Im Jahr 2025 sind 25 Prozent der Neuzulassungen elektrisch betriebene Fahrzeuge, erwartet Thomas Schlick, der Autoexperte der Unternehmensberatung Roland Berger. Der Zulieferer Bosch rechnet bis dahin sogar mit einem noch höheren Wert. Eine Analyse.

Stuttgart - So niedrig wie derzeit war der Dieselanteil in Deutschland seit viereinhalb Jahren nicht mehr. Im August waren noch 45,3 Prozent der hierzulande neu zugelassenen Pkw Selbstzünder, hat das Kraftfahrt-Bundesamt errechnet. Das sind fast drei Prozentpunkte weniger als im gesamten vergangenen Jahr. Ist dies nur ein kurzfristiger Effekt, weil der VW-Abgasskandal und die Feinstaubdebatte stark am Image des Selbstzünders gekratzt haben? Thomas Schlick ist sich sicher: „Es zeichnet sich eine Wende ab. Der Dieselanteil in Deutschland und auch im wichtigen Markt Frankreich wird sinken“, sagt der Partner der Unternehmensberatung Roland Berger, im Gespräch mit dieser Zeitung. Der Gewinner dieser Entwicklung steht für den Autoexperten aber eindeutig fest: die Elektrofahrzeuge.

 

Bis 2025 könnte der Anteil reiner Elektroautos und Hybride an den Neuzulassungen auf stolze 25 Prozent steigen, sagt er. Der Autozulieferer Bosch geht sogar davon aus, dass bis 2025 in Europa mehr als ein Drittel aller neuen Autos elektrisch angetrieben werden. Große Marktchancen sieht der Stuttgarter Zulieferer vor allem bei Plug-in-Hybriden, also Fahrzeugen mit Verbrennungs- und Elektromotor, bei denen die Batterie an der Steckdose aufgeladen wird. Gerade im weiterhin boomenden Geländewagensegment seien Diesel-Hybride eine Alternative, so Bosch. Bisher haben Autokäufer diesen Antrieb weitgehend links liegen lassen. Im vergangenen Jahr trugen Elektro- und Hybridfahrzeugen addiert nicht einmal zwei Prozent zu den Neuzulassungen bei. In den ersten sieben Monaten 2016 sind die Neuzulassungen von reinen Elektroautos sogar gesunken, die von Hybriden allerdings um fast 30 Prozent in die Höhe geschnellt.

Die Autohersteller denken die Mobilitätskonzepte neu

Grund zur Panik sieht Schlick angesichts der Kritik am Diesel aber nicht. „Es wird keinen Schock geben“, ist er überzeugt. Denn der Selbstzünder werde am Markt eine gewisse Bedeutung behalten – er sei nicht zuletzt wichtig, um die CO2-Ziele der EU bis 2020/21 einzuhalten. Auch Bosch glaubt „unverändert an den Verbrennungsmotor“.

Aber der Rückgang beim Selbstzünder dürfte noch stärker ausfallen, als bisher prognostiziert. Denn: „Viele Autohersteller werden ihre Mobilitätskonzepte nun neu ausrichten“, erwartet Schlick. Genaue Prognosen seien derzeit aber schwierig. Seine Zurückhaltung begründet er mit dem Verhalten der EU. Es sei noch offen, ob die Kommission den Fokus künftig verstärkt auf die Reduzierung von CO2 oder von Feinstaub legen werde. Schlick rechnet damit, dass die Diskussionen zu den künftigen Umweltzielen in diesem Herbst beginnen. Ende 2015 hatte die Unternehmensberatung in einer Studie prognostiziert, dass der Diesel bei Kleinstwagen komplett und bei Kleinwagen weitestgehend verschwinden wird. Und selbst in der Oberklasse wird der Diesel stärker als bisher erwartet an Bedeutung verlieren. Aktuell sind 88 Prozent der Oberklasse-Fahrzeuge Selbstzünder; der im Herbst prognostizierte Diesel-Anteil von 70 Prozent bis 2030 wird wohl weiter sinken.

Kein Jobverlust erwartet

Umfangreiche Neuinvestitionen kommen auf die Autoindustrie aber wohl nicht zu, um den Diesel, der nach Messungen des Umweltbundesamtes im realen Straßenverkehr bis zu viermal höhere Emissionen als erlaubt verursacht, sauber zu bekommen, so Schlick. „Die Technologie ist auf dem Markt, sie muss nur richtig eingesetzt werden“, fügt er hinzu. Allerdings dürften Diesel-Fahrzeuge dadurch teurer werden – nicht zuletzt, weil die Investitionen für die Herstellung von Anlagen zur Abgasnachbehandlung künftig auf eine geringere Dieselstückzahl umgelegt werden müsse.

Auch die Belegschaften kann Schlick beruhigen. Mit einem Jobverlust wegen der Diesel-Krise rechnet er nicht. Die Branche sei sehr flexibel – auch wenn es um es um Qualifizierung von Mitarbeitern geht. Diese wird wohl nötig sein, wenn die Zukunft dem elektrischen Antrieb gehört. Bosch will den Transformationsprozess über die kommenden Jahrzehnte „ohne größeren Verwerfungen in der Beschäftigung bewältigen“, versichert der Zulieferer. 50 000 Mitarbeiter weltweit beschäftigen sich bei Bosch mit dem Diesel, 15 000 davon in Deutschland.

Investitionen in Milliardenhöhe nötig

Doch um Elektroautos zum Erfolg zu führen, muss die Industrie in die Batteriefertigung investieren, sind sich die Experten einig. Allein der Aufbau einer Zellenproduktion verschlingt mehrere Milliarden Euro, schätzt Schlick. Er hält sie für eminent wichtig, um die Technologie eines Elektroautos überhaupt zu verstehen. „Ohne eigene Zellenfertigung ist der Anschluss an die Weltspitze nachhaltig nicht zu halten“, befürchtet er. Bisher gibt es hierzulande nur Pilotfertigungen – etwa beim Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg in Ulm. Die Autoindustrie hat das Defizit erkannt; Gespräche werden geführt. Doch Kritiker warnen bereits, dass Deutschland spät dran ist. Von Bedeutung ist die Batterie auch um die Beschäftigung in der Branche zu halten: denn rund 40 Prozent der Wertschöpfung eines Elektroautos entfallen allein auf die Batterie. www.stuttgarter-zeitung.de/thema/Volkswagen