Die Positionierung von Kaufhof und Karstadt wird nach Ansicht von Experten über die Zukunft der Kaufhäuser entscheiden. Gegenwärtig fehlt ihnen das Profil.

Stuttgart - Hat das Warenhaus in Deutschland noch eine Zukunft? Die Führung der Hudson’s Bay Company (HBC) muss davon überzeugt sein. Anderenfalls hätte der US-kanadische Kaufhauskonzern im Juni wohl kaum 2,8 Milliarden Euro für den Erwerb von Kaufhof auf den Tisch gelegt, weitere Investitionen angekündigt, den Erhalt aller Standorte und Arbeitsplätze für drei Jahre garantiert und sogar Neueinstellungen in Aussicht gestellt. HBC steigt mit der Übernahme in den europäischen Markt ein. Die Kanadier wollen mit Kaufhof wachsen und Konkurrenten wie Karstadt Marktanteile abjagen, erklärte Unternehmenschef Richard Baker unmittelbar nach dem Deal. Die Kaufhof-Kunden dürften sich auf Einkaufserlebnisse und Unterhaltung freuen.

 

Mittlerweile hat die HBC-Führung diese ersten noch vagen Aussagen präzisiert: Zum einen sollen Häuser umgebaut und modernisiert werden. Auf den Verkaufsflächen werde die Servicequalität erhöht und neue Marken im Bekleidungsbereich eingeführt. Die Kanadier planen offenbar, mit der 2013 übernommenen US-Premiumkaufhauskette Saks Fifth Avenue in ausgewählte Häuser einzuziehen. Auf der anderen Seite soll das Onlinegeschäft ausgebaut und die Vernetzung von stationären und digitalen Verkaufskanälen vorangetrieben werden. Zur Höhe ihrer Investitionen haben sich die neuen Eigner allerdings bisher nicht geäußert.

Längst ist das Sortiment ausgedünnt

Die Pläne von HBC wurden sowohl in der Belegschaft als auch bei Verdi positiv aufgenommen. Kaufhof beschäftigt rund 21 500 Mitarbeiter verteilt auf die Kölner Zentrale und etwa 140 Waren- und Sporthäuser in Deutschland und Belgien. Für die rund 16 000 Karstadt-Beschäftigten ist die angekündigte Offensive des Konkurrenten eine weitere Hiobsbotschaft. Seit mehr als zwei Jahren verhandelt die Gewerkschaft weitgehend erfolglos über eine Rückkehr in die Tarifbindung, inclusive Standort- und Beschäftigungsgarantien. Im gleichen Zeitraum wurde die Schließung von etwa einem Dutzend Häusern angekündigt oder bereits vollzogen und hunderte Stellen abgebaut. Die noch rund 16 000 Beschäftigten wissen nicht, wie es mit den derzeit 70 Warenhäusern und 25 Sportfilialen weitergeht.

Kaufhof und Karstadt sind die beiden letzten am Markt verbliebenen Warenhaus-Urgesteine. Beide haben in den vergangenen Jahrzehnten bereits einen enormen Wandel vollzogen: Sie sind längst keine klassischen Warenhäuser mehr, die alle Sortimente von der Stecknadel über die Bohrmaschine bis zum Fahrrad abdecken. Ihre großen Multimedia- und Lampenabteilungen haben sie längst geschlossen; auch Heimwerkerbedarf oder Weiße Ware wie Waschmaschinen oder Kühlschränke sind dort kaum noch zu finden. Trotzdem müssen in den größten Häusern Verkaufsflächen von bis zu 40 000 Quadratmetern bespielt werden. Mehr als drei Viertel ihrer Umsätze erwirtschaften Karstadt und Kaufhof heute mit Bekleidung und Accessoires. Dabei tun sie sich immer schwerer, namhafte Marken im Sortiment zu halten. Beispiele dafür sind Labels wie Hugo Boss, Marco Polo oder Tommy Hilfiger, die ganz fehlen oder nur noch mit kleinen Randsortimenten und Unterwäsche vertreten sind. Für die Hersteller sind die Warenhäuser verzichtbar geworden. Sie eröffnen stattdessen lieber eigene Läden, weil sie damit höhere Margen erzielen können. Je stärker die Marke, desto größer die Erfolgswahrscheinlichkeit im eigenen Einzelhandel.

