Nach acht Wochen hat der zoologisch-botanische Garten am Montag erstmals wieder Besucher in den Park gelassen. Zu sehen gab es vor allem üppige Pflanzen, denn bei Dauerregen blieben die meisten Tiere lieber im Trockenen.

Stuttgart - Mit dem Wetter ist es wirklich vertrackt. Acht Wochen lang war die Wilhelma zum Schutz vor Infektionen durch das Coronavirus geschlossen. Ausgerechnet am Montag dann Dauerregen, Wind und fallende Temperaturen, als erstmals wieder Besucher in den zoologisch-botanischen Garten eingelassen wurden. Doch Direktor Thomas Kölpin zeigt sich als unbeirrbarer Optimist: „Das Wetter ist insofern ein Glück, als dass wir lernen können, ob und wie es funktioniert mit dem Infektionsschutz, und unsere Tiere können sich langsam wieder an Besucher gewöhnen.“

 

762 kommen bei strömendem Regen

Letztere sind am Montagmorgen unwillig: Der Mähnenwolf ist, wie meistens, nur zu riechen, der Brillenbär will auch kein nasses Fell kriegen. Selbst die wetterfesten Gämsen klettern nicht in der Felslandschaft herum. 762 Besucher hatten nach Auskunft des Pressesprechers Harald Knitter für Montag im Online-Verfahren ein Ticket für die Wilhelma gebucht, während es an guten Sonntagen schon mal 20 000 Besucher sein könnten. Noch sind Tier- und Gewächshäuser zugesperrt.

Drei Millionen Euro Verlust

Unter dem Schrei des Pfauen stapfen vereinzelt Kleinfamilien über die Wege. Kein Gedränge an den Spielstationen, wo die Zahl der spielenden Kinder wegen des Abstandsgebots reglementiert ist. Überdachte hölzerne Sitzplätze sind eingerichtet worden; sie entsprechen in ihrer Gestaltung der zoologisch-geografischen Abteilung, bei der sie stehen. Sie sind an diesem Regentag verwaist, auch wenn es aus dem Brezelfritz beim Belvedere verführerisch nach frischem Toast riecht.

Die Einnahmen aus den wenigen Eintrittsgeldern sind wie Tropfen auf heißen Steinen: „Wir haben täglich Kosten in Höhe von 70 000 Euro und bis auf weiteres die Situation, dass täglich nur maximal 4000 Besucher reinkommen dürfen – wo wir sonst bis zu 20 000 Besucher haben. Im Vergleich zu den Vorjahren müssen wir von drei Millionen Euro Verlust ausgehen“, sagt Thomas Kölpin.

Erleichterung nach langer Schließung

505 der Besucher am ersten Öffnungstag sind Besitzer von Jahreskarten und Fördervereinsmitglieder. Andrea Miller gehört dem Verein seit 40 Jahren an, ihre Freundin Andrea Dikel war 20 Jahre lang Jahreskartenbesitzerin und ist seit Januar im Förderverein. Die beiden Stuttgarterinnen waren am letzten Tag vorm Corona-Shutdown noch zu Besuch. „Heute, am ersten Tag, wollten wir dabei sein. Das Wetter hat uns nicht abgeschreckt, wir sind gut angezogen“, sagen sie. Dass sie Masken tragen müssen, stört sie nicht, nur dass die Brille andauernd anläuft, ist Andrea Miller etwas lästig.

Viele genießen die Ruhe beim Spaziergang unter den atmenden Bäumen, durch die bunt flammenden Rhododendren, die sich entrollenden Farne. Seit rund sechs Jahren hat die Familie Zurhorst schon eine Jahreskarte. „Drei bis vier Mal im Jahr kommen wir hierher und wir wollten die Karte auch gleich am ersten Tag der Eröffnung nutzen“, sagten die Eltern Michael und Elina. Sie wollten mit ihren Söhnen Anton (3) und Emil (10 Monate) „einfach mal eine Runde drehen“.

Seelöwen auf Pfleger fixiert

Ein großer Seelöwe scheint der Einzige, dem der Regen so gar nichts ausmacht. Er döst, bis Tierpflegerin Stefanie Waibel (23) zu ihm tritt. Er schnuppert einmal, zweimal, und dann sieht es aus, als hätte er den Zeitungsfotografen gesehen und begriffen, um was es geht. Er richtet sich auf, stellt die Barthaare und guckt divenhaft in den Himmel. Im Becken nebenan heult ein kleineres Exemplar, als hätte es auch gern etwas Abwechslung. „Seit keine Besucher mehr am Becken stehen, reagieren sie auf uns Tierpfleger viel deutlicher“, sagt Stefanie Waibel.

Öffentliche Fütterungen darf es, wegen der Menschentrauben am Beckenrand, nicht geben. Deshalb gibt es den Fisch für die Seelöwen unangekündigt. „Das Training beschäftigt sie, es regt ihr Denken an und die Tiere bleiben in Bewegung“, sagt die Tierpflegerin. Gleichzeitig schafften die Pfleger damit eine Vertrauensbasis, die unter medizinischen Gesichtspunkten wichtig ist: „Dann lassen die uns auch mal ins Maul gucken oder sich Augentropfen verabreichen, man kann in vielen Fällen auf eine Narkose verzichten.“

Schmaler Parkhauszugang gesperrt

Die Geier sitzen mit eingezogenen Hälsen stoisch im Regen, noch nicht einmal der Jungvogel im Nest scheint ihre Laune zu heben. Die Schneeleoparden haben sich verkrochen, auch ein Security-Mitarbeiter hält vergeblich Ausschau nach den eleganten Katzen. 15 zusätzliche Mitarbeiter hat der Wilhelma-Chef engagiert, um den Ablauf an den Eingängen zu regeln und Hygiene- und Abstandsvorgaben zu kontrollieren. Der schmale Zugang zwischen Parkhaus und Maurischer Wand ist gesperrt, sodass es dort nicht zu Gedränge kommt. Es ist auch keines in Sicht: Für den Mai sind laut Pressesprecher 11 000 Personen angemeldet, der besucherstärkste Tag dieser Woche wird der kommende Mittwoch werden mit 1500 Anmeldungen.

Tiere schützen vor Corona

Der Infektionsschutz ist nicht nur für Besucher und Mitarbeiter wichtig. „Wir wissen inzwischen, dass Raubtiere und Primaten sehr empfindlich auf Corona reagieren und über uns Menschen angesteckt werden können. Es gibt einen Fall in New York, wo ein Tierpfleger einen Tiger angesteckt hat und auch weitere Raubkatzen erkrankt sind. Deswegen haben wir die Mundschutzpflicht im Freien, denn es gibt viele Ecken, wo man näher als zwei Meter an die Tiere herankommt. Die Gehege weiträumig abzusperren halten wir für die deutlich schlechtere Maßnahme.“

Ob 20 000 oder 1500 Besucher am Tag – für die Familie Kölpin, die auf dem Gelände wohnt, sind andere Zeiten angebrochen: „Als Privatperson habe ich die leere Wilhelma sehr genossen, auch die Kinder können jetzt nicht mehr mit Fahrrädern durch den Park fahren“, sagt der Chef. Die Freude aber überwiege, „endlich wieder Besucher hier zu haben“.