Die Toten Hosen sind wieder auf Magical Mystery Tour und spielen in Wohnzimmern mitten unter ihren Fans. Ein Besuch in Hülben auf der Schwäbischen Alb – wo die Band am Donnerstagabend gespielt hat.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Hülben - Vier auf sechs Meter misst das Wohnzimmer von Jakob Krehl. Mehr Platz ist da nicht. Heute quetschen sich gut 60 Leute rein. Und eine Band mit Boxen und Instrumenten. Sein Freund Luis Blankenburg singt „Wünsch dir was“ ins Mikro, während Campino wenige Zentimeter unter der Decke auf den Händen der Fans getragen wird. Das ist „Stage Diving“ ohne Stage, eine Bühne gibt es hier im Wohnzimmer in Hülben nicht. Am Donnerstagabend haben Die Toten Hosen vor rund 60 Leuten auf der Schwäbischen Alb gespielt. Mehr als zwei Stunden lang, mit Hits, Schweiß, sehr viel Bier. Und ganz viel Glückseligkeit vor und auf der Bühne. Sie sind auf „Magical Mystery Tour“ und zerstören Wohnzimmer.

 

Die Toten Hosen haben mit „Ballast der Republik“ 2012 ihr erfolgreichstes Album der Bandgeschichte veröffentlicht. Sie spielten eine ausverkaufte Tournee, die am Ende 1,1 Millionen Menschen besuchten, was in Deutschland noch keine Band vor ihnen geschafft hat. Dieses Jahr sind sie als Headliner bei „Rock im Park“ und „Rock am Ring“ angekündigt. Zuvor sind sie auf ihrer so genannten „Magical Mystery Tour“, auf der sie bei Fans im Wohnzimmer spielen. Je kleiner, desto besser.

Warum machen die das? Die Plattenmillionäre und Vielverdiener, diese fünf Typen aus Düsseldorf, die alle Jahre wieder die Stuttgarter Schleyerhalle ausverkaufen. „Uns ist es im Leben immer um Begegnungen gegangen. Wann habe ich noch mal die Gelegenheit in einer Schweizer Punk-WG zu feiern? Wann kann ich zu so einer Veranstaltung, ohne mir dabei blöd vorzukommen“, sagt Andreas Frege, den die gesamte Republik nur unter dem Spitznamen Campino kennt. Dass er den Namen eines Bonbons trägt, daran hat nicht nur er sich gewöhnt. Die Toten Hosen gründeten sich 1982, als Helmut Kohl Bundeskanzler wurde. Sie trugen scheußliche Synthetik-Klamotten aus der Altkleider-Sammlung, sangen Loblieder auf den Alkohol und darüber, dass man seine Zeit doch bitteschön verschwenden solle. Campino ist inzwischen 54 Jahre alt, seine Band gibt es seit 35 Jahren. Im Mai erscheint ein neues Album mit dem Titel „Laune der Natur“.

Im Proberaum der Hausherren hängt ein Plakat auf dem steht: „Und Gott sprach: Es werde laut“.

In Hülben, gleich hinter Bad Urach am Albtrauf gelegen, gibt es einen Heidengraben, eine Tropfsteinhöhle, ein Schulmuseum und eine Ölmühle – das zählt die Internetseite der Gemeinde unter touristischen Sehenswürdigkeiten auf. Hülben hat knapp 3000 Einwohner. Selbst, wenn alle zum Konzert der Toten Hosen kommen würden, wäre das ein sehr kleiner Gig für die Band. Luis Blankenburg und seine Freunde, die auch eine Band haben, hatten sich mit einem Video beworben, Lieder der Toten Hosen eingespielt, Masken der Bandmitglieder getragen. Die Köpfe aus Pappe kleben an der Wand an der Treppe hoch auf dem Weg zum „Backstage“-Raum, der sonst eher Rumpelkammer ist. Im Proberaum des Hausherren hängt ein Plakat auf dem steht: „Und Gott sprach: Es werde laut“. Und es wird laut an diesem Abend.

Die Nachbarn wurden gewarnt. Der Bürgermeister Siegmund Ganser, der zwei Häuser weiter wohnt, wundert sich über den Krach und holt noch schnell das Goldene Buch aus dem Rathaus, in dem sich Campino und Kollegen verewigen.

Mehr als 10 000 Zuschriften gingen bei der Plattenfirma JKP in Düsseldorf ein. Mit Videos, Briefen, Plakaten hatten sich die Fans beworben, am Ende waren es zwölf glückliche Gewinner von Chemnitz bis Hülben quer in der Republik und im Ausland verteilt. Anfang der Woche waren Die Toten Hosen bei der Anti-Pegida-Demonstration in Dresden – ohne Vorankündigung. Nur ein paar Hundert Menschen haben die Band vor der fahrenden LKW-Bühne erlebt, als sie „Where Are They Now“ von Cock Sparrer oder ihr „Willkommen in Deutschland“ aus dem Jahr 1992 spielten. In den sozialen Medien machte der Auftritt die Runde, es gab viel Lob, aber auch Häme.

