Die EU will ihre Bürger stärker an der Politik beteiligen. Die „Konferenz zur Zukunft Europas“ ist ein hoffnungsvoller Versuch, bestätigt aber auch viele Vorurteile über die Union.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Julia Eichberger dachte zuerst an einen sehr schlechten Scherz. Nichtsahnend nahm die junge Wienerin den Telefonhörer ab und am anderen Ende erklärte ihr eine Stimme wortreich, dass sie als Teilnehmerin der EU-Zukunftskonferenz ausgesucht sei. „Interessanter Trick einer Drückerkolonne“, schoss es der jungen Frau durch den Kopf. Doch eine kurze Recherche im Internet förderte zu Tage, dass sie nicht abgezockt werden sollte. Die Europäische Union suchte tatsächlich in ganz Europa Teilnehmer an einem Forum, die sich Gedanken über die Entwicklung der Europäischen Union machen sollen.

 

Vielsprachige Diskussionen in Maastricht

Wenige Monate später sitzt die Erzieherin zusammen mit fast 200 anderen Männern und Frauen im hochmodernen Konferenzzentrum von Maastricht und wälzt Papierstapel. „Es ist verrückt, wie viel man lesen muss“, klagt Julia Eichberger, um sie herum herrscht an den Tischen vielsprachiges Treiben. Ziel ist es an diesem Wochenende, Vorschläge zu erarbeiten, wie Europa mit den Migrationsbewegungen umgehen könnte, die für viele Staaten zu einem immer größeren Problem werden. Auf weiteren Sitzungen in Straßburg, Warschau, Florenz und Dublin wurde über Themen wie Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit oder auch über den Klimawandel diskutiert.

„Ich werde das hier nie in meinem Leben vergessen“, gesteht Nina Hermann. Die junge Frau macht in Heidelberg eine Ausbildung zur Krankenpflegerin und genießt das internationale Flair in Maastricht. „Bei den Diskussion wird immer wieder deutlich, dass die Leute aus den verschiedenen Ländern oft eine ganz unterschiedliche Sicht auf Europa haben.“ Die Teilnehmer aus Staat wie Rumänien oder Bulgarien hätten zum Beispiel überraschend wenig Vertrauen in den Staat und seine Institutionen. Kaum erstaunt hat Nina Hermann allerdings, dass die Griechen die Flüchtlingskrise ganz anders wahrnehmen als die Länder im Norden Europas. Besonders beeindruckt hat sie die Rede eines alten Teilnehmers aus Polen. Der erklärte zu Beginn des Treffens in Maastricht, dass er es am eigenen Leib erfahren musste, in Unfreiheit zu leben und Europa ihm nun wie ein großes Geschenk vorkomme.

Die Bürger investieren sehr viel Energie

Auch die Politikstudentin Alisa Wegner aus Bad Hersfeld ist von dem vielsprachigen Gewimmel in dem Konferenzzentrum beeindruckt. Ihre Anforderungen an das Treffen sind allerdings wesentlich höher, als „ein paar interessante Tage“ zu haben. „Die zentrale Frage ist doch am Ende: Was bringt so eine Konferenz“, sagt sie. „Wird hier nur Demokratie gespielt oder nehmen die Politiker unsere Vorschläge wirklich ernst?“ Alisa Wegner formuliert die große Sorge der meisten Teilnehmer an der Zukunftskonferenz. Dass die Leute sehr viel Energie investieren, über viele Monate große Ideen diskutiert werden, am Ende aber nur kleine Taten dabei herauskommen.

Die Gefahr ist allerdings sehr real, dass von dem medienwirksam angekündigten Europäischen Bürgerforum wenig übrig bleibt. Allein der Start war geradezu prototypisch für die Europäische Union. Fast zwei Jahre lang stritten sich Parlament, Kommission und Mitgliedstaaten nicht nur um den Vorsitz, sondern auch über die wichtige Frage, welche Befugnisse die Konferenz bekommen soll. Das Parlament wollte die Teilnehmer sogar über die Veränderung der EU-Verträge abstimmen lassen – natürlich unverbindlich. Das ging den Staaten dann aber doch zu weit.

Die Politiker wolle die Vorschläge ernstnehmen

Geeinigt hat man sich nun darauf, dass die Vertreter des Bürgerforums Empfehlungen zu den von ihnen diskutieren Themen abgeben, die dann im Rahmen einer Plenarversammlung der Konferenz in diesen Tagen in Straßburg vorgestellt wurden. An der Sitzung nahmen Vertreter der EU-Organe, der nationalen Parlamente, der Zivilgesellschaft und der Bürger teil. Ziel ist es, die zentralen Punkte in einem Bericht zusammenzufassen, der den Präsidenten des Parlaments, des Rates und der Europäischen Kommission vorgelegt wird. Die haben sich verpflichtet, die Empfehlungen weiterzuverfolgen.

Viele der Teilnehmer an der Zukunftskonferenz finden diesen Prozess allerdings zu schwammig. Sie sorgen sich, dass ihre Ideen mit jedem neuen Gremium immer weiter verwässert werden. Häufig gestellt wird auch die Frage: Wer kontrolliert, ob sich die Politiker tatsächlich an ihre Verpflichtung halten? Aus diesem Grund hat es sich die Gruppe, in der Alisa Wegner in Maastricht mitarbeitet, zum Ziel gemacht, in ihren Empfehlungen knapp formulierte und sehr konkrete Forderungen zu stellen. „Wir wollen ja schließlich etwas verändern“, sagt die Studentin. Für sie wäre es eine große Enttäuschung, wenn all die Ideen einfach irgendwo im Getriebe der riesigen EU-Institutionen ohne Resonanz versickern würden.

Handlungsanweisungen an die Politik

Also lesen sich die Berichte der einzelnen Arbeitsgruppen wie Handlungsanweisungen an die Politik, die vor Ort schnell umzusetzen und von den Bürgern auch einfach zu überprüfen sind. Um das Klima zu schützen werden etwa mehr gut ausgebaute Radwege in den Städten gefordert. Um die Biodiversität zu fördern sollen mehr Flächen ausgezeichnet werden, wo weniger oder keine Pestizide benutzt werden. Gefordert wird auch eine europaweite Steuer auf ungesunde Lebensmittel, die direkt in die Förderung Bio-Produkten fließen soll.

Zum Beweis, dass der Konvent nicht nur eine große Schauveranstaltung ist, machen sich auch die EU-Spitzen auf den Weg zu den Bürgern. Nach Maastricht war die EU-Kommissarin Dubravka Šuica gereist. Sie ist Vizepräsidentin der EU-Kommission und zuständig für Demokratie und Demografie. Ziel sei es, dass die Bürger sehen, dass sie die europäische Politik beeinflussen können, unterstrich die Politikerin. Aber auch sie bleibt sehr vage, wenn es um das Umsetzen der mühsam erarbeiteten Ideen geht. In der Sprache des EU-Apparates heißt das dann, dass die Empfehlungen in den Ausschüssen weiterverfolgt werden und dann versucht wird, eine Einigung auf Konsensbasis zu erzielen. Das aber hört sich nicht sehr vielversprechend an.