Von „Flüchtlingsindustrie“ will die ORS nichts wissen. Der Dienstleister betreibt Flüchtlingsunterkünfte und sieht sich als seriöses Unternehmen in einem sehr sensiblen, politischen Bereich.

In der Flüchtlingsbetreuung sind nicht nur karitative Organisationen tätig, sondern auch private Dienstleister wie ORS mit Sitz in der Schweiz. ORS-Chef Stefan Moll-Thissen erklärt im Interview, wie sein Unternehmen wirtschaftlich an die Aufgabe herangeht. Renditevorgaben, so versichert er, habe er nicht – obwohl ORS im Mehrheitsbesitz eines Finanzinvestors ist.
Herr Moll-Thissen, was kann ein privater Servicedienstleister in der Flüchtlingsbetreuung besser als Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz oder die Diakonie?
Darum geht es nicht. An vielen Standorten müssen in kürzester Zeit Betreuungsstrukturen für die Asylbewerber aufgebaut werden, die ihren Alltag regeln und einen sicheren Betrieb der Flüchtlingsunterkunft sicherstellen. Wir bieten diese Strukturen, die wir in einer Vielzahl von Prozessen vom Eintritt in die Unterkunft bis zum Austritt definiert haben und die immer gleich verwendet werden können. Diese Flexibilität ist angesichts der hohen Flüchtlingszahlen gefragt.
Ihre Eigentümer kommen aus der Finanzwirtschaft. Das sind Eigner, von denen bekannt ist, dass sie eine ordentliche Verzinsung ihres Kapitals sehen wollen. Das lässt den Schluss zu, dass Sie vom Elend der Flüchtlinge profitieren.
Als privates Unternehmen braucht man einen Hauptaktionär – der ist in unserem Fall eine Beteiligungsgesellschaft. Letztendlich ist ihm bewusst, dass er in einem sehr sensiblen, politischen Bereich tätig ist. Für mich als Verantwortlicher ist es entscheidend, dass die Firmenführung in keiner Weise tangiert wird durch Ziele, die der Hauptaktionär hat.
Da gibt es also keine Renditevorgaben?
Nein, gibt es nicht. Das ist in diesem Bereich einfach nicht möglich, weil die Zahl der Flüchtlinge langfristig Schwankungen ausgesetzt ist.
Mit welchem Vorlauf kommen Sie an die Aufträge heran? Nehmen wir Eschbach, das etwa 25 Kilometer südlich von Freiburg liegt, als Beispiel.
Für Eschbach hat der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald Angebote eingeholt. Das war eine freihändige Vergabe. Wir haben den Zuschlag erhalten und mussten in zwei bis drei Wochen bereit sein, knapp 500 Flüchtlinge betreuen zu können. Es mussten Betten zugeteilt und Hygieneartikel verteilt werden. Auch die Verpflegung musste sichergestellt werden. Insgesamt arbeiten in Eschbach rund 15 Mitarbeiter, von denen acht neu rekrutiert werden mussten. Gerade im aktuellen Migrationsstrom sind wir aber gezwungen, auch mal innerhalb von 48 Stunden eine Unterkunft zu eröffnen.
Welche Dienstleistungen gehören zu den Aufträgen?
Das hängt davon ab, in welchem Bereich der Auftraggeber Unterstützung braucht. Hier in Gundelfingen im Breisgau (sechs Kilometer nördlich von Freiburg, d. Red.) gestalten wir zusammen mit den Flüchtlingen den Alltag. Im Grunde genommen geht es um die Kunst, ein geordnetes Zusammenleben zu ermöglichen, ob es nun 150 oder 500 Personen sind. Wir sind die direkten Ansprechpartner vor Ort in Zusammenhängen mit Konflikten, Fragen des Alltags, des Kochens, der medizinischen Versorgung oder der Reinigung. Letzteres erbringen wir gemeinsam mit den Flüchtlingen.
Die Flüchtlinge arbeiten also?
Wir bieten ihnen Ein-Euro-Jobs. Die Reinigung der einzelnen Zimmer gehört nicht dazu. Das ist ihr Zuhause, da ist es wichtig, dass sie Sauberkeit selber halten und den Haushalt selbstständig und eigenverantwortlich führen. Aber für die Gänge, die Treppen, die Gemeinschaftsräume, das Spielzimmer für die Kinder und außerhalb der Unterkünfte gibt es Reinigungs-Jobs. Auch die Wäsche wird durch die Asylbewerber gemacht. So strukturieren sie nicht nur ihren Tag, sondern verdienen auch etwas Geld, einen Euro pro Stunde.
Sollte dafür nicht ein professioneller Reinigungsdienst zuständig sein?
Die Frage stellt sich ab und zu bei sehr kurzen Aufenthaltsdauern, aber wir machen seit 23 Jahren gute Erfahrungen damit. Es sind sehr viele Flüchtlinge gerne bereit, etwas zu tun. Das ist Teil unseres Konzepts, die Asylbewerber in den Alltag mit einzubeziehen. Hier in Gundelfingen sind es zehn bis 15 Jobs, die zwischen ein bis drei Stunden Arbeitszeit in Anspruch nehmen.
Ist die ORS auch für den Sicherheitsdienst zuständig?
