Robert Ebner gehört zur Weltelite der Holzfäller. In der Rhön bereitet er sich mit der Nationalmannschaft auf die Timbersports-Weltmeisterschaft in Stuttgart vor.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Mellrichstadt - Die Kettensäge schreit wie ein wütendes Tier. Jetzt greift sie an: Metallzähne fressen sich in den Baumstamm, dass es nur so spratzelt. Stephan Odwarka, 33, führt die Maschine in einer Gischt aus Spänen durch die waagrecht festgeschraubte Pappel. Die erste Holzscheibe fällt. Die zweite. 15 Sekunden.

 

Danny Mahr, 29, der Nächste in der Holzfällerstaffel, steht auf dem Stamm und bearbeitet ihn mit der Axt so lange, bis er entzweigehauen ist. Pappelfetzen spritzen durch die Gegend. Zwischen den Schlägen hört man sein Keuchen. Die Klinge schießt jedes Mal nur ein paar Zentimeter von seinen Füßen entfernt ins Holz. Ein Profi hat das im Gefühl, trotzdem sind Kettensocken Vorschrift. Fertig in 35 Sekunden.

Dirk Braun, 46, übernimmt und schiebt die zwei Meter lange Säge in den Stamm. Sie ist eine Spezialanfertigung aus Übersee, das Blatt lasergeschnitten, die Riesenzähne handgeschliffen. Sie kann nur in Kanada nachgeschärft werden, monatelange Wartezeiten sind normal. Braun hat sein Gerät auf aggressiv eingestellt: Während die Schneidezähne seitlich das Holz rausreißen, fräst sich der Räumer in der Mitte aus extrasteilem Winkel den Weg frei. Das sieht leicht aus. Die Säge geht durch das Holz wie ein Brotmesser durchs Roggenpfünderle. Doch allein mit Muckis läuft hier gar nichts. Das Gerät verlangt Technik. In 15 Sekunden ist die Scheibe ab.

Jetzt Robert Ebner, 31. Der 1,90 Meter große und 96 Kilo schwere Hüne zeigt: Auch das Zerschlagen eines stehenden Holzblocks kann sehr elegant aussehen. Manchmal verkantet sich der Klingenstahl im Holz, und Ebner muss die Axt aus dem Block wuchten. Im Ernstfall kostet so eine kleine Komplikation den Sieg. Gesamtzeit des Quartetts: 80 Sekunden. Keine schlechte Zeit für eine Übung.

Hasenkeule im Goldnen Ross

Nächsten Freitag und Samstag ist Timbersports-Weltmeisterschaft in Stuttgart. Und weil man da als Team funktionieren muss, trainiert die deutsche Nationalmannschaft ein Wochenende lang im unterfränkischen Mellrichstadt. Hier, tief in der Rhön, wo das Leben ländlich ist, wo junge Männer sonntagvormittags stolz das königsblaue Trikot des FC Hedungen spazieren tragen, wo man im Café eine „Ladde Maggjaddo“ bestellt und nach dem Gottesdienst im Goldnen Ross ein Früchtesteak oder eine Hasenkeule essen geht, soll der Geist von Mellrichstadt heraufbeschworen werden.

Bis vor zehn Jahren war die Kleinstadt noch Heimat des Panzergrenadierbataillons 352. Heute gleicht das Garnisonsgelände einer vergessenen Filmkulisse. Hinter dem verwaisten Wachhäuschen hat sich die Wildnis eingeschlichen, breitgemacht und das Revier okkupiert. Unter alten Bundeswehrplanen rosten Panzer vor sich hin. Mannschaftsgebäude stehen verlassen in meterhoher Fauna. Auf dem einstigen Kasernenhof wuchert es grün aus jeder Ritze. Wegtreten! Nach einem Kilometer Frankensafari lichtet sich der Dschungel. Vor einem holzverkleideten Hallenbau parken drei nagelneue Amarok-Pickups mit Sonderlackierung und dem Wappen des Timbersports Nationalteams. Hier hat Stihl sein Holzfäller-Trainingszentrum.

Nach dem fünften Durchgang an diesem Tag und 20 Runden am Vortag machen das A-Team und das B-Team der Nationalmannschaft – Feuerwehrmänner, Kfz-Mechaniker, Forstwirte, Zimmerer – eine Verschnaufpause. Das Radio spielt Countrymusik, eine Holzheizung wärmt die kleine Halle. Man unterhält sich auf Sauerländisch, Fränkisch, Hessisch. Dirk Braun, eine Timbersports-Legende mit dem Händedruck eines Grizzlybären, ist unzufrieden: „Ich hab noch beim Schneiden meine Position gesucht.“ Danny Mahr war das Holz zu trocken: „Wenn das nicht abplatzt nach zwei Schlägen, ist das scheiße.“ Man trinkt alkoholfreies Weizen. „Der Jamie verkauft seine Stiele für 50 Dollar“ – „Hast du deine Schuhe auch bei den Aussies bestellt?“ Dann gibt’s Mittagessen.

