Verkehrsminister Scheuer geht härter mit der Autoindustrie um als sein Vorgänger. Das ist von dem niederbayerischen Sunnyboy nicht unbedingt zu erwarten gewesen – Daimler-Chef Zetsche bekam das trotzdem zu spüren.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Berlin - Andreas Scheuer ist gern Minister. „Sehr gern sogar“, wie er keine 24 Stunden nach seinem großen Daimler-Coup erzählt, um dann hinterherzuschieben: „Auch am 91. Tag.“ Noch Fragen? Da identifiziert sich offenbar jemand derart mit dem neuen Job, dass er die Tage auskostet und zählt.

 

Fröhlich wie immer ist der CSU-Mann gerade dem Aufzug entstiegen, der ihn im zweiten Stock des Reichstagsgebäudes abgesetzt hat zur gleich beginnenden Unionsfraktionssitzung. Er ist eigentlich schon ein paar Minuten zu spät, nimmt sich dann aber doch noch kurz Zeit für die Journalisten. Läuft ja schließlich bei ihm. Modisch hat ihn die „Bild“-Zeitung gerade zum am besten gekleideten Politiker der Republik gekürt. Und politisch hat er am Vortag den Daimler-Chef Dieter Zetsche zur Offenlegung neuer Zahlen von Fahrzeugen mit kritikwürdiger Abgassoftware bewegen können und publikumswirksam einen entsprechenden Rückruf in die Werkstätten angeordnet.

Stuttgarter Wirtschaftsjurist kritisiert Scheuer

Genau dieses publikumswirksame Vorgehen ist es aber, das ihm auch Kritik einbringt. Juristische Kritik. Wenn der Minister von „unzulässigen Abschalteinrichtungen“ spreche, nehme er „eine juristische Bewertung vor, die ein Politiker nicht zu treffen hat“, sagt der Stuttgarter Wirtschaftsjurist Hanno Kiesel. Scheuer könne lediglich feststellen, dass bestimmte Motoren nicht in der Lage sind, zugelassene Abgaswerte einzuhalten. Juristische Bewertungen seien am Ende aber die Sache von Gerichten. „Momentan gilt die Unschuldsvermutung“, schiebt Kiesel nach.

Trotz Verspätung und Gegenwehr lässt sich Scheuer nicht aus der Ruhe bringen. Der ehemalige Generalsekretär der bayerischen Christsozialen nimmt sich sogar noch Zeit, um Journalisten gut gelaunt Fragen zu beantworten. Er ist Medienprofi durch und durch. Das gilt für den 44-Jährigen auch dann, wenn es gerade einmal nicht so gut läuft. Selbst in schwierigsten Jamaika-Koalitionsnächten, die am Ende zu nichts führten, ließ sich Scheuer immer wieder bei den ausharrenden Reportern blicken, stand Rede und Antwort. Einmal ließ er den Berichterstattern sogar eine Wagenladung Pizzas kommen. Nicht dass deshalb gleich positiv über ihn berichtet werden würde, schaden kann ein netter Umgang aber auch nicht.

Vielleicht sind gerade deshalb nun so viele überrascht, dass sich der Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur von den Autoherstellern nicht mit Nettigkeiten oder vagen Versprechungen hat abspeisen lassen. Denn es ist ja geradezu Ungeheuerliches passiert: Zum ersten Mal überhaupt seit Bekanntwerden der Dieselmanipulationen bei Volkswagen hat die Bundesregierung in Gestalt von Scheuer die Drohung mit Strafzahlungen in den Raum gestellt. Es war seine Entscheidung, Zetsche & Co. als Alternative zu mehr Kooperationsbereitschaft 5000 Euro pro Auto in Aussicht zu stellen.

Der Minister will sich nicht profilieren

Als „Daimler-Vorknöpfer“ oder „Daimler-Bezwinger“ sieht sich der Neuminister deshalb noch lange nicht. „Ach Schmarrn“, sagt er dazu auf gut Bayrisch, „es geht mir auch nicht um Profilierung meiner Person, sondern darum, endlich aus der Vergangenheitsbewältigung herauszukommen.“ Dafür ist aus seiner Sicht eigentlich gar keine Zeit angesichts der wirtschafts- und klimapolitischen Herausforderungen, die auf die Bundesrepublik warten: „Ich möchte über die Zukunft der Mobilität reden und nicht über Fehler der Vergangenheit.“ Und trotzdem ist er auf dem besten Weg, zum Zetsche-Schreck zu werden.

Andreas Scheuer ist so sauer auf den bisherigen Umgang der Autobauer mit der Dieselkrise, weil er selbst ein riesiger Autonarr ist und Oldtimer sammelt. Privat fährt er einen BMW 325 ix, Baujahr 1987, den sich die CSU-Ikone Franz Josef Strauß kurz vor ihrem Tod gekauft hatte. Kurz darauf hatte Wilfried Scharnagl, der ehemalige Chefredakteur des Parteiorgans „Bayernkurier“, das Gefährt übernommen, im vergangenen Jahr kaufte Scheuer Scharnagl das Auto ab. Ingenieur ist der heutige Bundesverkehrsminister nicht, sondern an der Uni Passau ausgebildeter Politologe, in Sachen Auto, Motor, Sport können ihm die Fahrzeughersteller trotzdem nicht viel vormachen.

