Kilic ist nicht der Einzige, der wegwill. In den Auswanderer-Internetforen herrscht ein reger Meinungsaustausch. Koray Kilic und seine Frau haben etliche Bekannte, die – alleinstehend, als Paare oder Familien – nichts mehr in der Türkei hält. Fünf davon seien bereits umgesiedelt, nach Deutschland, Dänemark und in die Schweiz. Belastbare Statistiken zur Auswanderung gibt es nicht. Die türkische Regierung erfasst die Zahlen vermutlich, veröffentlicht sie aber aus naheliegenden Gründen nicht. Mehr als 7300 Akademiker verloren im Zuge der „Säuberungen“ nach dem Putschversuch ihre Arbeit. Viele von ihnen suchen jetzt Jobs im Ausland.

 

Dass es vor allem junge, gut ausgebildete und weltoffene Leute sind, die nun ans Auswandern denken, weil sie sich in Erdogans Türkei nicht mehr heimisch fühlen, könnte zu einem Problem werden: Dem Land droht ein Braindrain, die Abwanderung der besten Talente. Vor allem Türken, die schon einmal längere Zeit im Ausland waren, dort studiert haben oder aufgewachsen sind, spielen mit dem Gedanken, die Türkei zu verlassen. Einer von ihnen ist Ali Nakci. Der 37-Jährige ist in Rheinbach bei Bonn aufgewachsen, hat in Essen studiert und sechs Jahre lang als Personalberater in Köln gearbeitet, bevor er 2012 in die Türkei zurückging und in Istanbul ein Beratungsunternehmen gründete. Nakci unterstützt deutsche Firmen beim Markteintritt in der Türkei und türkische Unternehmen bei der Expansion ins Ausland. „Ich denke immer öfter daran zurückzugehen“, sagt Nakci.

Der Konfrontationskurs ist für die Wirtschaft kontraproduktiv

Seit 2013 schwächelt die türkische Wirtschaft. Und dann sind da die aktuellen politischen Probleme und die ständigen Angriffe Erdogans gegen Europa. „Dieser Konfrontationskurs nach dem Motto ,Wir Türken bieten der ganzen Welt Paroli‘ ist kontraproduktiv für die Wirtschaft“, sagt Nakci. „Kaum einer will hier mehr investieren, es gehen mehr ausländische Firmen weg, als neue hinzukommen“, beobachtet der Unternehmer. Auch ihn beschäftigt die Zukunft seiner Familie: „Im August erwarten meine Frau und ich unser erstes Kind“, sagt er: „Ich denke, danach werden wir wohl nach Deutschland gehen.“

Für die Familie Nakci steht die Tür jederzeit offen, der 37-Jährige hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Koray Kilic wartet derweil auf seinen rumänischen Pass. „Spätestens im August habe ich die Papiere“, hofft er. Bewerbungen an Firmen in Deutschland hat er bereits geschrieben. Am liebsten möchte er nach Köln, in seine alte Heimatstadt, oder nach Stuttgart, wo seine Schwiegermutter lebt. Er habe bei seiner Ahnenforschung „das große Los gezogen“, freut sich Kilic. Andere haben weniger Glück. Einer seiner Bekannten habe die Vorfahren über mehrere Generationen zurückverfolgt, erzählt Kilic. Dann sei er tatsächlich auf eine Auslandsverbindung gestoßen. Aber die Urgroßmutter war Perserin. „Da hat er natürlich eine Niete gezogen“, sagt Kilic mitleidsvoll.