Nein, den Sicherheitsdienst decken wir nicht ab. Wir sind ein Betreuungsdienstleister. Die Aufgaben der Betreuung und Sicherheit sind getrennt. Falls die zuständige Behörde das von uns wünscht, suchen wir einen geeigneten Subunternehmer. Das war so im Flüchtlingsquartier Funkkaserne in München; auch in diversen anderen Unterkünften, die wir im Auftrag des österreichischen Innenministeriums führen, ist das der Fall.
Welche Faktoren spielen bei der Auswahl eine Rolle?
Wichtig sind für uns die Unternehmensgröße, die rasche Reaktionszeiten ermöglichen, die Erfahrung in dem Bereich und die Professionalität.
Was ist mit den finanziellen Aspekten, wie teuer darf ein Sicherheitsdienst sein?
Natürlich ist das nicht ganz unwichtig. Aber wir wählen sicher nicht den günstigen Anbieter. Wenn wir gleichzeitig für den Sicherheitsdienst verantwortlich sind, dass der Betrieb so gut wie möglich läuft, dann will ich die Gewissheit, dass ich einen Partner habe, der entsprechend das bestmögliche Personal bietet und bei Schwierigkeiten schnell und vor allem richtig reagiert.
In der Betreuungseinrichtung in Eschbach gab es zum Jahreswechsel eine Massenschlägerei, an der 40 Flüchtlinge beteiligt waren. Wie kam es dazu? Hat der Sicherheitsdienst versagt?
Der Auslöser war ein Missverständnis zwischen einem Bewohner und einem Besucher, die unterschiedlicher Ethnien waren. Die Bewohner hatten einen Spaß gemacht, den der Besucher falsch verstand. Daraufhin kam es beim Kochen zu einer Rauferei zwischen zehn bis 15 Leuten. Als Massenschlägerei würde ich das nicht bezeichnen. Denn als die Polizei eintraf, hatte sich die Situation bereits wieder beruhigt.
Sie haben vorhin das Kochen erwähnt. Kochen die Flüchtlinge selbst? Gibt es keinen Catering-Dienst?
Nein. Die Flüchtlinge gehen selbst einkaufen und bereiten gemeinsam ihr Essen vor. Das hat für sie einen sozialen Charakter.
Aber zahlen müssen die Flüchtlinge im Supermarkt dann aus der eigenen Tasche?
Das ist richtig. Dafür erhalten sie Geldleistungen nach dem Asylbeweberleistungsgesetz.
Schauen wir die betriebswirtschaftliche Seite an: Bekommen Sie vom Landkreis je nach Dienstleistung pro Flüchtling einen bestimmen Betrag gezahlt?
Die Verrechnung der Leistung ist je nach Leistungsumfang unterschiedlich. Um eine Betreuung während 168 Stunden in der Woche sicherstellen zu können, benötigen wir ene bestimmte Teamgröße. Diese ist primär unabhängig von der Anzahl Bewohner, also der Auslastung einer Einrichtung. Deshalb bekommen wir grundsätzlich auch keinen Satz pro Kopf. Die Kosten steigen nicht pro Kopf, sondern in bestimmten Intervallen von jeweils ungefähr 150 Flüchtlingen oder in Abhängigkeit der Leistungen oder der Unterkünfte. Je mehr Flüchtlinge es sind, umso stärker muss der Personaleinsatz sein.
Sie machen doch intern zumindest eine Kostenrechnung. Unterm Strich müssen sie am Jahresende schließlich mit einem Gewinn abschließen.
Meine Herausforderung als Geschäftsführer ist, dass am Ende des Jahres etwas übrig bleibt. Das funktioniert bei uns nur, in dem haushälterisch mit den Mitteln umgegangen wird, die wir von den Behörden erhalten. Wir haben aber keine Vorgaben, was den Gewinn oder die Rendite betrifft.
Die Betreuung der Flüchtlinge ist Arbeit auf Zeit. Was passiert mit ihren Mitarbeitern, wenn das Betreuungsverhältnis endet?
Überwiegend haben wir festangestellte Mitarbeiter. In Flüchtlingsunterkünften, die beispielsweise nur für sechs Monate bestehen, stellen wir aber auch Mitarbeiter mit entsprechend befristeten Verträgen an. Das wird den Bewerbern aber auch von Anfang so kommuniziert.
Ist es schwer in Deutschland an diese Leute zu kommen?
Ausgebildete Sozialarbeiter zu finden, ist anspruchsvoll. In Ingolstadt und München, wo wir Unterkünfte betreuten, ist die Arbeitslosigkeit sehr gering. Da braucht es manchmal mehr Zeit und Aufwand, die passenden Mitarbeiter zu finden. Aber mit etwas Engagement und mehr Kreativität, was die Anzeigen betrifft, zeigt sich, dass wir es immer schaffen, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden.
Werden die Mitarbeiter nach Tarif bezahlt?
Nein, wir sind in Deutschland an keinen Tarifvertrag angeschlossen. Wir zahlen marktübliche und faire Löhne und das überprüfen wir auch regelmäßig.
Haben Sie weitere Pläne in Deutschland? Wollen Sie expandieren?
Uns ist die geographische Nähe zur Schweiz wichtig. Aber dass wir Aufträge aus dem Norden Deutschlands annehmen, ist nicht ausgeschlossen. Wir wägen jedes Angebot sorgfältig ab und schauen, ob es machbar ist. Und wir haben gesehen, dass unsere Dienstleistung bei den Behörden angesehen ist. In diesem Sinne möchten wir gerne in Deutschland präsent bleiben.