Besitzer von Dieselautos mit einer Abschalteinrichtung könnten bessere Karten bei Schadenersatzklagen erhalten. In seinem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof stärkt der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Position der Kläger.

Der Berliner Rechtsanwalt Claus Goldenstein zeigt sich höchst zufrieden über die Schlussanträge des Generalanwalts im Streit über Schadenersatz für Dieselkläger. Die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen im Abgasskandal werde enorm erleichtert, wenn die Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Rechtsauffassung des Generalanwalts, Athanasios Rantos, bestätigen, sagt Goldenstein voraus. Insbesondere Mercedes-Benz müsse nun mit einer weiteren Klagewelle rechnen. Grundsätzlich setzten die Schlussanträge jedoch die gesamte Automobilindustrie unter Druck und stärkten die Rechte von Verbrauchern, meint der Anwalt, dessen Kanzlei nach eigenen Angaben mehr als 42 500 Dieselkläger vertritt und damit eine führende Position in diesem Bereich beansprucht.

 

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In dem Fall, der den Luxemburger Richtern vom Ravensburger Landgericht vorgelegt wurde, kaufte der Kläger am 20. März 2014 eine gebrauchte C-Klasse von Mercedes-Benz zum Preis von 29 999 Euro. Bei kühleren Temperaturen wird die Abgasreinigung eingeschränkt, was zu einem höheren Ausstoß von Stickoxid führt. Autohersteller argumentieren, dies sei notwendig, um den Motor zu schützen. Umweltorganisationen werfen den Unternehmen dagegen vor, dass damit die Emissionen unter Testbedingungen kleiner erscheinen sollen, als sie im Straßenverkehr wirklich sind. Die Autobauer hatten einen Passus im EU-Gesetz, wonach die Abgasreinigung bei niedrigen Temperaturen zum Schutz des Motors gedrosselt werden kann, sehr weit ausgelegt.

Nach Einschätzung des Kraftfahrt-Bundesamts hat Mercedes-Benz in vielen Modellen unzulässige Abschalteinrichtungen eingebaut. Der Autobauer wurde deshalb zu großen Rückrufaktionen verpflichtet, um die unzulässige Software zu entfernen. Das Unternehmen führte die Rückrufe durch, wehrte sich jedoch rechtlich dagegen und bleibt bis heute bei der Auffassung, nicht gegen das Recht verstoßen zu haben.

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Insgesamt gibt es gegen Mercedes-Benz in Deutschland nach Angaben eines Sprecher mehr als 30 000 Verfahren im Zusammenhang mit Dieselautos. Der überwiegende Teil der Entscheidungen sei zugunsten des Unternehmens ausgegangen. In rund 95 Prozent der Fälle habe der Autobauer gewonnen. Auf der Ebene der Landgerichte gebe es deutlich über 24 000 klageabweisende Entscheidungen zugunsten des Unternehmens, in nur rund 1200 Fällen sei gegen den Autobauer entschieden worden. An den Oberlandesgerichten, so der Sprecher, gebe es mittlerweile mehr als 2200 Entscheidungen für und nur vier Entscheidungen gegen Mercedes-Benz.

Der Autobauer wurde bisher höchstrichterlich vom Bundesgerichtshof (BGH) noch nicht zu Schadenersatz verurteilt. Der BGH hatte bei Verfahren gegen den früheren Mercedes-Mutterkonzern Daimler entschieden, dass selbst bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung kein Schadenersatzanspruch bestehe. Denn der Autobauer habe die Käufer nicht vorsätzlich geschädigt, sondern allenfalls fahrlässig gehandelt.

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Das Landgericht Ravensburg wollte im Verfahren gegen Mercedes-Benz nun klären, ob eine Voraussetzung für eine Haftung auch bei Fahrlässigkeit besteht. Das wäre dann der Fall, wenn das EU-Gesetz zur Typgenehmigung von Fahrzeugen auch die Interessen der einzelnen Käufer schützt. Generalanwalt Athanasios Rantos stimmt dem zu. Nach EU-Recht lassen sich nach Einschätzung von Rantos selbst bei einer fahrlässigen Schädigung Schadenersatzansprüche durchsetzen. Insbesondere sei das Interesse geschützt, „kein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben“. Für die Höhe des Ersatzanspruchs sind laut Rantos die Mitgliedstaaten zuständig. Es müssten „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen“ verhängt werden, so der Generalanwalt.

Der Rechtsanwalt Jens M. Mischer von der Mönchengladbacher Kanzlei Dr. Hartung, die den Kläger vor dem Ravensburger Landgericht vertritt, wertete die Äußerungen des Generalanwalts als „eine deutlich hörbare Ohrfeige für unsere höchsten Zivilrichter“, also den Bundesgerichtshof, der Mercedes-Benz bisher nicht zu Schadenersatzzahlungen verpflichtet hat.

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Mercedes-Benz wies in einer ersten Reaktion darauf hin, dass es sich zunächst einmal um den Schlussantrag des Generalanwalts handle, nicht jedoch um ein Urteil. Der Schlussantrag sei für das Gericht nicht bindend, so eine Sprecherin des Stuttgarter Unternehmens. Es bleibe abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof entscheide. An Spekulationen über einen Ausgang des Verfahrens, so die Sprecherin, wolle man sich nicht beteiligen.