Günstige Mode ist die Domäne von H&M und Zara

Für den Handelsexperten Oliver Janz ist diese regelrechte Markenflucht eines der Hauptprobleme von Warenhäusern. „Sie bekommen nicht die Marken, die ihnen eine Attraktivität verleihen“, sagt der Leiter des Studiengangs Textilmanagement an der Dualen Hochschule Mosbach. Darunter leidet das Image der Häuser. Auch bei den Concession-Modellen, also der Fremdvergabe von Verkaufsflächen an Hersteller, habe Karstadt im Zuge der permanenten Führungswechsel in den vergangenen Jahren zu oft die Strategie gewechselt. Mit ihren jetzigen Angeboten würden die Häuser zu stark im Wettbewerb mit den vertikalen Anbietern wie H&M oder Zara stehen, „die das Geschäft mit günstiger Mode einfach besser beherrschen“, so Janz.

Das Problem bei der Positionierung von Kaufhof und Karstadt zeige sich auch daran, dass sich beide Ketten in Warengruppen wie Haushaltwaren, Parfümerie, Heimtextilien oder Wohnaccessoires schon im gehobenen Preisbereich befinden. Dagegen falle das Bekleidungsangebot so eklatant ab, dass sich kein stimmiges Gesamtbild ergebe, sagt der Experte. Als Blaupause für eine veränderte Preisstrategie könnten Janz zufolge kleinere Kaufhausketten wie Breuninger oder Engelhorn aus Mannheim dienen, aber auch der bundesweite Wettbewerber Peek & Cloppenburg.

Die Kaufhof-Idee aus den 60er Jahren ist tot

Der Trend, sich aus bestimmten Warengruppen zurückzuziehen, werde nach Ansicht des Handelsfachmanns auch bei Kaufhof anhalten. „Die Kunden denken irgendwann gar nicht mehr daran, dass sie gewisse Dinge dort kaufen könnten.“ Lifestyle sei in Zukunft wichtiger als Versorgung. Die Menschen bekämen heute praktisch alles in den großen SB-Warenhäusern auf der grünen Wiese. Sie müssten nicht mehr in die Innenstadt fahren und ins Kaufhaus gehen, um sich ein Bügelbrett oder eine Matratze zu kaufen. Ein Zurück zur alten Kaufhof-Idee aus den 60er Jahren – Tausendfach alles unter einem Dach – werde es daher nicht geben.

Auch andere Beobachter aus der Branche sehen für die Warenhäuser vor allem Perspektiven im Geschäft mit Bekleidung im mittleren bis gehobenen Preissegment. Bisher ist Karstadt dieses so genannte „Trading up“, also eine qualitative Aufwertung von Sortiment und Ladengestaltung, nicht gelungen. Veränderungen wurden von den wechselnden Geschäftsführern stets angekündigt, jedoch nie konsequent vollzogen. Auch die Modernisierung der Häuser ist bei Karstadt schlechter vorangekommen als beim Konkurrenten Kaufhof.

Die Karstadt-Eigner knausern bei Investitionen

Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein zweifelt weniger an der Kompetenz der operativen Führung bei Karstadt, als an deren Einfluss: „Die Geschäftsführung wusste immer ganz gut, welche Schritte die richtigen gewesen wären. Aber die Umsetzung scheiterte stets an der fehlenden Investitionsbereitschaft der Eigentümer“, konstatierte der Handelsfachmann in einem Interview. Auf bis zu eine Milliarde Euro schätzt Heinemann den Investitionsbedarf allein auf der Verkaufsfläche. Für den Ausbau des E-Commerce-Bereichs setzt er noch einmal eine halbe Milliarde Euro an.