Ein Schnitzer an der Hot Saw

Robert Ebner, Vizeweltmeister und viermaliger Deutscher Meister, wirkt müde. Das liegt nicht nur an den Trainingseinheiten, die normale Menschen längst ins Erschöpfungskoma versetzt hätten. Das hat auch mit seinem Sägetrauma zu tun, wie er es spöttisch nennt. Die Hot Saw wird in seinen Händen zur kapriziösen Lady. Entweder er stellt mit ihr Weltrekorde auf – wie im Mai 2015. Oder er vergeigt mit ihr große Turniere – wie die Deutsche Meisterschaft in diesem August. Einmal nicht präzise genug angesetzt und schon war alles verloren, auch die Teilnahme an der Einzel-WM. Er kann den Schnitzer trotz Mentalcoach noch nicht ganz abhaken. „Das wär wichtig gewesen, auch vom Kopf her.“ Ebner kennt das Gefühl, vor Tausenden Zuschauern auf das Siegertreppchen zu steigen. „Das hätte ich gern noch mal erlebt, vor allem im eigenen Land.“ Selbst die Chance auf eine Mannschaftsmedaille tröstet wenig. Seine Liebe zum Sport wurde schon auf harte Proben gestellt. Sie war immer stärker als jeder Nackenschlag. „Das Schöne an dem Sport ist, dass er aus dem Wald kommt,“, sagt Ebner. „Er hat Geschichte.“

Ende des 19. Jahrhunderts beginnen Holzfäller, sich an Äxten und Sägen miteinander zu messen. Einer der ersten großen Showdowns ist 1891 aus Tasmanien überliefert. Ein paar Jahre später gibt es bereits Sägemaschinen in Wald und Arena. Um auf Touren zu kommen, brauchen sie allerdings noch Körperkraft und Handkurbeln. Die erste serienmäßige Motorsäge, die „Dolmar Typ A“ des thüringischen Unternehmers Emil Lerp, erreicht 1927 Marktreife. Sie wiegt 58 Kilogramm und muss von zwei Männern bedient werden.

1959 erweitert der schwedische Waffenhersteller Husqvarna, der schon im 17.  Jahrhundert als legendärer Musketenmacher galt, seine Produktpalette um einen Mikrowellenherd und eine (besonders leise) Motorsäge. Doch ein anderes Modell ist es, das im gleichen Jahr die Welt der Schaffer revolutioniert: Die „Contra“ aus Waiblingen macht Andreas Stihl zum Vater der Motorsäge. Mit ihr gelingt seiner Firma der internationale Durchbruch.

Die Besten kommen aus Australien und Neuseeland

Heute haben Motorsägen doppelt wirkende Kettenbremsen, Fliehkraftkupplungen, Zentrifugal-Luftreinigungssysteme, dreiteilige Kurbelwellen, Kettenfangbolzen, Dekompressionsventile, Vergaservorwärmung und ein vollelektronisches Motormanagement. Stihl ist inzwischen die meistverkaufte Motorsägenmarke der Welt, hat 14 000 Beschäftigte, verkauft seine Geräte in 126 Ländern. 90 Prozent der 3,25 Milliarden Euro Jahresumsatz macht der Familienkonzern im Ausland.

1985 ruft Stihl die Timbersports Series ins Leben. Hier treten die besten Holzfäller der Welt gegeneinander an. Die Europäer sind schwer im Kommen, auch wenn sie es noch nicht ganz mit den Cracks aus Australien und Neuseeland aufnehmen können, wo schon für Sechsjährige eine schöne Axt unter dem Weihnachtsbaum liegt.

Robert Ebner lebt in Gaggenau. Aber er ist ein Kind der Rhön, groß geworden im 200-Seelen-Ort Ottlmannshausen unweit von Mellrichstadt. Wenn er erzählt, wie er als Bub nach der Schule raus in den Wald ging, Dämme baute, Figuren schnitzte, von klein auf dem Vater beim Holzmachen half, in der Natur zu Hause war, hört sich das heute fast an wie eine Vorkriegskindheit.

Nichts ist vorgezeichnet. „Ich hatte keinen Plan, was aus mir werden soll“, sagt er. Der Berufsberater in der Schule kann eine Lehrstelle beim Forstamt anbieten. Ebner schickt aus Mangel an besseren Ideen eine Bewerbung hin, macht ein Praktikum. Der Job passt, auch wenn er hart ist. Sein alter Meister sagt, diese Worte sind haften geblieben: „Was glaubst du, wie fertig wir früher waren ohne die ganze Technik?“ Ebner fängt an mit dem Sportholzfällen. Schnell ist klar: Da wächst ein Champion heran.

