommen, die ankommen wollen, die aufbauen und einreißen.

War Tanja Liedtkes 2004 entstandenes Stück „12th Floor“ ein düsteres Sich-Aufbäumen gegen Verhältnisse, die nicht zu ändern waren, so inszenierte „Construct“ drei Jahre später eine Welt, die vermessbar, die planbar ist - und die doch in Teilen überfordert. Zurück bleibt ein aus Latten aufgestapelter Turm, fragil und doch stabil. Und das Staunen, wie zeitlos dieses Stück ist, von dem Tanja Liedtke sagte, dass es Persönliches wie Größeres anspreche. „Wir bauen Städte und zerstören sie“, notierte die Choreografin zu „Contruct“. „Große Zivilisationen zerfallen. Dinge wachsen und vergehen. Es ist ein universelles Thema, etwas, das dieser Welt innewohnt.“ Ein Tanzabend, der berührt – und der, weil er alle Erwartungen erfüllt, sein Publikum auch getröstet zurücklässt.

Für mehr schöne Begegnungen will die Tanzbiennale an diesem Samstag sorgen, wenn zum Finale die Tanzgala Baden-Württemberg „Best of Ländle“ versammelt. Vom Stuttgarter Ballett dabei sind Anna Osadcenko und Jason Reilly, die mit Katarzyna Kozielskas „Bite“ nach Heidelberg reisen.