Der Nordostring ist der Untote unter den deutschen Straßenprojekten. Oft beerdigt und auferstanden – und vor der Kommunalwahl wieder in aller Munde, weil in Remseck eine Neckarbrücke gebaut werden soll. Wie positionieren sich das Land und die Kommunen?
Region Stuttgart - Der „Nordostring als Fata Morgana“ – so hat der grüne Landtagsabgeordnete Jürgen Walter unlängst eine Mitteilung an die Presse überschrieben. Um direkt im nächsten Satz seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass auch beim „Nordostring an Aschermittwoch alles vorbei ist“. Nun gut, die Grünen waren immer gegen dieses Straßenprojekt, das polarisiert wie kaum ein zweites im Land. Aber Aschermittwoch ist längst verstrichen, und die Debatte geht weiter. Der Ring, der im Norden der Landeshauptstadt von Waiblingen über Remseck bis nach Kornwestheim führen soll, feiert gerade die nächste Auferstehung. Vor allem seit in Remseck die Planungen für den Bau einer weiteren Neckarbrücke konkreter werden, wird wieder über den Nordostring gestritten – auf Landesebene und in den Kommunen entlang der Strecke.
Zusätzliches Feuer kommt in die Diskussion, weil die Kommunalwahl näher rückt. Für die Anhänger ist der Ring die letzte verbliebene Möglichkeit, die chronisch verstopften Straßen in der Region zu entlasten. Für Kritiker ist er eine Ersatzautobahn, die wertvolle Grünflächen vernichten, die Landschaft verschandeln und noch mehr Verkehr produzieren würde. Wir erklären an dieser Stelle, wer für den Nordostring ist und wer dagegen.
Bund, Land und Region Stuttgart
Der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat Ende 2018 in Stuttgart für den Nordostring geworben. Auch sein Verkehrsstaatssekretär, der Ludwigsburger Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger (CDU), ist dafür, „das Projekt anzupacken“. Der Ring steht im Bundesverkehrswegeplan 2030, in dem der Bund wünschenswerte Straßenbauvorhaben auflistet. Der Verband Region Stuttgart hat die Straße zudem in den Regionalverkehrsplan aufgenommen. In der Regionalversammlung stellen CDU, Freie Wähler und FDP eine Mehrheit, sie sind für den Ring. Kompliziert ist die Situation auf Landesebene: Die CDU will die Umfahrung, die Grünen und der grüne Verkehrsminister Winne Hermann wollen sie nicht.
Kornwestheim
In Kornwestheim Menschen zu finden, die für den Nordostring sind, ist nicht ganz einfach. Eine gewisse Sympathie hegen Anwohner der Aldinger Straße und eines benachbarten Wohngebiets, weil sie auf weniger Verkehr vor ihrer Haustür hoffen. Die Aldinger Straße gilt mit täglich 15 000 Fahrzeugen als eine der am stärksten befahrenen Strecken in der Stadt. Die Kommunalpolitik indes hat sich klar gegen den Ring positioniert. 2015 und 2016 schickte die Stadt Briefe ans Bundesverkehrsministerium, in denen sie sich unmissverständlich gegen das Vorhaben aussprach.
Als der Bürgerverein vor einigen Wochen eine Informationsveranstaltung zum Thema ausrichtete, war das Interesse so groß, dass der Platz im Galeriesaal nicht ausreichte. Die Stimmung war eindeutig: In Kornwestheim ist die Umfahrung nicht gewollt, weil dafür die ohnehin raren Freiflächen geopfert werden müssten und durch den Anschluss an die B 27 ein riesiges Straßenbauwerk entstehen würde.
Interessant ist in dem Zusammenhang die Position der Freien Wähler in der Region, die das Land kürzlich aufforderten, mit den Planungen für den Nordostring zu beginnen. Nur die Freien Wähler in Kornwestheim und Fellbach haben die Erklärung nicht unterzeichnet.
Remseck
Besonders emotional diskutiert wird in Remseck: Zum einen müsste für den Nordostring nahe des Stadtgebiets eine neue Neckarbrücke gebaut werden, was mit erheblichen Eingriffen in die Landschaft verbunden wäre. Zum anderen leidet die 26 000-Einwohner-Kommune wie kaum eine zweite in der Region unter Staus. Rund 30 000 Fahrzeuge überqueren täglich in Remseck den Neckar, vor der bestehenden Brücke bilden sich zu Stoßzeiten lange Autoschlangen.
Die Fraktionen von Freien Wählern, CDU und FDP hoffen, dass diese Staus sich auflösen, wenn der Nordostring kommt. Sie machen Druck auf das Verkehrsministerium, vor wenigen Monaten wurde eine Resolution für den Ring verabschiedet, SPD und Grüne lehnten sie ab. Der Oberbürgermeister Dirk Schönberger (parteilos) bezeichnete den Ring zuletzt als „notwendig und überfällig“. Er will aber „keine Ersatzautobahn“, sondern eine ökologisch verträgliche Trasse.
