Am Stuttgarter Neckartor konnte vom 1. Januar bis Ende April 2020 der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft eingehalten werden. Was zählt sind allerdings zwölf und nicht vier Monate.

Stuttgart - Die Belastung mit Stickstoffdioxid in der Luft liegt an der Messstelle am Neckartor in den ersten vier Monaten dieses Jahres exakt auf dem Niveau des EU-Grenzwertes von 40 Mikrogramm. Im April lag das Monatsmittel nach Berechnungen unserer Zeitung aus 676 Einzelwerten bei 41,4 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, im Mittel von Januar bis Ende April ergeben sich damit 40 Mikrogramm.

 

Entscheidend für die Einhaltung des Grenzwertes, auf die die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Januar 2018 erfolgreich geklagt hatte, ist das Jahresmittel, also der Schnitt von zwölf Monaten. Auch wenn man diesen Zeitraum betrachtet, lässt sich eine klare Verbesserung der Luftqualität in Stuttgart ablesen. In April 2019 lag der gleitende Jahresmittelwert am Hotspot bei 67, nun liegt er bei 47 Mikrogramm. An der Messstelle in der Hohenheimer Straße wurden Ende April ein gleitendes Jahresmittel von 44 Mikrogramm erreicht. Die vom Koalitionsausschuss der Landesregierung zusätzlich veranlassten Messstelle in der Hohenheimer Straße 72 stellte im ersten Quartal auch 44 Mikrogramm fest. Ein Jahr zuvor waren es an der Dauermessstelle 62 Mikrogramm gewesen. Am Klett-Platz wurde bis Ende April erstmals seit Beginn der Messungen mit 39 Mikrogramm ein Jahresmittel unterhalb der EU-Grenze.

Plan für neue Verbote ist fertig

Um den Grenzwert stadtweit einzuhalten, hat das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) im neuen Luftreinhalteplan vom 1. Juli 2020 an ein erweitertes Fahrverbot für Euro-5-Diesel vorgesehen. Die Innenstadt, Bad Cannstatt, Feuerbach und Zuffenhausen dürften dann mit solchen Autos nicht mehr befahren werden. Der Plan ist seit März fertig, aber nicht in Kraft gesetzt. Mit dem zusätzlichen zonalen Fahrverbot könnten laut Prognose am Neckartor 40, der Hohenheimer Straße 38, der Talstraße 41 und der Pragstraße (Nummer 90/92) 42 Mikrogramm Stickstoffdioxid erreicht werden. Die Überschreitungssituation im Bereich der Pragstraße werde sich „im Zuge des Neubaus des Rosensteintunnels erledigen“, so das RP, denn die Stadt kauft dort als „Begleitmaßnahme“ Wohnungen auf.

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat die Entwicklung der Werte und die Coronakrise genutzt, um vom Verwaltungsgericht und der DUH eine „Atempause“ zu fordern. Die Krise zwinge zum Umdenken, man habe eine neue Lage. In die Überlegungen von CDU und Grünen mischen sich auch ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit der Verbote und die OB-Wahl in Stuttgart. Keiner will Wähler verprellen, auch deshalb argumentieren Christdemokraten und Grüne gegen neue Verbote – und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für Prämien zum Kauf weniger umweltschädlichen Autos. Stuttgart müsse die Werte auch ohne Corona „sicher einhalten“, sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch, außerdem gelte das Jahresmittel und nicht der Wert einiger Monate.

Die Wetterlage hilft

Die Ausschläge des Stickstoffdioxidwerts nach unten „nehmen nach dem Lockdown zu, jedoch ist das Verhalten nicht so eindeutig“, sagt Thilo Erbertseder vom Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen, das die Entwicklung untersucht. Die Konzentrationen „lagen durch den milden Winter, den ständigen und schnellen Austausch von Luftmassen und wenigen Inversionswetterlagen bereits generell auf niedrigem Niveau“. Nehme man Zeitreihen einzelner Jahre zum Vergleich, zeige sich, „dass die Stickstoffdioxid-Konzentrationen von 2020 doch systematischer unter dem langjährigen Mittel liegen“.