Ein Austritt der Atommacht Großbritannien würde die EU auch als Militärbündnis schwächen. Ein „Brexit“ könnte aber zumindest teilweise kompensiert werden – über mehr Kooperation, die London bisher blockiert.

Berlin - Die Internetseiten der British Army und der Royal Navy sind in gewisser Weise bezeichnend. Ausführlich und mit viel Pathos wird dort über die Einsätze britischer Truppen und Marineeinheiten in aller Welt berichtet, der Hinweis jedoch, dass dies teilweise EU-Operationen sind, fehlt oder ist nur mit der Lupe zu finden. Dabei sind britische Soldaten an fünf von derzeit sechs Militärmissionen der Europäischen Union beteiligt – am Horn von Afrika im Anti-Piraten-Einsatz, im Mittelmeer zur Seenotrettung und Flüchtlingsschlepperbekämpfung oder in Somalia zu Ausbildungszwecken. Das ist jedoch nichts, was auf der Insel an die große Glocke gehängt, sondern eher verschämt verschwiegen wird: Die EU war für Großbritannien stets vor allem ein Handelsblock und eben kein Militärbündnis. Diese Rolle fällt in ihren Augen allein der Nato zu.

 

Es war die Labour-Regierung unter Premierminister Tony Blair, die diesen Grundsatz ein wenig aufgeweicht hat. Er gab den grundsätzlichen Londoner Widerstand gegen eine eigene europäische Verteidigungskomponente auf, woraus im Lissaboner Vertrag von 2009 schließlich die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) wurde, mit den erwähnten sechs Militärmissionen. Der aktuell gültige EU-Vertrag enthält auch erstmals eine militärische Beistandspflicht, auf die Frankreich nach dem Terror von Paris im vergangenen November auch zum ersten Mal gepocht hat. Mehr jedoch war mit den Briten nicht zu machen, mit dem neuen konservativen Regierungschef David Cameron, seit 2010 im Amt, erst recht nicht.

Widerstand gegen eine enge Kooperation

Zwei größere europäische Initiativen im Bereich der Verteidigungspolitik hat er seither verhindert: Da war beispielsweise der gemeinsame Vorschlag von Deutschland, Frankreich und Polen, ein gemeinsames EU-Militärhauptquartier einzurichten, um die Militäroperationen der Gemeinschaft besser aufeinander abzustimmen. Das wäre jedoch ein sichtbares Zeichen gewesen, dass die EU als Militärverbund überhaupt existiert – weshalb aus London ein „No“ kam. Anschließend gab es, angestoßen unter anderem aus dem Europaparlament, den Versuch, eine Art „Koalition der Willigen“ innerhalb der Gemeinschaft zu bilden, die militärisch besonders eng kooperiert. Diese Möglichkeit ist im EU-Vertrag ausdrücklich enthalten, bedarf aber der Zustimmung der nicht teilnehmenden Länder – und die haben die Briten nicht erteilt.

Dieser Widerstand gegen eine engere Kooperation, die viele Experten nicht zuletzt wegen der Haushaltsprobleme in vielen EU-Staaten für unumgänglich halten, fiele mit einem „Brexit“ weg. Auf der anderen Seite stünde der Europäischen Union aber viel militärische Hardware erst gar nicht mehr zur Verfügung, wenn Großbritannien für einen Austritt stimmen würde. Ohne die Atommacht mit Vetorecht im Weltsicherheitsrat und zusammen mit Frankreich führende europäische Militärnation wäre die EU-Verteidigungspolitik „nur noch ein Witz“, meint ein ranghoher EU-Diplomat in Brüssel. „Unser Gewicht in der Welt würde auf jeden Fall geschwächt“, meint der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, der im Europaparlament dem Auswärtigen Ausschuss vorsteht, „und das eben nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch im Bereich der Sicherheitspolitik.“ Dies könne durch mehr Kooperation einer Rest-EU untereinander allenfalls „ein Stück weit kompensiert werden“.

Dies könnte die EU beispielsweise gegenüber Russland strategisch schwächen, eine akute sicherheitspolitische Krise in Europa dürfte ein „Brexit“ aber nicht unmittelbar auslösen. Die Briten haben schließlich nicht vor, auch die Nato zu verlassen.