Auch Verdi kritisierte in der Vergangenheit wiederholt die mangelnde Investitionsbereitschaft früherer Karstadt-Eigentümer wie Nicolas Berggruen. Mittlerweile befürchten kritische Stimmen aus Gewerkschaftskreisen, dass es dem Eigentümer René Benko und seiner Immobilien- und Handelsgruppe Signa weniger darum geht, Karstadt wieder auf die Beine zu bringen, als um die Vermarktung der attraktiven Handelsflächen und der Immobilien. Wie es aussieht, wenn sich ein Karstadt-Warenhaus in ein innerstädtisches Einkaufscenter verwandelt, ist derzeit in Stuttgart zu beobachten. Wo früher Karstadt drin war, zieht Insidern zufolge in spätestens zwei Jahren die Billigmodekette Primark ein.

Die Kaufhäuser haben nach wie vor Potenzial

Benko hat sich seit der Übernahme der drei früheren Konzernsparten Karstadt Premium GmbH (heute: KaDeWe-Gruppe), Karstadt Sports GmbH und Karstadt Warenhaus GmbH im August 2014 kaum in die Karten schauen lassen. Das Stuttgarter Konzept wird wahrscheinlich das Vorbild für weitere Standorte sein. Andere Filialen sollen bestehen bleiben und zu Premiumkaufhäusern aufgewertet werden. Der Österreicher sieht die Zukunft des Warenhauses im Premiumbereich. Dieser Logik folgend, ist es wahrscheinlich, dass eine Reihe von klassischen Warenhäusern früher oder später zur KaDeWe-Gruppe wechseln. Die Mehrheit der Gruppe hat Signa gerade an einen thailändischen Investor abgegeben, dem auch die italienische Warenhauskette La Rinascente gehört. Beide Eigner haben die Übernahme weiterer Häuser angekündigt. Ob damit auch Karstadt-Warenhäuser gemeint sein könnten, blieb offen.

Im Jahr 2031 wird Karstadt 150 Jahre alt. Ob sich die Traditionsmarke bis dahin noch am deutschen Markt behaupten kann, oder doch vorher mit Kaufhof zur Deutschen Warenhaus AG verschmilzt, vermag heute niemand vorherzusehen. Potenzial für Warenhäuser sehen die meisten Experten allerdings schon: „Ich rechne mittelfristig mit rund 100 Warenhäusern in ganz Deutschland“, sagt Gerrit Heinemann. Jörg Funder vom Handelsinstitut der Hochschule Worms ist noch etwas pessimistischer und geht von maximal 70 Standorten für Warenhäuser im Jahr 2025 aus.

Im Ausland werden Erfolgsstorys geschrieben

Dass die Warenhausidee auch international noch nicht am Ende ist, belegen zahlreiche Beispiele. Dafür stehen in Europa Namen wie Selfridges und Marks & Spencer in Großbritannien, die Galeries Lafayette in Frankreich, El Corte Inglés in Spanien oder La Rinascente in Italien. Auch in Nordamerika gibt es viele Beispiele.

Vor allem an Nordstrom könnte sich die Konkurrenz orientieren, sagt Roland Alter von der Hochschule Heilbronn. Den Amerikanern sei es in den letzten Jahren gelungen, sich vom klassischen Warenhaus zu einer moderne Kaufhaus- und Versandhandelskette zu entwickeln. Die stärksten Zuwächse verzeichnet das 1901 gegründete Unternehmen im gehobenen Preissegment und im Onlinebereich. Den Umsatz verbesserten die Amerikaner zwischen 2008 und 2013 von 7,4 auf elf Milliarden Euro – bei zweistelligen Umsatzrenditen. Davon können deutsche Warenhäuser nur träumen.