Aktuell debattiert die Stadt intensiv über ein Verkehrsprojekt, das eng mit dem Nordostring verknüpft ist. Die sogenannte Westrandbrücke soll einige hundert Meter neben der bestehenden Brücke über den Neckar gelegt werden. Die Stadt treibt die Pläne voran, betont aber, dass es sich dabei um keinen Ersatz für den Nordostring handle. Trotzdem befürchten die Unterstützer des Rings genau das: einen lokalen Ersatz für die große Lösung. Sie wollen allerdings beides, den Nordostring vor der Stadt und die Westrandbrücke. Die Kritiker des Rings würden gerne nur die Westrandbrücke bauen, um den Stau aufzulösen, und sehen keine Notwendigkeit für eine große Umfahrung. Endgültig entschieden wird über die Neckarquerung im Frühjahr 2020, beim ersten Bürgerentscheid in der Geschichte der Stadt.
Waiblingen
„Erst mit einer Nord-Ost-Tangente gelingt die wichtige Anbindung des Wirtschaftsraums Waiblingen an die Autobahn und die Verknüpfung mit dem Wirtschaftsraum Ludwigsburg.“ Das sagt der Waiblinger Oberbürgermeister Andreas Hesky (Mitglied der Freien Wähler), und damit ist klar: Er will den Ring, nennt ihn aber anders: Tangente. Damit will Hesky ausdrücken, dass er keine Ersatzautobahn fordert, sondern lediglich eine zwei-, an den Steigungsstrecken dreispurige Straße. Diese sollte, sagt er, wo immer möglich im Tunnel verlaufen. Mit einer solchen Straße könne auch die enorme Verkehrsbelastung in Hegnach und in der Kernstadt von Waiblingen deutlich reduziert werden, so Hesky.
„Erst mit einer solchen Straße entfaltet die bestehende Westumfahrung von Waiblingen ihre Entlastungswirkung vollständig“. Angesichts der Planungen für eine Westrandbrücke in Remseck werde die Nord-Ost-Tangente umso wichtiger.
Fellbach
Die Gegner des Nordostrings waren nicht weit, als sich die Landes-CDU dieser Tage in der Alten Kelter in Fellbach zum politischen Aschermittwoch traf. Direkt vor dem Fachwerkbau war die örtliche Landwirtschaft mit Traktoren und Spruchbändern angerückt, um der Polit-Prominenz deutlich zu machen, dass der Protest gegen eine autobahnähnliche Trasse übers Schmidener Feld nach wie vor nicht abgeebbt ist. Mit der Kritik gegen die Nordostring-Pläne stehen die Bauern in Fellbach nicht allein. Die Ablehnung eint Lokalpolitik und Bürgerschaft: „Wir alle stemmen uns mit aller Kraft und einer erfreulichen Geschlossenheit gegen die Gefahr, dass unser kostbarer Landschaftsraum durch eine völlig überdimensionierte Ersatzautobahn durchschnitten wird“, sagte kürzlich die Oberbürgermeisterin Gabriele Zull.
Ende September hat selbst die lokale Wirtschaft ihren Unmut über die längst beerdigt geglaubte Idee vom Bypass für den überregionalen Verkehr zum Ausdruck gebracht – zu einem von Gewerbevereinen organisierten Aktionstag kamen mehr als 5000 Besucher. Als Verhinderer einer Lösung für die Stauprobleme rund um Stuttgart sieht sich Fellbach nicht. Die Stadt ist durchaus bereit, einen Teil der zusätzlichen Verkehrsbelastung durch die geplante Remsecker Westrandbrücke zu schultern.
Ludwigsburg
Ludwigsburg liegt nicht direkt an der potenziellen Trasse, weshalb die Stadt in der Debatte zurückhaltend agiert. Allein „aus nachbarschaftlicher Solidarität“ mit Remseck, sagt der Oberbürgermeister Werner Spec (Mitglied der Freien Wähler), unterstütze man das Projekt. Ludwigsburg selbst würde von der Umfahrung kaum profitieren. Viel wichtiger ist der Stadt, dass die A 81 möglichst bald auf acht Fahrspuren ausgebaut wird – auch das ein Großprojekt, über das schon lange geredet wird. Zudem treibt Ludwigsburg die Planung für Schnellbustrassen voran, die im ersten Schritt bis nach Remseck, später auch bis nach Waiblingen reichen sollen. Dies sei eine Chance, den ÖPNV deutlich zu verbessern und somit auch die bestehenden Straßen zu entlasten, so Spec.
Stuttgart
Die Landeshauptstadt lehnt den Nordostring ab. Die Verwaltung beruft sich auf Studien, die besagen, dass die Straße für das Stadtgebiet keine Entlastung bringen würde, aber gravierende negative Auswirkungen auf die Natur und die Landschaft hätte, etwa bei Mühlhausen. „Der Nordostring ist ein Rückfall in den Kalten Krieg der Verkehrspolitik“, sagte der grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn unlängst unmissverständlich. Im Gemeinderat ist die Lage weniger eindeutig. Die Mehrheit ist dagegen, aber CDU, FDP und Freie Wähler sind für den Ring.