Paul Ripke dokumentiert die Tour durch die Wohnzimmer

Luis Blankenhorn und seine Freunde sind Fans der Toten Hosen, „wegen der Texte, der Musik und auch wegen ihrer politischen Haltung“, sagt der 21-jährige Student auf einer Bank im Garten. 32 Kisten Bier stehen im Gewölbekeller. Der Getränkelieferant wunderte sich über die georderte Menge. Sie haben geschwiegen. Geheimhaltung war Pflicht, damit die Sache nicht eskaliert, wenn die Rockstars kommen.

Bei der Magical-Mystery-Tour 2012 spielten Die Toten Hosen auf einer Barkasse in Hamburg, bei der Freiwilligen Feuerwehr in Gäufelden, in einer Urologie in Ingolstadt und in Jens Jeremies’ Hobbykeller in München, wo sie auch ihren Bayern-Song zum Besten gaben. Legendär ist der Auftritt im Haus von Ernst Albrecht, dem damaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens, vor 30 Jahren. Sein Sohn Barthold lud ein, es wurde viel zerstört, in Blumenrabatte gepinkelt, der Weinkeller geplündert und Pogo getanzt.

Jetzt also Hülben. In den Garten pinkelt heute niemand, vor dem Haus wurden Dixi-Klos aufgestellt. Der Fotograf Paul Ripke steht in Flipflops auf dem Rasen und lässt eine Drohne in die Luft. Die Kirchturmglocken läuten um 19 Uhr. Band und Fans haben sich für die Bilder vor dem Einfamilienhaus Baujahr 1956 formiert. Eine Seniorin geht vorbei und murmelt in breitem Schwäbisch: „Da sen aber a Haufa Leut.“ Ripke ist der Star unter den Fotografen. Sonst geht er gern mit Rapper Marteria angeln, setzt Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton in Szene und fotografierte die deutsche Nationalelf 2014 in Rio. Nun begleitet er Die Toten Hosen auf ihrer Wohnzimmertour. Das ist eine kluge Werbemaßnahme. Aber eine, an der alle scheinbar ihren Spaß haben.

Nach nur drei Liedern sind alle klitschnass

Dabei ist es ein Risiko für beide Seiten: Sind die Typen, die man seit Jahren verehrt, abgehobene Rockstars? Sind die Fans anders, als man sich die Fans erhofft? Campino, Kuddel, Andi, Breite und Vom, alle Anfang, Mitte 50, sind Superstars. Luis schwärmt von Auftritten der Band bei „Rock im Park“: „Da haben die vor 85 000 Menschen gespielt. Und heute sind die hier. So etwas machen andere Bands in diesem Kaliber ja nicht.“ Worte wie „unglaublich“, „einmalig“, „schön“ und „der Knaller“ hört man oft an diesem Abend.

Die Band selbst bewegt sie sich ein paar Stunden vor dem Auftritt ganz normal unter den Gästen, so normal wie es zwischen zig Selfies und Händeschütteln eben geht. Die nervöse Angespanntheit der Fans weicht mit der Zeit. Bassist Andi lobt das Video der Gewinner, Breiti sagt: „Die Art von Kartoffelsalat finde ich großartig.“ Maultaschenbrühe dampft aus einem Kochautomat auf der Terrasse, serviert auf den guten Tellern mit Goldrand. Es ist alles wie bei einer netten Party, zu der ein paar Leute mehr eingeladen wurden. „Eigentlich machen wir das vor allem wegen der kulinarischen Spezialitäten der Region“, scherzt Andi.

Es geht natürlich um die Musik, die Band, das Erlebnis in ganz, ganz kleinem Rahmen. Die Toten Hosen legen los mit „Liebesspieler“, einem Lied, das viel älter ist, als die meisten hier im Raum. Nach nur drei Songs sind alle klitschnass. Sie spielen „Liebeslied“, Hannes Waders „Heute hier, morgen dort“, „Teenage Kicks“ von den Undertones, „Hier kommt Alex“ und „Bonnie & Clyde“, während Jakobs Mutter die leeren Bierflaschen entsorgt. Bei „Alles aus Liebe“ hat Luis seine Freundin Anke auf den Schultern, während Paul Ripke zwei Kameras gleichzeitig jongliert. Der Bürgermeister schaut durchs Fenster im Garten zu.

Über die reguläre Songliste hinaus, erfüllen Die Toten Hosen auch Liedwünsche. „Opel Gang“, „Tage wie diese“ und zum Schluss „You’ll Never Walk Alone“, die Hymne des FC Liverpool. Campino grinst sein Campino-Grinsen. „Die Magical Mystery Tour führt uns immer wieder vor Augen, für wen und warum wir das Ganze noch machen. Und wir geben da nicht nur was, wir bekommen auch tierisch viel zurück“, sagt er. Nach dem Konzert steht Campino in der Küche, plaudert mit Pfarrer Josef Egg. Egg und der Bürgermeister der bayrischen Gemeinde Rottenbuch hatten sich auch um ein Wohnzimmerkonzert beworben, aber knapp gegen die Hülbener verloren. Zum Trost wurden sie auf die Alb eingeladen. Sie tragen Lederhosen und Trachtenhüte, drei Kisten bayrisches Bier lagern sie im Bus. „Für alle Fälle.“ Klar, sie hätten das Konzert gern auf ihrem Bergbauernhof gehabt, sagt Egg: „Aber immerhin müssen wir morgen nicht aufräumen.“