Auch beruflich steigt er auf. Doch Forstverwaltung hat nichts mehr mit Waldarbeiterromantik zu tun. Ebner sucht neue Ausblicke, und im Badischen sucht man einen Sicherheitscoach für den Nordschwarzwald. Ebner schlägt spaßhalber mal im Atlas nach – und sieht viel Grün. Gute Gegend. Mit 54 weiteren Bewerbern durchläuft er das Auswahlverfahren in einem Assessment Center, danach fühlt er sich ausgelaugter als nach einer Holzfäller-Meisterschaft. Viel Hoffnung macht er sich nicht, dass die Badener einen Ausländer nehmen. Doch er bekommt die Stelle. Soll er zusagen? Er, der so tief verwurzelt ist in der Heimat? Sein Kollege, ein Jäger, meint: „Na klar machst du das, da gibt’s Hirsche.“

Full Bananas und Flat Grinds

Jetzt ist Ebner wieder viel draußen. Meistens schafft er einen Tag lang im Wald mit, danach gibt er den Forstleuten ein Feedback: Wie können sie sicherer arbeiten? Wie Kraft sparen? Den Rücken schonen? Nach Feierabend wird er zum Sportholzfäller. Auf dem Winterplan steht viel Krafttraining, vor allem Beine und Rumpf. Im Frühjahr gilt es dann, die neue Power in Schnellkraft zu verwandeln.

Er hat mehr als 30 Äxte daheim: Full Bananas, Half Bananas, Flat Grinds, Chissels Grinds, High-Tech-Geräte von Firmen wie Tuatahi oder Ochsenkopf, 500 Euro teuer und für die tägliche Waldarbeit so geeignet wie ein Formel-Eins-Bolide für die B 14. Vor jedem Wettkampf führt sich Ebner die Holzblöcke zu Gemüte, prüft Farbe, Maserung, Aufbau der Jahresringe, Gewicht. Danach wählt er die passende Axt wie ein Golfprofi sein Eisen 3 oder Holz 4.

Manche haben eine leichte Welle in der Klinge, damit sie sich schön in das Holz reinarbeiten können. Manche haben einen Schliffwinkel so flach wie eine Rasierklinge. Aber Schärfe hat ihren Preis. Eine harte Stelle im Holz, schon ist die Axt hinüber. Im Training lässt Ebner seine besten Stücke im Koffer. Lieber kein Risiko. Selbst ein Weltklasseathlet wie er muss schauen, dass die Kosten reinkommen.

In Ebners Hot Saw stecken 10 000 Euro. Ein Sägenbauer aus dem Schurwald hat sie mit ihm entwickelt. Die Kette wird von einem Wankelmotor und mehr als 70 PS auf bis zu 250 Stundenkilometer hochgejagt. Die Drehkolbentechnik lässt die Maschine stärker beschleunigen. Und weil sie vibrationsärmer ist, reißt auch der Auspuff nicht so oft. 30 Kilo wiegt das Monsterteil: „Es ist wahnsinnig schwer, diese Kraft zu kontrollieren“, sagt Ebner.

Der Baumflüsterer Vielwerth

Die Holzauswahl ist ähnlich komplex. Ein Fall für Phillip Vielwerth, den Baumflüsterer. Der 53-Jährige sieht aus wie Sylvester Stallone, war selber Timbersportler, gründete dann das Camp in Mellrichstadt, wo Champs und blutige Anfänger trainieren. Hauptberuflich ist er seit 35 Jahren Akkord-Holzfäller. Man kann sich bildlich vorstellen, wie sich einer seines Kalibers durch ganze Wälder schnetzelt.

Die Weymouth-Kiefern für die Langsäge findet er im Augsburger Fuggerwald, die Pappeln für alle anderen Disziplinen in Sachsen bei Zwickau. Er sucht die Bäume persönlich aus, im Alter zwischen 30 und 40 Jahren sind sie am besten, schlägt sie ein, sägt sie in Vier-Meter-Stücke. Im Camp schneidet er sie auf Wettkampflänge und lässt sie erst einmal in der Rinde ruhen.

Nach einem Jahr werden die Blöcke auf den vorgeschriebenen Kampfdurchmesser runtergeschält und vier Monate lang nackt in eine Holzhackschnitzelpanade gelegt, wo sie noch weicher werden. Schließlich wickelt Vielwerth sie in schwarze Folie, damit sie nicht austrocknen, und lagert die Teile, die dann aussehen wie riesige Sushi-Rollen, bei konstanter Temperatur wie ei- nen guten Wein. Was nach den Axtattacken übrig bleibt – allein in den zwei WM-Tagen fallen 30 Tonnen Abfallholz an – wird eingesammelt, gehäckselt und verfeuert.

Für Meisterschaften wählt Vielwerth „die Kronjuwelen“ aus, wie er sagt. Und nur Blöcke aus derselben Höhe und demselben Waldstück. Damit sich ja keiner benachteiligt fühlt. „Über das ,scheiß Holz’ schimpfen die Sportler oft, ,scheiß Sportler’ höre ich selten“, sagt er. Zwei Hot-Saw-Weltrekorde wurden mit seinen Stämmen aufgestellt. Ein bisschen gehören sie auch ihm.