Scheuers neue Linie nötigt sogar der politischen Konkurrenz einen gewissen Respekt ab. „Die Show ist eine andere geworden“, meint der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Oliver Krischer, der freilich kritisiert, dass bei Hardwarenachrüstungen und Blauer Plakette „immer noch das alte Lied gespielt“ werde, aber eben doch Fortschritte im Umgang mit der Autoindustrie sieht: „Der gescheiterte Vorgänger Alexander Dobrindt war hier wohl ein warnendes Beispiel.“

Die Unionsfraktion steht hinter Scheuer

Die Unionsfraktion, die sich lange schwergetan hat, die Branche robuster anzugehen, weiß Scheuer ebenfalls hinter sich. „Das Brückenbauen ist leider gescheitert“, meint die verkehrspolitische Sprecherin Daniela Ludwig, die 2002 mit Scheuer von einem fast aussichtslosen CSU-Listenplatz in den Bundestag gekommen ist: „Deshalb hat die härtere Gangart des Verkehrsministers unsere volle Unterstützung.“

Die Rückendeckung der Kanzlerin hat er ebenfalls, wie sie in deren Umfeld versichern. Auch Angela Merkel ist enttäuscht darüber, wie wenig die Autoindustrie dafür getan hat, um das zu Bruch gegangene Vertrauen zu erneuern. Sie schätzt an Scheuer, so sagen ihre Leute, „dass er ziemlich entschlossen und nicht mit unendlichem Langmut“ die Dinge angehe. Ohnehin mag die Wissenschaftlerin Merkel Fachleute – und der Niederbayer hat mit den Vorkenntnissen eines ehemaligen Parlamentarischen Verkehrsstaatssekretärs die Leitung des ihm bestens vertrauten Hauses übernommen, zwei beamtete Staatssekretäre und mehrere Abteilungsleiter ausgetauscht. Ziemlich geräuschlos obendrein, weil die Ministerentscheidungen als fachlich begründet akzeptiert wurden. Scheuers Staatssekretär Steffen Bilger aus dem Wahlkreis Ludwigsburg nennt ihn einen „kollegialen Teamplayer“.

Im Kanzleramt haben sie auch schon festgestellt, dass der frühere CSU-Generalsekretär Scheuer im Gegensatz zum Vorgänger Lust auf den Regierungsposten hat, wo es um konkrete Problemlösungen geht. Aber ging er bei Zetsche zu weit? „Nach den Aussagen von Daimler-Chef Dieter Zetsche befinden sich in den betroffenen Pkw keine unzulässigen Komponenten. Und diese Aussage konnte bislang noch nicht gerichtlich widerlegt werden“, sagt der Wirtschaftsjurist Hanno Kiesel. Daran ändere nichts, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren gegen Daimler führe. Im Bereich Abgasmanipulation sei der dafür notwendige Anfangsverdacht sehr schnell zu begründen. Dass tatsächlich ein Betrug vorliege, heiße das aber noch nicht.

Privat läuft es bei dem Politiker nicht gut

Scheuers Vorgänger Dobrindt wollte den General nie ganz ablegen und blüht nun wieder als Landesgruppenchef parteipolitisch auf. Aber auch Scheuer hat als CSU-Generalsekretär in typischer Manier manche rhetorische Grenze verschoben. Als er beispielsweise beklagte, dass „ein Fußball spielender, ministrierender Senegalese“ für die Behörden „das Schlimmste“ sei, weil sie einen derart gut integrierten Flüchtling „nie wieder abschieben“ könnten. Davon will Scheuer heute nicht mehr viel wissen. Er sieht sich als Verkehrspolitiker, für den Parteichef Horst Seehofer lediglich „vier Jahre eine andere Verwendung“ vorgesehen hatte.

Privat läuft es für den Bundesminister derzeit allerdings nicht so rund wie im Beruf. Vor gut einem Monat hat sein Anwalt erklärt, dass es in der Ehe des Politikers, aus der eine Tochter hervorgegangen ist, nach fünf Jahren nicht mehr weitergeht. Viel mehr weiß man darüber nicht, Scheuer, den eigentlich alle nur „Andi“ nennen, achtet sehr auf seine Privatsphäre. Das ist deshalb überraschend, weil Scheuer in seiner Offenherzigkeit im Fotonetzwerk Instagram eigentlich nur noch von den Kabinettskolleginnen Dorothee Bär und Julia Klöckner übertroffen wird. Es gibt Bilder aus allen beruflichen Lebenslagen, beim Spatenstich, in Brüssel, im Zug, im Flugzeug, im Plenarsaal.