Eric Schmidt und Jared Cohen blicken in einem aktuellen Buch auf das Internet und was es für die Zukunft von Politik und Gesellschaft bedeutet. Das Fazit ist zwiespältig: Freiheit und Kontrolle werden im Widerstreit bleiben, ohne dass es einen klaren Sieger gibt.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Die ersten Kapitel ihres Buches, in denen Google-Chef Eric Schmidt und Jared Cohen, der Direktor der Denkfabrik „Google Ideas“ eigentlich die Vision der schönen, neuen vernetzten Welt entfalten wollen, wecken leises Unbehagen. Ihre Zukunftsvisionen erinnern dort an die naiven Science-Fiction-Comics der fünfziger und sechziger Jahre. Die vernetzten Bürger der Zukunft scheinen in einer Wunderwelt zu leben. „Zum Beispiel werden sie integrierte Waschmaschinen verwenden, die Kleidung waschen, trocknen, bügeln, falten und sortieren, ein Garderobeninventar führen und per Algorithmus je nach Tagesplan ihrer Nutzer bestimmte Kombinationen vorschlagen.“ Für zerstörte Kulturgüter in Syrien sieht die virtuelle Perspektive so aus: „So ließe sich beispielsweise die älteste Synagoge Syriens, die sich heute in einem Museum in Damaskus befindet, als Hologramm an ihren ursprünglichen Standort in Dura Europos projizieren oder mit 3-D-Druck rekonstruieren.“

 

Doch wer das Buch nach diesen Seiten als Werk blauäugiger amerikanischer Netz-Lobbyisten beiseite legt, der verpasst dessen wichtigste Botschaft. In den weiteren Kapiteln kommen Schmidt und Cohen auf den Punkt: Wie wird das Internet, die totale Vernetzung und Verfügbarkeit von Daten unser politisches und gesellschaftliches Leben verändern?

Die Google-Vordenker zeichnen keine Idylle

Und hier wird das Bild höchst differenziert und komplex. Die Zukunft von Identität, Zivilgesellschaft und Journalismus, die Zukunft der Revolution, die Zukunft des Terrorismus, der Konflikte und Kriege und sogar des Wiederaufbaus haben Schmidt und Cohen im Visier. Sie sind weit davon entfernt, eine Idylle zu zeichnen. Das Internet bedeute einen Kulturbruch, aber es verändere den Menschen als solchen nicht. „An vielen ihrer Probleme wird die Vernetzung kaum etwas ändern können,“schreiben die Autoren etwa über die ärmeren fünf Milliarden der Menschheit,

Der Kampf zwischen denjenigen, denen es um Macht und Kontrolle geht, und den Menschen, die das Netz als Freiraum und Werkzeug der Teilhabe sehen wird, so meinen die Google-Manager, nie einen finalen Sieger oder Verlierer kennen. Einerseits sorge das Netz dafür, dass selbst diktatorische Regimes den Fluss der Informationen nicht mehr eindämmen können – andererseits gebe die totale Vernetzung solchen Staaten Kontroll- und Überwachungsinstrumente in die Hand, von denen sie niemals zu träumen gewagt hätten. Den Bürgerrechtlern und Revolutionären, die dank allgegenwärtiger Smartphones und dank modernster Nachrichtenverschlüsselung besser denn je ein einheimisches und ein globales Publikum erreichen, steht die Front derjenigen gegenüber, die von China über den Iran bis nach Weißrussland längst technologische Bündnisse schließen um das Netz für ihre undemokratischen Zwecke zu missbrauchen. Einige Regimes werkeln sogar schon an einem gefilterten, nationalen „Intranet“.

Bei aller berechtigten Empörung über die Abhörpraxis der USA und Großbritannien liegt hier die eigentliche Gefahr: Dass das Internet in weiten Regionen der Welt zu einem Werkzeug der Überwachung und der Unterdrückung umgebogen werden kann. Der Wikileaks-Aktivist Julian Assange hat das Buch der Google-Autoren auch wegen solcher fast fatalistisch wirkenden Einschätzungen in der „New York Times“ als „irritierend klare und provokative Blaupause eines technologischen Imperialismus“ verrissen. Die beiden Autoren denken in der Tat zu wenig über die manchmal problematische Rolle ihres eigenen Unternehmens nach. Dennoch ist ihr Pragmatismus erhellend „Die Vergangenheit eines Menschen lässt sich nicht mehr verändern und kann problemlos für alle sichtbar gemacht werden“, schreiben sie beispielsweise: „Selbst Gerüchte halten sich ewig“. Man mag das beklagen, aber es ist die Wahrheit.

Das Buch zeigt auf oft beunruhigende Weise, wie sehr die durchschnittlichen Internetnutzer der Dynamik des Netzes ausgeliefert sein werden. Den neuesten technologischen Entwicklungen werden sie - und die von ihnen gewählten Politiker – oft hinterherhinken, während Internetgiganten wie Google, Geheimdienste oder Hacker dessen zwiespältiges Potenzial in atemberaubendem Tempo vorantreiben.

Eric Schmidt/Jared Cohen: Die Vernetzung der Welt. Ein Blick in unsere Zukunft. Rowohlt Verlag, Reinbek. 441 Seiten, 24,95 Euro.