Viele Demente fühlen sich zu unrecht bestohlen. Wie Polizei, Pflegedienst und Heim damit umgehen und wie man sich darauf vorbereiten kann, haben Experten im Rems-Murr-Kreis in einer Runde erklärt.

Waiblingen - Für die Pflegerin muss eine Welt zusammengebrochen sein. Regelmäßig fährt die Frau für einen Pflegedienst ihre Runden durch den Rems-Murr-Kreis. Hilft da bei der Körperpflege, klebt dort ein Medikamentenpflaster auf den Rücken, kümmert sich liebevoll im doch eng getakteten Pflegealltag. Und dann das: Aus heiterem Himmel wirft ihr eine alte Dame vor, sie bestohlen zu haben. 1000 Euro waren weg. Und die Angehörigen aufgebracht – zumal tatsächlich genau so viel Geld auf dem Konto der an Demenz erkrankten Frau fehlten. „Unsere Kollegin war fix und fertig“, erzählt Sandy Rohde, Krankenschwester und Pflegedienstleiterin der Diakoniestation Winnenden. Schließlich ging die Pflegerin zur Polizei und ließ sich beraten. In der Zwischenzeit suchten die Angehörigen die gesamte Wohnung der Seniorin ab – und wurden im Backofen fündig. Der Vorwurf konnte so aus der Welt geschafft werden, tiefe Spuren hat er dennoch hinterlassen.

 

An den Pranger gestellt

Solch eine Szene ist kein Einzelfall. Dass sich Demente bestohlen fühlen, kommt sehr häufig vor. Das weiß auch Polizeihauptkommissar Klaus Ebner, der im Haus der Prävention in Fellbach für Eigentumsprävention zuständig ist. „Wenn jemand bei uns anruft und sagt, dass eine Untertasse fehlt und dass der Einbrecher durch das Schlüsselloch gekommen ist, dann ist die Lage recht eindeutig“, sagt Ebner. Doch was ist mit anderen Anschuldigungen, die wie die oben genannte Szene zunächst plausibel klingen? Wenn die Polizei eingeschaltet wird, dann ermittelt sie, um die Situation zu klären.

Wenn Demenz im Spiel ist, sei es schwer handfeste Auskünfte zu bekommen, erläutert Ebner. Das Problem: Oft ließe sich die Situation kaum klären. Die Angehörigen oder die Betreuer und Pfleger fühlten sich an den Pranger gestellt, wenn solche falschen Beschuldigungen im Raum stehen. In seltenen Fällen könne es tatsächlich einen Täter geben, der die wehrlose Situation eines Demenzkranken ausnutzt. „Die Dunkelziffer in dem Bereich ist allerdings hoch“, so Ebner.

Beruhigende Rituale

Die Demenzfachberaterin des Rems-Murr-Kreises Monika Amann möchte die Bevölkerung über diese spezielle Auswirkung von Demenz aufklären, Tipps geben – und hat dafür Experten aus Pflege, Polizei und Medizin an einen Tisch geholt. „Wir möchten über das Thema sprechen, und das Wissen verbreiten, dass so etwas vorkommen kann“, sagt Amann: „Das betrifft viele“, betont sie.

Damit weder vermeintlicher noch echter Diebstahl vorkommt, sollten Wertgegenstände eines Dementen gesichert werden. Schmuck, wichtige Dokumente oder auch Uhren könnten in einem Safe oder in einem abschließbaren Bankfach aufbewahrt werden. Es sollten nur geringe Summen Bargeld offen herumliegen. Mit dem Dementen könnten Rituale eingeführt werden, damit er beruhigt sein kann, dass seine Wertgegenstände sicher sind. Wenn doch einmal etwas fehlt, sollte man gemeinsam auf die Suche gehen und – wenn man selbst den Gegenstand findet – den Dementen diesen finden lassen.

Schuld sind die anderen

Trotzdem können komische Situationen entstehen. So wie bei einer 97-jährigen Frau aus dem Kreis. Sie hatte eine nette Haushaltshilfe, mit der sie sich sehr gut verstand. „Von einem Tag auf den anderen gab es diese Vorwürfe“, erzählt ihre 62-jährige Tochter: Angeblich habe die Haushaltshilfe heimlich Dinge im Haus ausgetauscht und durch billige Kopien vom Flohmarkt ersetzt: Krippenfiguren, Vasen, Schalen, gemalte Bilder. „Am Anfang haben wir den Fehler gemacht, mit Logik zu argumentieren“, sagt die Tochter. Die Mutter wollte nichts davon glauben. So musste der Haushaltshilfe gekündigt werden. Seitdem putzt die Tochter – und Frieden ist eingekehrt.

Monika Amann und den anderen Beteiligten ist wichtig: Wenn es zu solchen Anschuldigungen kommt, sollte man sich in den Dementen hineinversetzen und ihn ernst nehmen. „Die Menschen sind überzeugt, nicht krank zu sein“, erklärt auch Ulrike Maixner, niedergelassene Ärztin für Neurologie und Psychiatrie. Demente würden nicht an sich zweifeln, sondern die Schuld in ihrer Umgebung suchen: bei Verwandten, Nachbarn, Pflegern. Dement zu werden sei tragisch für die Betroffenen, weil sie Angst bekommen. Dadurch, dass sie weniger verstehen, werde für die Erkrankten die Welt bedrohlich. „Das ist eines der ersten Dinge, die im Verlauf einer Demenzerkrankung passieren“, sagt Maixner. Viele Angehörige fühlten sich sehr verletzt: „Das tut weh, aber es ist nicht so gemeint“, betont die Ärztin.

Das kennt auch Debora Krug, Fachkraft für Gerontopsychiatrie und Wohnbereichsleiterin der Demenzabteilung im Leutenbacher Haus Elim. Ihr Tipp: „Die Anschuldigungen sollte man nicht persönlich nehmen.“ Helfen könnten unter anderem Angehörigennachmittage, die im Heim stattfinden. Dann stellten viele fest: „Dem geht es ja so wie mir.“ Das helfe.