Das Ende des Ersten Weltkrieges war der Beginn der ersten Demokratie in ganz Deutschland. Die Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker erinnerte an ein Staatsgebilde, das in den Geschichtsbüchern viel zu schlecht wegkommt.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Kirchheim - Da haben sie sich versammelt im November 1918: Auf dem Kirchheimer Rossmarkt, dem zentralen Platz vor der Altstadt, und wollten wissen, ob der Frieden endlich komme, wollten wissen, ob ihre Söhne und Männer bald heimkämen und ob das Hungern und Sterben endlich vorbei sei.

 

2018 standen die Kirchheimer Bürger wieder am Rossmarkt. Es war am Samstag, als sie sich zu einer stimmungsvollen Feier versammelten zum Andenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren.

Die Weimarer Republik, die an jenen Tagen 1918 ausgerufen wurde, sagte die Kirchheimer Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker, sei in die Geschichte eingegangen als gescheiterte Republik, und die nachfolgende Zeit des Nationalsozialismus habe die Leistungen jener Demokraten der ersten Stunde verdunkelt. Sie jedoch erinnerte daran, dass eben jene Politiker der ersten Stunde ein völliges Neuland betreten mussten, und dass sie es geschafft hatten, trotz Inflation und Versailler Vertrag, die Weimarer Republik zu einem stabilen Staatsgebilde zu entwickeln, das die deutsche Kunst und Kultur und auch die deutsche Wissenschaft zu einer weltweit einmaligen Blüte führte. Sie erinnerte auch an die barbarischen politischen Morde jener Zeit, vor allem an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, aber auch an Matthias Erzberger, den Zentrumspolitiker aus dem schwäbischen Buttenhausen, der den Waffenstillstand mit unterzeichnet hatte.

Ohne Weimar wäre der Erfolg der Bonner Republik nicht denkbar

Ohne die Leistungen von Weimar seien die Erfolge der Bonner Republik nicht denkbar, war die These der Oberbürgermeisterin. Obwohl die Revolution von 1918 in den Geschichtsbüchern wenig Beachtung finde, sei sie eben doch die Geburtsstunde der deutschen Demokratie gewesen. „Es lebe die Demokratie, es lebe die Republik“, schloss sie ihren Vortrag mit einer für deutsche Verhältnisse eher untypischen Formel, wie sie aber in Frankreich oder Italien ganz selbstverständlich ist.

Es ging aber nicht nur um Reden und Gedanken, sondern auch um Gehen und Gedenken. Denn gleichzeitig hatte die Stadt an allen Stellen der Stadt – dort, wo im November 1918 demonstriert worden war, Stellwände aufgebaut, die an die Versammlungen von Arbeiterräten oder Soldatenräten erinnern.

Dieses Projekt hatte der Kirchheimer Stadtarchivar Frank Bauer angestoßen. Die zehn Stellwände beschreiben zusammengefasst einen „ Pfad in die Demokratie“, wie es die Kirchheimer Stadtverwaltung nennt. Einen Pfad, der den Aufbruch Deutschlands aus den Fesseln der Monarchie und des Ständestaates beschreibt. Mit dem Kaiserreich verschwand auch das preußische Dreiklassenwahlrecht, stattdessen wurde das allgemeine Wahlrecht eingeführt, mit dem aktiven und dem passiven Wahlrecht für Frauen. Die letzte der zehn Stellwände steht vor dem Kirchheimer Rathaus, in dessen Innerem befindet sich eine kleine Ausstellung über die unmittelbare Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.

Frank Bauer hat auch eine Schar von meist jugendlichen Mitarbeitern angestellt, die die Bürger auf ihren Spaziergängen von Stellwand zu Stellwand begleiten. Jeden Sonntag stehen sie um 14 Uhr auf dem Rossmarkt bereit, um Führungen über den Pfad der Demokratie anzubieten.

Des Kriegsendes gedacht wurde auch in anderen großen Kreisstädten. In Esslingen etwa wurde am Freitag eine Ausstellung im Esslinger Stadtmuseum am Hafenmarkt eröffnet, die 52 Gegenstände aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zeigt. Damit geht ein viel beachtetes Langzeitprojekt in seine letzte Phase. 52 Monate lang hatte das Esslinger Stadtmuseum je einen Gegenstand aus seinem Fundus präsentiert, vom patriotischen Porzellanteller bis zum Granatwerfer, und dessen Geschichte recherchiert. Diese Gegenstände sind jetzt alle in einer Gesamtschau versammelt. Die Ausstellung geht bis zum 10. März, dazu gibt es auch einen ausführlichen Katalog.